zum Inhalt springen

Mietvertrag nur für Deutsche?

Der Kölner Soziologe Prof. Dr. Clemens Kroneberg hat die Gründe für eine ethnische Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt untersucht.

 

Haben Migranten in Deutschland schlechtere Karten bei der Wohnungssuche? Eine Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt lässt sich schwer beweisen, da viele vordergründige Aspekte für einen deutschen Mitbewerber sprechen können. Der Soziologe Prof. Dr. Clemens Kroneberg konnte in einer gemeinsam mit Kollegen der Universität Mannheim durchgeführten Studie zeigen, ob und wie Vermieter den Migrationshintergrund eines Bewerbers in ihre Entscheidung einbeziehen.

In Deutschland gibt es nur wenig Forschung darüber, ob eine ethnische Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt besteht. Zu welchem Ergebnis kommt Ihre Studie?

Anders als in den USA gibt es in Europa in der Tat nur eine Handvoll Studien, die ethnische Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt untersuchen. Das Besondere an unserer Studie ist dabei, dass sie nicht nur zeigt, dass ethnische Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt tatsächlich besteht, sondern auch die Mechanismen zu entschlüsseln hilft, durch die Diskriminierung zustande kommt.

Können Sie das Design der Studie kurz erläutern?

Wir haben Testpersonen auf mehr als 800 Immobilieninserate im Raum Mannheim und Ludwigshafen anrufen lassen. Dabei haben wir drei Faktoren zufällig variiert. Die Anrufer hatten einen deutschen oder türkischen Namen und die Anrufer mit türkischem Namen sprachen mit oder ohne ausländischen Akzent. Außerdem gab ein Teil der Wohnungsinteressenten an, aus beruflichen Gründen in die Stadt zu ziehen. Gemessen haben wir, ob ein Anrufer zu einem Besichtigungstermin eingeladen wurde. Die Idee bei derartigen Audit-Studien ist, dass man Paare von Bewerbern anrufen lässt, die sich in einem oder mehreren ausgewählten Merkmalen unterscheiden. Werden die Personengruppen systematisch ungleich behandelt, ist das ein vergleichsweise starker Nachweis von Diskriminierung.

Laut Ihrer Studie werden türkische Migranten nicht diskriminiert, solange sie akzentfrei Deutsch sprechen. Mit Akzent sind sie aber auf dem Wohnungsmarkt benachteiligt. Wie erklären Sie diese Ergebnisse?

Man muss dazu sagen, dass wir nicht den gesamten Prozess vom Anruf bis zur Wohnungsübergabe untersuchen konnten. Wir konnten feststellen, dass türkischstämmige Bewerber zunächst einmal nicht benachteiligt wurden, sofern sie ohne Akzent sprachen. Das ist aber nur beim ersten Anruf der Fall. Im späteren Bewerbungsprozess können sie durchaus noch Diskriminierungen erfahren. Hatten die Bewerber einen Akzent, wurden sie bereits bei der Vergabe des Besichtigungstermins benachteiligt.

Das heißt: Sprache spielt zumindest beim ersten Kontakt eine Rolle…

Das Ergebnis deutet darauf hin, dass Sprache in der Tat eine große Rolle spielt. Dabei kann die Sprache ein Signal für andere unbekannte Merkmale der Bewerber sein, auf die die Vermieter beziehungsweise Makler schließen. Zu diesen Merkmalen gehört die Lebensweise, also die kulturelle Anpassung eines Bewerbers. Sprache ist in dem Fall ein Signal für die kulturelle Nähe oder Distanz. Ein Akzent kann auch ein Signal für die Bildung oder Berufstätigkeit eines Bewerbers und damit letztlich für seine Zahlungsfähigkeit sein. Dies sind für Vermieter besonders relevante und durchaus legitime Kriterien. Diese Argumentation entspricht theoretisch dem Modell der statistischen Diskriminierung: Die Vermieter schließen von einem beobachtbaren auf ein nicht beobachtbares Merkmal. Da sich Zahlungsfähigkeit und Sicherheit von Mietzahlungen nicht direkt beobachten lassen, werden Erwartungen auf der Basis von beobachtbaren Merkmalen gebildet. Und zu denen zählt eben auch der Sprachakzent.

Sie haben in der Studie noch eine zweite Theorie erwähnt: die tastebased- Diskriminierung. Was beinhaltet dieser Ansatz?

