Beete auf Beton
Auch in Hanoi, Jakarta und Hongkong mehren sich Strategien des urbanen Gartenbaus
Bürgerinnen und Bürger westlicher Großstädte nehmen die Begrünung ihrer Städte zunehmend selbst in die Hand. Diese speziellen Formen städtischen Gartenbaus – besser bekannt als Urban Gardening – werden im Straßenbild von Tag zu Tag sichtbarer. Die Stadt der Zukunft ist ohne sie kaum vorstellbar. Auch in südostasiatischen Metropolen mehren sich in den letzten Jahren entsprechende Tendenzen. Ein neues Forschungsprojekt der Kölner Juniorprofessorin Dr. Sandra Kurfürst vergleicht Charakteristika des deutschen Urban Gardenings nun mit den besonderen Ausprägungen in Hanoi, Jakarta und Hongkong.
Wann fängt ein Garten an? Manchmal reicht schon ein kleiner Blumentopf mit Basilikum aus, um etwas Grün ins städtische Grau zu tupfen. An allen möglichen Stellen tauchen seit einigen Jahren in deutschen Städten Bepflanzungen auf; zielstrebig sucht sich die Flora ihren Weg in den öffentlichen Raum. Manche Mitbürger züchten Zucchini und Tomaten auf Dächern, manche schmücken die Baumplatte vor dem Haus mit blühenden Pflanzen, andere lassen die Pfosten am Straßenrand mit Salbei und Thymian umranken. Wieder andere gründen Initiativen, um Brachflächen in Gartenflächen zu verwandeln. Ob Schrebergarten oder Guerilla-Taktik am Bordstein: Viele Bürgerinnen und Bürger wollen in Zeiten leerer kommunaler Kassen das zukünftige Aussehen ihrer Stadt nicht der Politik überlassen. Urban Gardening ist Zeitgeist in der Großstadt von heute.
Gemeinsames Gärtnern, bewusstes Ernähren
Die Kommunen reagieren unterschiedlich. Mal werden unautorisierte Blumentöpfe wieder abgeräumt, mal Baumplatten an Paten vermietet, mal mit Bürgerinitiativen über die Freigabe von Brachflächen verhandelt. Eines der bekanntesten Beispiele in Deutschland ist der Prinzessinnengarten am Berliner Moritzplatz. Seit 2009 gärtnern hier hunderte Bürgerinnen und Bürger in einem riesigen öffentlichen Gemeinschaftsgarten. Aber auch in anderen deutschen Großstädten ist Urban Gardening längst prägend geworden. Die Formen sind dabei vielfältig, längst geht es nicht mehr nur um eine schönere Stadt. Ein wachsendes Bedürfnis nach regionalen und saisonalen Waren, nach einem ökologisch verträglicheren Nahrungsanbau, nach einer gewissen Unabhängigkeit von großen Supermarktketten und nicht zuletzt die Freude am Gärtnern selbst spielen hierzulande eine große Rolle. Viele Konzepte sprechen dabei das Gemeinschaftsgefühl an. Man trifft sich im Garten, tauscht Erfahrungen aus, erntet und kocht manchmal sogar zusammen. Auch in Köln entstehen immer mehr entsprechende Beispiele urbanen Gartenbaus – ob am Brüsseler Platz, am alten Gelände der Dom-Brauerei, am Hochbunker Ehrenfeld oder im CampusGarten der Universität.
Blick auf Südostasien
Das Phänomen des Urban Gardenings rückt in den letzten Jahren mehr und mehr in den Fokus der Wissenschaft – sowohl aus städteplanerischer, als auch aus ökologischer und soziologischer Perspektive. Dabei hat die Beobachtung des südostasiatischen Raums bislang kaum eine Rolle gespielt. Das Forschungsvorhaben ‚Urban Gardening – use and symbolic-communicative functions of urban food production‘ der Kölner Wissenschaftlerin Dr. Sandra Kurfürst vom Institut für Südasien- und Südostasienstudien will das ändern.
