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Der urbane Wechsel

Weil das Bildungsbürgertum die Großstädte erobert, müssen alte Bewohner weichen

 

Die Großstadt ist das Wohnmodell der Zukunft. Aber wird auch jeder dort leben können? Schon jetzt steigen die Preise für innerstädtischen Wohnraum national wie international stark an, ein Abwärtstrend ist nicht in Sicht. Die Soziologen Prof. Dr. Jürgen Friedrichs (Universität zu Köln) und Prof. Dr. Jörg Blasius (Universität Bonn) untersuchen, wie sich dadurch die Veedel in Köln verändern.

Der Theorie nach vollzieht sich der Entwicklungsprozess eines Stadtteils in vier Schritten: Zunächst ziehen so genannte Pioniere in ein Viertel. Zu ihnen gehören Studierende, Künstler oder ganz allgemein gesprochen Trendsetter – Menschen, mit vergleichsweise hohem Bildungsgrad, die nach günstigem, aber schönem Wohnraum suchen. Und schöner Wohnraum bedeutet nach ihrer Definition ein Altbauviertel in zentraler Lage. Der Kölner Stadtteil Deutz ist so ein Viertel. Deutz hat eine gute Verkehrsanbindung, viele Altbauten und bietet durch den Ausbau der Messehallen und die Ansiedlung neuer Unternehmen viel Veränderungspotential. Und anders als im linksrheinischen Raum sind die Mieten in Deutz noch günstig.

 

Die Medien spielen eine Rolle

Die Pioniere machen einen Stadtteil attraktiv. Neue Geschäfte eröffnen, es gibt mehr Kulturangebote und Szenelokale. Das lässt wiederum eine neue Gruppe auf den Stadtteil aufmerksam werden: die Gentrifier – Menschen mit hohem Bildungsgrad und überdurchschnittlichem Einkommen. In den Medien lesen sie etwas über ein neues Viertel, sie nehmen dessen Kulturangebote wahr und irgendwann ziehen sie selbst dorthin.
Die Gentrifier, so erzählt der Kölner Soziologe Prof. Dr. Jürgen Friedrichs, lassen sich in verschiedene Gruppen unterteilen. Frühe Gentrifier etwa können ehemalige Pioniere sein, die nun einen ersten festen Job haben und eine Familie gründen. Sie können aber auch neu in das Viertel ziehen. Allgemein gesprochen sind sie jung, gut gebildet, haben einen festen Job, verdienen aber noch nicht allzu viel. Weil sie nach neuen Wohnungen im Viertel suchen und in der Regel mehr finanziellen Spielraum haben als die alteingesessenen Bewohner, sind sie bereit, mehr zu zahlen. Nach den frühen Gentrifiern kommen die etablierten. Sie verdienen gut und können sich eine sanierte Altbauwohnung leisten. Wohnraum wird aufgewertet, die Mieten steigen und viele Wohnungen werden in Eigentum umgewandelt. Für Investoren ist das ein lukratives Geschäft. „Aus einer Befragung von fünf Immobilienunternehmen wissen wir, dass diese im rechtsrheinischen Raum Eigentümer auffordern, ihr Haus schätzen zu lassen“, sagt Friedrichs. Solche Prozesse führen dann zu einem vierten und letzten Schritt: Die alteingesessene Bevölkerung und mit ihr auch die Pioniere werden verdrängt, weil Wohnungen renoviert und teurer vermietet oder als Eigentumswohnungen veräußert werden. Schließlich entwickeln sich manche Viertel so weit, dass hier exklusiv luxuriöser Wohnraum entsteht. Für Köln ist das Gerlingviertel ein typisches Beispiel.

 

Der rechtsrheinische Raum entwickelt sich

Soweit ist Deutz noch lange nicht. Der rechtsrheinische Raum befindet sich jedoch in einer massiven Entwicklungsphase. Jürgen Friedrichs und Jörg Blasius haben deshalb die Stadtteile Deutz und Mülheim unter die Lupe genommen. Sie seien besonders gut geeignet, um die postulierten Entwicklungsschritte des Invasions-Sukzessions-Modells empirisch zu überprüfen. Das Modell beschreibt die einzelnen Phasen der Gentrifizierung, also der Entwicklung eines Stadtteils nach dem oben beschriebenen Muster. Dabei vermuten die Wissenschaftler, dass sich Deutz bereits in einem fortgeschritteneren Entwicklungsstadium befindet als Mülheim.

 

50.000 neue Einwohner für Köln

Köln wird in den nächsten Jahren stark wachsen. Laut Prognose des Amts für Stadtentwicklung und Statistik der Stadt Köln wird die Domstadt bis 2030 mindestens 50.000 neue Einwohner gewinnen. 2,7 Prozent waren es allein in den letzten zwei Jahrzehnten. Vor allem junge Menschen im Alter zwischen zwanzig und vierzig Jahren zieht es in die Stadt. Und anders als andere Großstädte verzeichnet Köln mehr Geburten als Sterbefälle. Diese an sich erfreuliche Entwicklung hat ein Manko: In Köln wird es eng und der Druck auf den innerstädtischen Wohnraum nimmt zu. Dabei wird sich der Prozess immer mehr auch auf die rechtsrheinischen Viertel ausweiten.
Deutz und Mülheim stehen dabei besonders im Fokus. Sie haben eine zentrale Lage – Deutz unmittelbar gegenüber dem linksrheinischen innerstädtischen Kern, Mülheim etwas weiter nördlich, aber verkehrstechnisch gut angebunden. Mit der Renovierung der alten Messehallen in Deutz Anfang der 2000er Jahre und dem Einzug neuer Unternehmen, zum Beispiel des Fernsehsenders RTL vor fünf Jahren, veränderte sich der ehemalige Arbeiterstadtteil. Auch in Mülheim siedeln sich nach dem Einbruch des produzierenden Gewerbes neue Firmen aus der Kultur- und Kreativbranche an.

