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Demokratie zwischen Mythen, Manipulation und (Falsch-)Meldungen

Verschwörungstheorien werden – nicht zuletzt seit der Corona-Pandemie – immer breiter diskutiert. Welchen Einfluss haben sie auf ein demokratisches Miteinander? Warum müssen wir auch in Deutschland die Manipulation von Wähler:innen in den Blick nehmen? Welche Auswirkungen haben soziale Medien – vor allem, wenn heute in allen Medien „besonders viel gelogen wird“?

Eine Einschätzung von Professor Dr. Stephan Packard

Verschwörungstheorien – sind sie eine Gefahr für die Demokratie?

Verschwörungstheorien sind besonders auffällige Symptome für einen viel weiter reichenden Schwund an Vertrauen in öffentliche Institutionen und in den Journalismus. Das gilt sowohl für die Theorien als auch für den gegenseitigen Vorwurf, der andere verbreite Verschwörungstheorien. Wir erleben, wie die Bindungskraft der Öffentlichkeit schwindet.

Eine verbindliche öffentliche Kommunikation gehört zu den Voraussetzungen einer modernen demokratischen Meinungsbildung. Das bedeutet nicht, dass sich alle in allem einig sein müssen; aber der Ort, an dem der Streit ausgetragen wird, an dem diskutiert wird, müsste möglichst vielen vertraut und zugänglich sein. Ein Ort also, um Dissens zu äußern und auszuhandeln, so dass die Auseinandersetzung möglichst viele verschiedene Gruppen angeht und beteiligt.

Wer einer Verschwörungstheorie anhängt, erkennt keinen solchen Ort mehr an: alles, was öffentlich gesagt und geglaubt wird, fällt unter Verdacht. Verschwörungstheorien im aktuellen Sinne des Wortes meinen ja nicht nur eine, sondern immer zwei Verschwörungen: Wer einer Verschwörungstheorie anhängt, glaubt an die Existenz einer Verschwörung, die sich und ihr Handeln in der Öffentlichkeit erfolgreich verbirgt und dafür die etablierten medialen Institutionen perfekt manipuliert. Aber Verschwörungstheoretiker:innen kommunizieren dabei selbst esoterisch: sie grenzen sich von anderen ab und andere aus, das heißt, sie reden so miteinander, als würden sie selbst einer Verschwörung gegen den Rest der Welt angehören.

 

vergrößern: Manipulation Symbolbild
Foto: GoodIdeas / shutterstock.com

Wahlkampfbeeinflussung – wo hört Wahlwerbung auf und wo fängt eine Manipulation durch digitale Technologien an?

Zum schwindenden Vertrauen in die öffentliche Debatte gehört auch der gegenseitig erhobene Vorwurf, die politisch Andersdenkenden seien manipuliert worden oder wollten manipulieren, würden also ihre andere Meinung gar nicht ernsthaft vertreten oder seien nur durch Täuschung zu dieser Meinung gelangt. Eine besondere Rolle spielen dabei in den aktuellen Auseinandersetzungen Social Bots, die Posts auf sozialen Medien publizieren und vorgeben sollen, menschliche Akteure zu sein und entweder bestimmte politische Absichten unterstützen, oder – häufiger – einfach generell Streit und Verwirrung stiften sollen. Eine ähnliche Funktion sollen Trollfarmen erfüllen, bei denen Menschen unter Pseudonymen die gleichen Ziele verfolgen.

Es gibt solche Bots und solche Trollfarmen auch, aber bislang haben wir keine belastbaren Beweise dafür, dass sie in wesentlichem Umfang Einfluss auf die Meinungsbildung nehmen. Das gilt auch für die gezielte Adressierung von Nutzer:innen über ihre Schattenprofile auf sozialen Medien, wofür Cambridge Analytica bekannt geworden ist, insbesondere für ihre Einflussnahme auf die Wahl von Donald Trump 2016 und auf die Brexit-Entscheidung.

Wichtiger ist wohl, dass die bloße Vorstellung, man könnte politische Meinungen so gezielt züchten, das Vertrauen in den demokratischen Entscheidungsprozess untergräbt. Wahlkampf und den Vorwurf, er gehe zu weit und manipuliere, hat es in modernen Demokratien seit ihrem Bestehen gegeben. Lügen sind eine offensichtliche und sehr alte Form dieser Manipulation. Dass die öffentliche Debatte heute leichter zu stören, zu untergraben ist als zuvor, eröffnet eine neue Dimension. Beides gilt es klar zu benennen und zu bekämpfen – durch vorsichtiges Verhalten in politischen Debatten und durch sorgfältige Kuration auf medialen Plattformen. Vor allem geht es dabei darum, Lügen und Störungen klar zu benennen und abzulehnen.
Aber darüber hinaus gibt es wichtige Bereiche, in denen es schwerer ist, Wahlkampf und Manipulation eindeutig zu unterscheiden. Hier geht es vor allem darum, Vertrauen aufzubauen oder zurückzugewinnen, um der Möglichkeit der Manipulation ihren Stachel zu nehmen.

