Des Schutzmanns neue Kleider
Jens Jäger vom Historischen Institut erforscht, wie der Staat die Öffentlichkeitsarbeit für sich entdeckte
Stabile Staaten sollten gegenüber der Bevölkerung ein gutes Bild abgeben. Seit der Aufklärung bemühen sie sich daher zunehmend um Öffentlichkeitsarbeit. Sie lernten die Massenmedien verstehen, warben für Aufrüstung und verpassten Polizisten neue Uniformen.
von Sebastian Grote
„Do steiht ne Schutzmann, dä hät der ganzen Dag noch nix gedon“, hört man Kölner in der fünften Jahreszeit johlen. Der Karnevalsklassiker über den faulen Schutzmann geht auf ein altes Spottlied zurück, mit dem Generationen von Jugendlichen die Obrigkeit provozierten. Auf eine vergleichsweise charmante Weise zieht es die uniformierten Staatsdiener ins Lächerliche. Es sagt allerdings nicht nur etwas über den besungenen Schutzmann aus, sondern auch über das grundsätzliche Verhältnis zwischen Staat und Bevölkerung.
Ob in Volksliedern, Karikaturen oder Kinderbüchern: Die spöttische Darstellung von Obrigkeiten ist immer ein Gegenentwurf zu dem Bild, das diese selbst vermitteln wollen. Dabei gibt es seit der Aufklärung ganz konkrete Überlegungen, wie man das Ansehen staatlicher Institutionen durch gezielte Öffentlichkeitsarbeit verbessern kann. Wenn der Staat etwa in Person des Schutzmanns auf der Straße mit der Bevölkerung in Kontakt tritt, soll er als Partner und nicht als Gegenspieler wahrgenommen werden.
Nichts dem Zufall überlassen
„Das Bild der Polizei bildet die erste Verteidigungslinie, nicht die Polizei selbst. Ist dies ein positives Bild, so wird – grob gesagt – die Zusammenarbeit mit der Bevölkerung begünstigt und das Vertrauen in den Staat und seine Organe stabilisiert“, sagt Professor Jens Jäger vom Historischen Institut. „Ist dagegen das Bild eher negativ, wird der Umgang mit der Bevölkerung kompliziert – und dies hängt zunächst und vor allem vom medial vermittelten Bild der Polizei ab.“
Der Historiker erforscht, wie sich die Repräsentation des Staates in den letzten 250 Jahren entwickelt hat. Dazu arbeitet er sich durch verschiedenste Quellen zu dem Thema, die greifbar sind: Staatswissenschaftliche Literatur, Traktate, Dienstvorschriften und Zeitungsartikel geben Auskunft darüber, wie sich Staatsdiener verhalten sollten und wie dieses Verhalten in der Öffentlichkeit wahrgenommen wurde. Jäger ist davon überzeugt, dass dabei nichts dem Zufall überlassen wurde. „Der Repräsentationsgedanke staatlicher Institutionen beginnt damit, dass diese ihr Verhältnis zur Bevölkerung ganz neu definiert haben. Meiner Meinung nach ist das ein ganz zentraler Baustein der Modernisierung“, erklärt er.
Regieren soll effektiver werden
Seit der Aufklärung werden die Weichen für moderne Staaten gestellt: Rationaler sollen sie werden und sich am Gemeinwohl orientieren. Vordenker wie Johann Heinrich Gottlob Justi und später Carl Julius Bergius publizierten ihre Vorstellungen davon, wie der Staat funktionieren soll und welche Rolle seine Beamten dabei spielen. „Geht es nach ihnen, soll das Regieren durchschaubarer und vor allem effektiver werden, um die personellen Ressourcen sinnvoll einzusetzen“, erklärt Jäger. In ihren staatswissenschaftlichen Abhandlungen definieren sie auch Eigenschaften, die jeder Beamte in den Dienst mitzubringen hat: unter anderem ein freundliches, aber verbindliches Wesen im Umgang mit den Bürgern. Nach und nach findet das Gedankengut zum idealen Beamtenprofil selbst Einzug in die Enzyklopädien. So entstand eine Norm, an der das Verhalten von Staatsdienern gemessen werden konnte. Leitende Beamte reformierten ihre Behörden, die von nun an bereits vor einem realen Aufeinandertreffen mit der Bevölkerung sichtbar sein sollten. Die Bürger wiederum bekamen das Gefühl, dass sie es mit berechenbaren Institutionen statt willkürlichen Übergriffen des Staates zu tun hatten.