Wenn man das in die Alltagssprache übersetzen würde, wäre die taste-based- Diskriminierung so etwas wie Ausländerfeindlichkeit. Sie hat eine hohe emotionale Komponente. Mit der statistischen Diskriminierung lassen sich Vorurteile erklären: Personen schließen von einem beobachtbaren auf ein vermutetes Merkmal. Sie treffen Annahmen darüber, wie häufig in bestimmten Gruppen Merkmale auftreten, die für sie selbst wichtig sind. Menschen, die statistisch diskriminieren, haben nichts gegen Ausländer, sondern – im vorliegenden Fall – gegen Mieter, die ihre Miete nicht zahlen.

Wie hat sich der Hinweis auf eine Berufstätigkeit auf die Entscheidung der Vermieter ausgewirkt?

Anrufer mit türkischem Akzent wurden zwar im Durchschnitt seltener eingeladen, der Unterschied zu den deutschen Anrufern reduzierte sich aber etwa um die Hälfte, wenn sie im ersten Satz mitteilten, dass sie aus beruflichen Gründen umzogen. Das spricht dafür, dass zumindest dieser Teil der Benachteiligung auf eine statistische Diskriminierung zurückzuführen ist. Die Vermieter vermuten offensichtlich, dass bei weniger integrierten türkischen Bewohnern eher mit Mietzahlungsschwierigkeiten zu rechnen ist. Wenn es aber Signale gibt, die diesem Vorurteil widersprechen, nämlich dass der Bewerber berufstätig ist, erhöht sich die Bereitschaft, ihn einzuladen. Ein Teil der Diskriminierung scheint also nicht auf Ausländerfeindlichkeit zu beruhen. Interessant ist allerdings – und damit haben wir vorher nicht gerechnet – dass es bei den deutschen Anrufern einen umgekehrten Effekt gab…,

…dass die Information, wegen eines Jobs umzuziehen, von Nachteil war.

Deutsche, die angaben, aus beruflichen Gründen umzuziehen, wurden im Schnitt seltener zu einem Besichtigungstermin eingeladen. Wir können das nur im Nachhinein interpretieren und es wären weitere Studien nötig, um diese Interpretation zu prüfen.

Was könnte der Grund für diesen negativen Effekt sein?

Da es sich zum Zeitpunkt des Anrufs um eine sehr frühe Phase der Vergabe einer Mietwohnung handelt, gibt es aus Vermietersicht kaum einen Grund, den Kreis der Interessenten unnötig einzuengen. Man lädt interessierte Anrufer einfach zu einem Besichtigungstermin ein. Davon profitieren alle Anrufer, die nicht irgendwie auffallen. Zu denen zählen in unserer Studie nicht nur die Bewerber mit deutschem Namen sondern auch die mit türkischem, sofern sie akzentfrei sprechen. Sobald ein Bewerber in irgendeiner Hinsicht auffällt, zum Beispiel einen ausländischen Akzent hat, wird die Zusageroutine gestört. Das ist anscheinend auch der Fall, wenn Bewerber in dieser frühen Bewerbungsphase unnötig Informationen über sich preisgeben. Der Hinweis, aus beruflichen Gründen umzuziehen, könnte Vermieter vermuten lassen, dass die Person besonders sprunghaft ist und schnell wieder auszieht. Oder dass der Bewerber diese Information strategisch einbringt.

Und warum wirkt es sich ausgerechnet auf Bewerber mit ausländischem Akzent positiv aus, wenn sie angeben berufstätig zu sein?

Bei Bewerbern mit Akzent ist die Routine ohnehin schon gestört. Innerhalb des ausgelösten Reflektionsprozesses ist der zusätzliche Hinweis auf eine Berufstätigkeit dann eher ein positives Signal. Diese Interpretation stützt sich auf die sozialpsychologischen Zwei-Prozess-Theorien: Demnach verhalten wir uns in den meisten Fällen weitgehend spontan und unbedacht. Wenn aber etwas Unerwartetes oder Wichtiges geschieht, werden Reflektionsprozesse angestoßen, in denen die Informationen anders verarbeitet werden. Bei der Vergabe von Besichtigungsterminen sagen Vermieter spontan Termine zu, es sei denn, die Routine wird gestört.

Ihre Studie baut auf Diskriminierungsstudien zum Thema Arbeitsmarkt auf. Worin unterscheiden sich Diskriminierungen auf dem Arbeitsmarkt und auf dem Wohnungsmarkt?

