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Die Stadt an der Landebahn

Kölner Geographen untersuchen die Stadtentwicklung rund um Flughäfen

 

Früher waren Flughäfen Betonburgen für die Passagierabfertigung – heute eröffnen sie Shoppingcenter und organisieren Konzerte. Bürotürme neben dem Terminal ziehen zugleich Unternehmen an. Wozu noch in die Stadt fahren, wenn man doch alles direkt an der Landebahn haben kann? Ob hier die Städte der Zukunft entstehen, hängt jedoch nicht allein vom Eifer der Betreiber ab.

Die New York Times zählt Frankfurt am Main zu den „52 Places to Go in 2014“. Das begründet sie vor allem mit dem legendären Bahnhofsviertel. Vor nicht allzu langer Zeit noch wegen seiner Drogenproblematik verrufen, trifft sich hier heute die Szene der Mainmetropole. Schon als der Frankfurter Zentralbahnhof im Jahr 1888 vor den Toren der Stadt eröffnet wurde, veränderte er bald auch seine Umgebung. Mit elektrischer Beleuchtung und modernen Straßenbahnen war die Gegend östlich des Bahnhofs ein Ort des Fortschritts, der die Menschen anlockte. Bereits drei Jahre nach der Eröffnung fand auf dem Gelände die Internationale Elektrotechnische Ausstellung statt. Bald prägten weiträumige Boulevards mit fünfstöckigen Geschäftshäusern und luxuriösen Wohnungen den neuen Stadtteil. In kürzester Zeit wuchs auf dem zuvor kaum bebauten Gebiet zwischen Stadtmauer und einstigem Galgenfeld ein Gründerzeitviertel mit Großstadtcharme.
Das was Bahnhöfe Ende des 19. Jahrhunderts auslösten, könnte sich heute ähnlich rund um Flughäfen wiederholen. Denn die bringen schon längst nicht mehr nur Passagiere in den Urlaub oder auf Geschäftsreisen, sondern verstehen sich immer mehr als neue Zentren neben dem eigentlichen Stadtkern. Professor Boris Braun vom Geographischen Institut ist überzeugt, dass Airports in Zukunft stark die Stadt- und Regionalentwicklung mitbestimmen werden. Flughafenbetreiber agieren schließlich zunehmend als private Unternehmen, die inzwischen etliche Geschäftsfelder jenseits des Fliegens erschlossen haben – vor allem in den Bereichen Einzelhandel und Immobilien.

 

Im Fluggeschäft kann immer etwas dazwischen kommen

„Flughäfen treten heute als städtische Akteure auf, die nicht mehr allein eine Infrastruktur stellen“, sagt Braun. Den Grund hierfür sieht der Wirtschaftsgeograph in den unsicheren Einnahmen aus dem Flugverkehr. Daraus erzielen Flughäfen schätzungsweise nur noch die Hälfte ihres Gewinns. Sowohl Passier- als auch Frachtverkehr werden zwar in den kommenden Jahren voraussichtlich noch zunehmen, mit sinkenden Flugpreisen und zunehmenden Treibstoffkosten steigt allerdings der Preisdruck in der Branche. Wirtschaftliche Prognosen sind zudem mit Vorsicht zu genießen, denn im Fluggeschäft kann immer etwas dazwischen kommen. Streiks, Wetter, Ölpreis, Terrorgefahr und Vulkanausbrüche lassen keine sicheren Berechnungen zu. Die Einkaufsmeile im Terminal und die Immobilie direkt neben der Landebahn geben Flughafenbetreibern dagegen auch in unsicheren Zeiten ein gewisses Maß an Planbarkeit zurück. Lange Öffnungszeiten, Konzerte, Sportvorführungen oder Kinderfeste sollen sogar Kunden anziehen, die gar nicht vorhaben, in den Flieger zu steigen. Ganz unabhängig vom Flugverkehr sind diese neuen Einnahmequellen aber nicht. „Ein Flughafen, der weniger Passagiere hat, erzielt auch geringere Einnahmen im Einzelhandel“, betont Braun. „Die Strategie ist es, auf mehreren Füßen zu stehen.“ Ob sich eine Vermarktung abseits des Rollfeldes rentiert, hängt stark von der Art des Flughafens ab. Große Drehkreuze in Metropolen haben hierbei natürlich ganz andere Möglichkeiten als kleine Regionalflughäfen. Die Dynamik rund um Flughäfen, so Braun, ergebe sich vor allem aus ihrem Verhältnis zur Kernstadt.