Seit mehr als zehn Jahren beschäftigt sich die Juniorprofessorin für Cross-cultural and Urban Communication bereits mit Stadtforschung in Südostasien. Dabei sind ihr während vergangener Forschungsaufenthalte vor allem in Hanoi und Hongkong Bepflanzungen begegnet, die sie an Formen des Urban Gardening in westlichen Großstädten erinnern. Daraus ist nun ein Projekt entstanden. „Mich interessiert, inwiefern man die Beweggründe des Gärtnerns in diesen beiden Metropolen zum Beispiel mit Hamburg oder Berlin vergleichen kann“, sagt Kurfürst. „Das betrifft vor allem die Frage nach dem Willen zur Mitgestaltung, nach dem Verhältnis von Staat und Gesellschaft sowie nach der Schaffung von Kommunikations- und Interaktionsräumen innerhalb der Bevölkerung.“
Alternativer Lebensstil trifft auf ländliche Tradition
In Hanoi wie auch in Jakarta und Hongkong beobachtet Kurfürst verschiedenste Formen städtischen Gartenbaus, die sich auf den ersten Blick nur wenig von deutschen Konzepten unterscheiden. Die Bewohnerinnen und Bewohner bepflanzen Balkone, Hausdächer, aber auch Brachflächen. Um sich den Besonderheiten des Urban Gardenings in Südostasien zu nähern, besucht sie Projekte und fragt in Einzelgesprächen und per Leitfaden nach der Motivation der gärtnernden Städterinnen und Städter. Dabei klärt sie das Was und Wo des Anbaus, fragt aber auch nach der Lebens-, Wohn- und Einkommenssituation.
„Wenn man die Bedeutung des städtischen Gartenbaus in diesen Metropolen verstehen will, muss man sich die Hintergründe bewusst machen“, so Kurfürst. Vor allem in Hanoi besteht eine Tradition des Gärtnerns, die sich von deutschen Städten unterscheidet. Seit der Gründung im 11. Jahrhundert bilden Agrarflächen und Gärten einen integralen Bestandteil der Stadt. Gartenbau als Nahrungsproduktion ist daher in Hanoi allgegenwärtig. Menschen mit geringem oder gar keinem Einkommen verschaffen sich schon seit vielen Jahrhunderten zusätzlich Nahrung und vielleicht sogar eine kleine Erwerbsmöglichkeit, indem sie ihre Erzeugnisse auf den Straßenmärkten verkaufen. „Diese Art der Subsistenzwirtschaft wird seitens des Staats und der urbanen Elite oft als rückständig und einer modernen Metropole unangemessen betrachtet“, erklärt Kurfürst. Auch Hygieneprobleme – 2008 gab es in Hanoi den letzten Choleraausbruch – führen neuerdings zu einer stärkeren politischen Reglementierung von Straßenmärkten. Und doch beobachtet die Wissenschaftlerin eine Zunahme des städtischen Gartenbaus – nun allerdings vor allem bei der betuchteren Bevölkerung: „Viele Hanoier bedienen sich neuerdings Methoden der Nahrungsmittelversorgung, die oft mit einer ländlichen Tradition assoziiert werden. Das widerspricht dem Bild, das man in Vietnam bislang von einer zeitgemäßen Metropole hatte.“ Die vorherrschende Vorstellung von Fortschritt und Zukunft befindet sich im Wandel.
Furcht vor Pestiziden und Krankheiten
Hauptgrund für die Zunahme von Urban Gardening in Südostasien ist – das zeigen die ersten Recherchen des Projekts bereits jetzt – die Sorge um die Gesundheit. „Die aufkommende Mittelschicht vertraut weder den Händlerinnen auf der Straße noch den Waren im Supermarkt. Bei ersteren ist es die Angst vor mangelnder Hygiene, bei letzteren die Furcht vor Pestiziden“, sagt Kurfürst. Vor allem Familien mit Kindern versuchen deshalb, Kräuter und ein wenig Gemüse selbst zu produzieren und so wenigstens einen kleinen Teil der Nahrung pestizidfrei zu wissen. So mehren sich auf den Balkonen und Hausdächern Hanois die Reihen bepflanzter Milchtüten und Blumentöpfe, in denen Beigaben zum täglichen Bedarf angebaut werden.
„Nahrungsmittelsicherheit ist vor allem in Hanoi ein ganz wichtiges Thema. Dem Staat traut man kaum zu, diese Problematik in den Griff zu kriegen. Sich selbst als Gärtnerinnen und Gärtner zu versuchen, auch ohne eigene Grünflächen, ist eine naheliegende Alternative. Produziert werden dabei vor allem Kräuter, die zu jedem vietnamesischen Gericht gehören, oder kleine Portionen an Gemüse, die dann den typischen Reissuppen für Kinder beigemischt werden“, erklärt Kurfürst. Solange die Menschen in Südostasien kein Vertrauen in die Qualitätssicherung der Nahrungsversorgung haben, werden, so vermutet die Wissenschaftlerin, noch mehr Städterinnen und Städter zu urbanen Gärtnern werden. Denn die Chancen, politisch mitmischen und auf diesem Wege etwas verändern zu können, halten die meisten dort oft für sehr gering.