PR für den Flottenbau
Der große Medienwandel im 19. Jahrhundert wälzt den Repräsentationsgedanken schließlich noch einmal deutlich um. Immer mehr Informationen erreichen immer schneller immer mehr Menschen. Nachrichten, Fotografien, Karikaturen, Broschüren und Plakate schaffen dadurch neue Machtverhältnisse, denn über die Medien lässt sich das Bild einer Behörde steuern. Allein die Anweisungen eines Ministerpräsidenten oder Behördenleiters zählt dabei nicht mehr viel. Sogenannte Literarische Büros und Pressestellen – anfangs noch relativ dicht unter der Regierung angesiedelt – bekommen den Auftrag, die Arbeit der Behörden in ein gutes Licht zu rücken. „Staatliche Institutionen reagierten auf den Medienwandel mit der Einrichtung von Stellen, die sie sichtbarer machen und für ihr Handeln werben sollten. Dabei ging es zunächst vor allem um große politische Entscheidungen, die im Inland und Ausland positiv dargestellt werden sollten.“, sagt Jäger. Eines der bekanntesten Beispiele dafür war das Nachrichtenbüro des Reichsmarineamts im Deutschen Reich. Es sollte die kaiserliche Marine bekannt und beliebt machen, um die Bevölkerung aber auch Entscheidungsträger auf den Flottenbau im Wettrüsten gegen England einzustimmen. Die öffentliche Meinung wurde so als strategisches Instrument für die neue Weltmachtpolitik eingesetzt.
Wie soll ein Streifenpolizist gekleidet sein?
Aber auch kleinere Institutionen wie lokale Polizeibehörden gingen zur Zeit des Kaiserreichs neue Wege der Öffentlichkeitsarbeit. Die Geschichte der Polizei nimmt in Jägers Forschungsvorhaben eine besondere Rolle ein, denn immerhin ist keine zweite staatliche Institution im Alltag so sichtbar. Anfang der 1870er Jahre startete etwa die Berliner Polizei ihre systematische Pressearbeit mit einem eigens dafür eingerichteten Büro. Die Mitarbeiter suchten den Kontakt zu Medienvertretern, um die Berichterstattung zugunsten der Polizei zu beeinflussen. Selbstrepräsentation und Imagepflege waren aber längst nicht auf Zeitungsartikel beschränkt. Die äußere Erscheinung der Beamten als Repräsentanten der gesamten Behörde beeinflusste ebenfalls die öffentliche Wahrnehmung. „Seit dem 19. Jahrhundert wird die moderne Polizei dauerhaft in der Form uniformierter Beamter für die Bevölkerung sichtbar“, erklärt Jäger. Doch wie soll der einzelne Streifenpolizist gekleidet sein, damit er freundlich und gleichzeitig tonangebend wirkt? Als der britische Innenminister Robert Peel 1829 mit der Metropolitan Police in London die erste uniformierte Polizei im Vereinigten Königreich gründete, legte er großen Wert darauf, dass die Kleidung nicht militärisch aussah. Die Uniform des Polizisten im öffentlichen Raum sollte stattdessen ein friedliches Miteinander zwischen Bürger und Ordnungsmacht betonen.
Das Selbstbild der Polizei sah agile und junge Staatsdiener vor
Das war eine Entscheidung, von der die preußischen Behörden selbst im ausgehenden Jahrhundert noch weit entfernt waren: Hier beherrschte noch die Pickelhaube das Bild des Schutzmanns. Mit seiner prägnanten Kopfbedeckung unterscheidet sich der preußische Polizeibeamte zunächst optisch kaum von einem Angehörigen der Armee. Bis zum Abschied von den militärischen Uniformen sollte es noch einige Jahrzehnte dauern – was jedoch nicht bedeutet, dass sich die deutschen Polizeibehörden damals keine Gedanken über die visuelle Außenwirkung ihrer Beamten gemacht haben: Fotografien von Polizisten sollten nach aller Möglichkeit mit dem in Karikaturen über Staatsmacht vorherrschenden Bild des älteren, dicklichen und schnauzbärtigen Mannes aufräumen. Das Selbstbild der Polizei stattdessen sah agile und junge Staatsdiener vor.
Dein Freund und Helfer?
Erst nach dem Ersten Weltkrieg bemühte sich der preußische Innenminister und Polizeipräsident von Berlin, Albert Grzesinski, um eine Demokratisierung der Polizei. Anstelle ehemaliger Soldaten sollte der Nachwuchs künftig vermehrt aus zivilen Berufen rekrutiert werden. Das hatte Auswirkungen auf Aussehen und Verhalten der Polizisten: „Der neue Beamte sollte ein Repräsentant der demokratischen Ordnung sein. Dazu gehörte ein freundlicher Umgangston ebenso wie der Abbau von Kommunikationsbarrieren“, betont Jäger. Grzesinski gilt als ein möglicher Urheber des Slogans „Die Polizei – Dein Freund und Helfer“. Die neue Außenwirkung der Polizei sollte dabei helfen, Spannungen zwischen Staat und Bevölkerung abzubauen. Ohne militärische Insignien sollte der Schutzmann auf der Straße ein gut funktionierendes ziviles Staatswesen symbolisieren. Er repräsentierte einen Staat, zu dem sich die Bürger freiwillig bekennen. „Wenn sich alle auf diese Norm verstehen, dann braucht man nur einen kleinen Apparat, um diese Norm durchzusetzen“, schlussfolgert Jäger. Denn: „Je gesetzestreuer die Bürger von sich aus schon sind, desto weniger Polizei braucht der Staat.“