 

Nach der Landung zu Fuß zum Meeting

Genau hier setzt die Forschung der Wirtschaftsgeographen an. Braun und seine Kollegen untersuchen, wie man es schafft, einen Flughafen in die Stadt zu integrieren und welche Modellvorstellungen dabei realistisch sind. Dementsprechend liegen gar nicht so sehr die Flughäfen selbst im Fokus ihrer Untersuchung, sondern die umliegenden Gebiete und deren Entwicklung. Geographen bezeichnen die Vorteile für ein Unternehmen, wenn es sich in unmittelbarer Nähe eines Flughafens befindet, als katalytische Effekte. „Erstaunlich ist“, so Braun, „dass es nicht bei den Branchen aufhört, die direkt von dem Flugverkehr abhängig sind. Fast alle Unternehmen könnten potenziell von den Vorteilen eines Flughafens profitieren.“ So findet man heute in flughafennahen Gewerbegebieten längst nicht mehr nur Speditionsfirmen. Hauptargument gegenüber Standorten in den Innenstädten ist so gut wie immer die schnelle internationale Erreichbarkeit.
Das Szenario an vielen Flughäfen sieht heute folglich so aus: Geschäftsleute laufen nach Ankunft im Terminal direkt zum Meeting in einen Konferenzraum, Pendler steigen am Flughafenbahnhof vor den Türen ihrer Firma aus und wenn am Wochenende die Einkaufsbummler kommen, stehen genügend Parkhäuser bereit. Braun spricht von einer Erreichbarkeitsökonomie, die das Wachstum rund ums Flughafengelände präge. Der Standortvorteil spiegelt sich auch in Marketingstrategien wider. So feiert sich der Büro- und Einkaufskomplex „The Squaire“ am Frankfurter Flughafen etwa als der am besten erreichbare Ort in ganz Europa. Mit dem Standort allein ist es jedoch nicht getan. Autobahnanschlüsse, U-Bahn-Schächte und ICE-Trassen sind vielmehr nur Mittel zum Zweck für ein ganz neues Verständnis von Flughäfen.

 

„Wir haben hier nicht jeden Quadratmeter zubetoniert“

Wenn man am Düsseldorfer Flughafen das Terminal C zu Fuß in Richtung Süden verlässt, steht man schon wenige Minuten später auf dem Stadtplatz – nicht etwa im Zentrum der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt, sondern in der sogenannten Airport City. Seit dem Verkauf des einstigen Kasernengeländes vor zwölf Jahren wurde dort ein Bürogebäude nach dem anderen hochgezogen.
Auf einer Fläche, die in etwa so groß ist wie beide Landebahnen zusammen, sitzen dort nun Unternehmen wie Porsche und Siemens mit Blick auf das Rollfeld. Verwaltet wird die Airport City von der Flughafen Düsseldorf Immobilien GmbH, einer Tochtergesellschaft des Flughafens. Geschäftsführerin Anja Dauser ist überzeugt, dass die Airport City mehr als ein klassischer Büropark ist. Auch sie führt die gute Anbindung als Hauptargument für den Standort an. Entscheidend sei zudem aber das Prestige durch die unmittelbare Nähe eines der größten Flughäfen Deutschlands. „Man kann sich hier schon wie in einer kleinen Stadt fühlen“, sagt Dauser. Sie glaubt, dass die Airport City als eigenständiger Satellitenstandort außerhalb der Düsseldorfer Innenstadt funktioniert. In einer Broschüre ist gar die Rede von einem Premium-Standort mit hoher Aufenthaltsqualität. Bei dieser Beschreibung denken vermutlich nur die Wenigsten an ein Gewerbegebiet direkt neben dem Flughafen. Dauser zählt daher die Stellen auf, die Erholung vom Arbeitsalltag bieten sollen. Es gebe unter anderem einen Stadtgarten. „Wir haben hier nicht jeden Quadratmeter zubetoniert. Das sind wirklich grüne Lungen.“