Individualisierte Mini-Gärten statt Gemeinschaftsinitiativen
In den Beziehungen zwischen Staat und Gesellschaft sieht Kurfürst daher einen der größten Unterschiede zu den Tendenzen in Deutschland: „Hierzulande weisen viele Formen des Urban Gardenings auf eine engagierte städtische Öffentlichkeit hin. Fast immer ist ein deutlicher Wille zur nachhaltigen Mitgestaltung erkennbar, der seitens der Politik häufig sogar gern gesehen wird. Für Hanoi und Hongkong lässt sich Vergleichbares bislang nicht feststellen.“ Der Austausch beschränkt sich auf Internetforen oder den engsten Freundeskreis, das Gärtnern selbst bleibt im Wesentlichen auf die eigene kleine Familie, den eigenen Balkon oder das eigene angemietete Beet begrenzt. „Aushandlungsprozesse zwischen Bewohnerinnen und Bewohnern und Vertreterinnen und Vertretern des Staates gibt es in Hanoi bisher nur vereinzelt und auf individueller Basis, zum Beispiel über die temporäre Nutzung von als Bauland ausgewiesenen Flächen. Diese Nutzung wird geduldet, allerdings dürfen nur diejenigen Personen ernten, die die Pflanzen auch angebaut haben“, so Kurfürst.
Ein Bedürfnis, Urban Gardening als Social Event zu betreiben, scheint es bisher weder in Hanoi noch in Hongkong zu geben. Für Jakarta wird dies noch untersucht. Auch staatlich organisierte Konzepte wie die „essbare Stadt”, bei der wie im rheinland-pfälzischen Andernach öffentliche Grünflächen mit Obst und Gemüse bepflanzt werden und von allen Bürgerinnen und Bürgern geerntet werden dürfen, hat Kurfürst in Südostasien bislang vergeblich gesucht. Ebenso wenig konnte sie die stark politisierte Form des Guerilla Gardenings beobachten, bei der im Sinne eines zivilen Ungehorsams zum Beispiel Blumenbomben im öffentlichen Raum verteilt werden. „Das Vorgehen der städtischen Gärtnerinnen und Gärtner ist in jeder Hinsicht stark auf individuelle Bedürfnisse zugeschnitten und verharrt im kleinsten Kreis. Die kommunikative, soziale und politische Komponente scheint nach jetzigem Forschungsstand kaum eine Rolle zu spielen“, schildert die Wissenschaftlerin. Besonders deutlich wird dies in Hongkong: Dort werden Blumentöpfe in verschiedenen Breiten und Höhen vor allem von privaten Firmen mit kommerziellem Interesse vermietet. Die Bewirtschaftung und Pflege kann man bei Bedarf gleich mit mieten.
Beobachtungen wie diese liefern Kurfürst einen ganzen Pool an Informationen, die Rückschlüsse auf den Zustand und die Entwicklung städtischer Gesellschaften möglich machen. Steuerungsmechanismen und Aushandlungspotentiale zwischen Verwaltung und Bevölkerung werden ebenso deutlich wie die Interaktionen der Bewohnerinnen und Bewohner untereinander. „Empirisch eröffnet sich hier ein riesiger Reichtum“, erklärt Kurfürst ihr Interesse. „Die verschiedenen Konzepte von Urban Gardening spiegeln die Kreativität der Städter im Alltag sowie die sich verändernden Zukunftsvorstellungen wider.“
Sandra Kurfürst wird weiter beobachten, wie sich die Situation in Hanoi, Jakarta und Hongkong entwickelt. Wird es Zusammenschlüsse der urbanen Gärtnerinnen und Gärtner geben? Wird sich daraus möglicherweise doch eine Bewegung mit politischer Kraft entwickeln können? Kurfürst bleibt skeptisch. Aber auch wenn der Wille zur Veränderung großstädtischen Lebens bislang nur beim Einzelnen und im engsten Familienkreis beobachtet werden kann: Viele einzelne Blumentöpfe ergeben zusammen einen großen grünen Garten.