Auf dem Arbeitsmarkt können Bewerber prinzipiell Anstrengungen unternehmen, das Risiko diskriminiert zu werden zu verringern, indem sie in ihr Humankapital, also in eine gute Ausbildung, investieren oder eine besondere Arbeitsmotivation und Engagement an den Tag legen. Man denke an Einstellungstests oder Assessment Center. Der Wohnungsmarkt bietet so etwas eher nicht: Vermieter möchten, dass Mieter ihre Miete zahlen und möglichst wenig Probleme bereiten. Diesem Kriterium können erst einmal sehr viele Menschen genügen und Bewerber können es nicht übererfüllen. Hinzu kommt, dass der Wohnungsmarkt alles andere als ein Wettbewerbsmarkt ist und deshalb Spielraum für Diskriminierung bietet. Vermieter können sich erlauben, Personenkreise von vornherein aus dem Bewerberpool auszuschließen oder „schlechtere“ Bewerber zu akzeptieren, die aber ihren Vorstellungen entsprechen. Das ist auf dem Arbeitsmarkt nicht ohne weiteres möglich: In perfekten Wettbewerbsmärkten wäre eine tastebased- Diskriminierung bei der Einstellung, also eine Diskriminierung aufgrund von Ausländerfeindlichkeit, langfristig nicht stabil. Unternehmen würden sich gegen Konkurrenten schlechter stellen, da sie im Durchschnitt weniger produktive Bewerber akzeptieren müssten.

Kann man daraus auch schließen, dass in Städten mit einem höheren Wettbewerb weniger Diskriminierung stattfindet? Und wäre das eine Erklärung für regionale Unterschiede, etwa zwischen West- und Ostdeutschland?

Wenn der Wettbewerb zwischen Vermietern groß ist, es also ein Überangebot an Mietobjekten gibt, ist tendenziell weniger Diskriminierung zu erwarten. Das würde dann etwa für den Großteil der ostdeutschen Immobilienmärkte gelten. Eine andere Frage ist natürlich, welche Einstellungen Vermieter haben, und da gibt es sicherlich auch regionale Unterschiede. Andererseits weiß man aus sozialpsychologischen Studien, dass Einstellungen nicht immer dem Verhalten entsprechen. Selbst wenn ich also als Vermieter Vorbehalte gegen die Angehörigen einer bestimmten Minderheit habe, kann es dennoch sein, dass ich sie als Mieter akzeptiere.

Für die Studie haben Sie ja die beiden Städte Mannheim und Ludwigshafen ausgewählt…

…was zum einen praktische Gründe hatte. Zum anderen kennzeichnet beide Städte, dass sie einen hohen Ausländeranteil haben und industriell geprägt sind. Bewerber mit türkischem Migrationshintergrund sind hier etwas Alltägliches. Dabei muss man jedoch berücksichtigen, dass der Wohnungsmarkt in den von uns untersuchten Städten nicht so angespannt ist wie beispielsweise in Köln oder München. Hier wäre demnach eher noch mit einer stärkeren Diskriminierung zu rechnen.

Welche Auswirkungen hat dann die ethnische Diskriminierung auf Städteentwicklungen?

Man weiß von Seiten der Forschung noch nicht genug, um das für Deutschland belastbar abschätzen zu können. Wenn es von Seiten der Immobilienmakler zu Diskriminierungen kommt, kann man allerdings mit starken Effekten rechnen, etwa auf die ethnische Segregation. Immobilienmakler sind allein aufgrund der Menge der von ihnen vermittelten Wohnungen mächtige Player in diesem Markt. Sie treffen mitunter eine bestimmte Vorauswahl, um ihren Auftraggebern „attraktive“ Bewerber zu präsentieren – wohlgemerkt ohne dass die eigentlichen Vermieter selbst diese Vorurteile haben müssen.

Haben sich die sozialen Grenzen in Deutschland über die letzten, sagen wir drei Jahrzehnte eigentlich verändert?

Das ist schwierig zu beantworten, weil sich natürlich auch der politische Diskurs gewandelt hat. Daher weiß man bei einer direkten Befragung über die Wahrnehmung bestimmter Gruppen nicht, ob man tatsächliche Veränderungen misst oder es mit vermeintlichen Veränderungen im Sinne der political correctness zu tun hat. Was man sagen kann ist, dass es auf einer Reihe von objektiven Indikatoren Angleichungsprozesse zwischen Mehrheit und Minderheiten gibt – in Deutschland wie auch in den meisten Ländern. So haben wir zum Beispiel in einer Studie festgestellt, dass türkischstämmige Jugendliche in Deutschland durchschnittlich ein sehr viel konservativeres Frauenbild haben als in Schweden. Das liegt daran, dass auch die einheimischen Bevölkerungen sehr unterschiedlich sind, die deutsche Bevölkerung ist hierbei viel konservativer als die schwedische. Entsprechend vertreten auch die türkischstämmigen Jugendlichen in Schweden egalitärere Geschlechterrollen. Es gibt also unterschiedliche Bezugspunkte und Normen, an die im Generationenverlauf eine Annäherung stattfindet.