 

Der entscheidende Unterschied zu Bahnhöfen

Für Boris Braun ist die Airport City in erster Linie ein Marketingmodell und weniger ein wissenschaftliches: „Was wir in der Forschung favorisieren ist das Modell der Airea.“ Im Gegensatz zu Konzepten wie die Düsseldorfer Airport City sei die Airea sehr viel offener was die Interaktion mit der Stadt und der Region angeht. „Hier gibt es nicht die Vorstellung eines geschlossenen und einfach abgrenzbaren Bereichs, sondern viele flughafenrelevante Inseln innerhalb der Stadt“, so der Geograph weiter. Braun sieht die Verantwortung deshalb auch bei den Kommunen: „Städte würden gut daran tun, Flughäfen nicht als eine großflächige Infrastruktur aufzufassen, die irgendwo weit draußen vor den Toren der Stadt liegt.“ Wenn der Flughafen etwa zum Shoppingcenter würde, verändere sich auch das Zentrum einer Stadt. Dabei haben die Städte in Deutschland oft sogar einen großen Einfluss auf die Planung des Flughafenumfeldes.
Braun und seine Kollegen untersuchen auch australische Flughäfen, deren Betreiber oft große Flächen und viel weniger Einschränkungen haben. „Dort werden den Städten die Planungsrechte für das Flughafengelände entzogen“, sagt Braun. Gerade wegen seiner Nähe zur Innenstadt müssten seiner Meinung nach an einem Flughafen wie Düsseldorf gemischt genutzte Gebiete entstehen und keine reinen Bürotürme oder isolierte Einkaufszentren. „In Deutschland liegen Flughäfen überwiegend in Stadtnähe. Das heißt, dass die Strukturen sehr schnell verschwimmen, während in Asien etwa die Distanz zwischen Flughafen und Stadt oft sehr groß ist“, erklärt Braun. Doch wie lassen sich nur wenige Hundert Meter vom Rollfeld entfernt urbane Räume schaffen, die auch eine gewisse Lebensqualität mitbringen? Genau hier liegt ein gravierender Unterschied zu den Bahnhöfen im 19. Jahrhundert: Flughafenanlagen sind eben nicht nur flächenverbrauchend, sondern erzeugen auch einen enormen Lärm.

 

Die Nächte könnten länger sein

Die Düsseldorfer Airport City verfügt zwar über modernste Bürogebäude, doch niemand wohnt in ihr. Wohnraum direkt am Flughafen sieht das Konzept auch in Zukunft nicht vor. Man habe jedoch, so Anja Dauser, keine Berührungsängste. Schließlich grenze der Stadtteil Unterrath direkt an die Airport City an. Die meisten dieser Nachbarn jedoch sehen in der Nähe zum Flughafen zumindest in den Nachtstunden keinen Standortvorteil. Es gibt in Düsseldorf zwar ein Nachtflugverbot, die Nächte könnten allerdings länger sein. So dürfen Flugzeuge zwischen 22 und 23 Uhr zwar nicht mehr starten, aber noch landen. Wenn eine Maschine verspätet ist, kann sie sogar noch nach 23 Uhr landen. Christoph Lange von der Initiative „Bürger gegen Fluglärm“ kritisiert solche Regelungen stark: „Im Einzelfall mag das sinnvoll sein, als Betroffene haben wir aber das Gefühl, dass es nicht bei Ausnahmen bleibt.“ Die einzige Chance, die Akzeptanz der Bürger zurückzubekommen, sei ein absolut konsequentes Verbot von Nachtflügen. Braun ist sich dieser Problematik bewusst: „Flughäfen sind immer auch Kristallisationspunkte von verschiedenen Ansprüchen aus der Gesellschaft. Sie sind ökonomisch bedeutsam für die Region, die Lebensqualität vor Ort spielt aber auch eine Rolle. Man muss hier zu Kompromisslösungen kommen.“ Debatten wie die um das Nachtflugverbot zeigen einstweilen, dass viele Bauprojekte rund um Flughäfen Städte lediglich imitieren. Ob eine Airport City jemals in der New York Times zu den „Places to Go“ gekürt wird, bleibt zumindest aus heutiger Sicht fraglich.