 

vergrößern: Symbol Social Media / Smartphone
Foto: Lenka Horavova / shutterstock.com

Klassische und soziale Medien – was macht es mit uns, wenn wir uns vorwiegend über soziale Netzwerke informieren?

Soziale Netzwerke erlauben sowohl die esoterische, also gegen eine weitere Öffentlichkeit abgeschlossene Kommunikation in größeren Gruppen, als auch, dass andere Auffassungen über die Realität leichter für alle sichtbar werden als in den traditionellen Massenmedien wie Radio, Fernsehen oder auch den Zeitungen. Es ist dort zudem nicht immer klar, wessen Aufgabe es wäre, Lügen und Manipulationen zu verhindern oder bloßzustellen: eine Kuration im Einzelfall ist schwierig und fast nur automatisch zu leisten: dann aber verliert sie leicht das Vertrauen der Nutzer:innen.

Aber die Vorstellung, wonach die schwindende Bindungskraft der Öffentlichkeit durch technische Innovationen vorbestimmt sei, greift fast sicher zu kurz. Noch vor zehn Jahren hatten viele das Gegenteil erwartet und gehofft, dass durch die vielfältigen Kommunikationsmöglichkeiten im Internet eine vielstimmigere, kritischere und letztlich aufgeklärtere Gesellschaft entstehen würde. Die Technologie könnte beides leisten. Insbesondere bieten Suchmaschinen und soziale Netzwerke auch Gelegenheiten, um Fake News zu entlarven und um den Kontakt zu Verschwörungstheoretiker:innen wiederherzustellen.

Wenn wir stattdessen eine Zersplitterung der demokratischen Öffentlichkeit erleben, liegt das nicht nur an technischen, sondern an politischen Gegebenheiten: zunehmende ökonomische Ungleichheit und der Ausschluss von Minoritäten gehören dazu, aber auch der ungleiche Zugang zu Bildung, der dazu führt, dass Verweise auf eine wissenschaftlich fundierte Realität als Parteinahme für gebildete Klassen verstanden wird. Hier greift Populismus an. Wenn wir heute mit viel mehr öffentlichen Lügen zu kämpfen haben, liegt das also nicht nur an den sozialen Netzwerken, die Lügen transportieren, sondern auch daran, dass besonders viel gelogen wird, wie es das vielfach beobachtete Erstarken populistischer Bewegungen in Demokratien nahelegt.

 

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Foto: Monster Ztudio / shutterstock.com

Stop Fake News – wie kann man Falschmeldungen entlarven?

An sich ist das nicht allzu schwer: Fake News lassen sich schnell entlarven, wenn man zu einer Nachricht eigenständig nachrecherchiert, nachvollzieht, woher sie kommt, und vor allem prüft, ob sie überzeugend mit Quellen belegt ist. Soziale Medien können dabei helfen, indem sie erkannte Fake News als solche markieren und auf alternative, öffentliche Quellen verweisen. Die meisten kursierenden Desinformationen stellen sich dann sehr schnell und offensichtlich als die Lügen heraus, die sie sind.

Das Problem ist aber häufiger, dass Verschwörungstheoretiker:innen für Gegenargumente schwer zu erreichen sind, weil sie weder den allgemein zugänglichen Quellen vertrauen noch den Menschen, die sich auf sie verlassen. Entscheidend ist daher nicht nur das bessere Argument, das Fake News widerlegt, sondern das Angebot zu einer wertschätzenden Kommunikation, die Vertrauen wiederherstellen kann.

 

Die Fragen stellte Hannah Reiter.

 

Über Stephan Packard

Professor Dr. Stephan Packard ist Inhaber des Lehrstuhls für Kulturen und Theorien des Populären. Er ist Mitglied der Gesellschaft für Medienwissenschaft und dort u.a. Gründungsmitglied der AG Medienwissenschaft und politischen Theorie. 2015 wurde er mit dem Heinz Maier-Leibnitz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft ausgezeichnet.

Mit Harald Gapski hat er 2021 den Sammelband "Super-Scoring? Datengetriebene Sozialtechnologien als neue Bildungsherausforderung" publiziert, der sich mit neuen medialen Technologien der Gesellschaftssteuerung auseinandersetzt. Das von ihm mitinitiierte interdisziplinären Projekt Fragmentierte Öffentlichkeit am Grimme-Forschungskolleg an der Universität zu Köln geht der Frage nach: „Wie sind Demokratie und Rechtsstaat in einer postdigitalen Gesellschaft möglich?“