 

Perspektivwechsel Wohnung

Jürgen Friedrichs und Jörg Blasius untersuchten beide Stadtteile über einen Zeitraum von vier Jahren. 2.500 Haushalte wurden angeschrieben und interviewt, um messen zu können, ob sich das Phasenmodell für den Gentrifizierungsprozess der Kölner Viertel nachweisen lässt. Ein Novum ihrer Studie ist das Verfahren. Statt in wechselnden Stichproben Personen zu befragen, betrachteten die Wissenschaftler die Wohnung als Messeinheit: Sie dokumentierten, wer wann in eine Wohnung zog und sie gegebenenfalls wieder verließ. Der Vorteil dieses Perspektivwechsels ist, dass sich so eine veränderte Nutzung der Wohnungen messen lässt.
Die Gentrification-Forschung unterscheidet Ansätze danach, ob sie die Perspektive der Nachfrageseite oder der Angebotsseite einnehmen. Forschungsansätze, die von der Nachfrage als Treiber für die Veränderung eines Viertels ausgehen, vermuten, dass sich die Wohnpräferenzen zugunsten eines urbanen Lebensstils verändert haben. Menschen ziehen es vor, in einer Großstadt zu leben und dies ändert sich auch nicht, wenn sie eine Familie gründen. Die Angebotstheorie vermutet, dass sich Investigationsstrategien der Immobilienwirtschaft ändern und innerstädtische Quartiere wieder aufgewertet werden. Letztendlich, sagt Friedrichs, müssen beide Ansätze herangezogen werden, um das Phänomen der Gentrifizierung ausreichend zu erklären. Die aktuelle Studie konzentriere sich auf die Nachfrageseite, berücksichtige dabei aber sowohl eine soziale als auch eine ökonomische Dimension. Die soziale Dimension meint den Zuzug unterschiedlicher Akteure und die damit verbundene Verdrängung anderer Bevölkerungsgruppen; die ökonomische die Veränderung des Wohnraums durch Aufwertungsprozesse.

 

Vier Dimensionen der Gentrifizierung

Forschungsarbeiten zur Gentrifizierung gehen von vier Dimensionen aus, die sich gegenseitig beeinflussen: Die Bevölkerung verändert sich, Immobilien werden durch Sanierung aufgewertet, die lokale Infrastruktur passt sich an und schließlich erfährt das Viertel einen symbolischen Wandel, der auch durch die Medien beeinflusst wird. Das wohl prominenteste Beispiel in Deutschland ist die Veränderung des Berliner Stadtteils Prenzlauer Berg.
In Deutz und Mülheim vollziehen sich die Prozesse auf die prognostizierte Weise, wie die Ergebnisse der aktuellen Studie von Friedrichs und Blasius zeigen. Deutz befindet sich dabei schon in der Phase, in der sich Pioniere und Gentrifier gleichmäßig über das Viertel verteilen. In Mülheim gibt es noch weniger etablierte Gentrifier und die Zugezogenen wohnen in bestimmten Teilen des Viertels. Erstaunlich ist, dass Pioniere und Gentrifier offenbar zur selben Zeit zuzogen. „Wo immer allerdings in Deutschland untersucht worden ist, zeigte sich, dass die Pioniere nie allein in ein Viertel gezogen waren, sondern mit ihnen die Gentrifier“, fasst Jürgen Friedrichs die Ergebnisse deutscher Studien zusammen. „Gegebenenfalls muss man die Viertel zu einem noch viel früheren Zeitpunkt untersuchen.“ Möglicherweise müsse man aber auch zu dem Schluss kommen, dass die in der Literatur beschriebene erste Phase der Gentrifizierung nicht stimme.

 

Auch linksrheinisch gibt es noch Veränderungspotenzial

Auch wenn sich die Aufwertungsprozesse in den kommenden Jahren im rechtsrheinischen Teil Kölns abspielen werden, sind sie links des Rheins noch lange nicht abgeschlossen. Stadtteile wie Ehrenfeld und Nippes liegen dabei besonders im Fokus. Durch die Internationalisierung des Wohnungsmarkts wird die Dynamik immer mehr an Fahrt gewinnen. Das betrifft vor allem die letzte Phase des Aufwertungsprozesses. „Es gibt eben auch eine internationale Nachfrage und damit erschließt sich ein riesiger Markt, der besonders durch das Internet getrieben wird“, so Friedrichs.
Fraglich ist, wo dabei die aus den Vierteln verdrängte Bevölkerung verbleibt. „Das ist schwer zu messen“, erläutert Friedrichs. Man müsse in Interviews mit Fortgezogenen nachweisen können, d
Die Kehrseite des Aufwärtstrends ist, dass sich ärmere Bevölkerungsgruppen künftig in bestimmten Gebieten wiederfinden; in der Regel in den unattraktiveren Randzonen einer Stadt. Denn die Wahrscheinlichkeit, dass attraktive innerstädtische Viertel auch wieder einen Abwärtstrend erfahren, ist gering. Kreuzberg hat solche Schwankungen in früherer Zeit erfahren. Solange der Wohnraum in Köln aber stark nachgefragt wird, ist damit nicht zu rechnen.