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Schluss mit Niesen und Kratzen

Mediziner erforschen neue Therapiemethoden gegen Allergien

 

Ständig laufende Nase, Atemnot, quälender Juckreiz – Allergien können einem den Tag ganz schön vermiesen. Mediziner an der Uniklinik Köln versuchen, die überschießenden Immunreaktionen zu bändigen, etwa mit einer Schluckimpfung gegen die Hausstaubmilbenallergie. Bei der chronischen Nesselsucht ist jetzt sogar erstmals ein Medikament in Aussicht, das nicht nur die Symptome unterdrückt.

 

Eigentlich hat das Immunsystem alles hervorragend geplant: Wenn fremde Erreger, sogenannte Antigene, in den Körper eindringen, ziehen Antikörper die potenziell gefährlichen Störenfriede sofort aus dem Verkehr. Jeder Antikörpertyp hat dabei seine besondere Aufgabe: Immunglobulin E ist auf die Abwehr von Würmern und anderen Parasiten spezialisiert. Aber bei vielen Menschen ist dieses System außer Kontrolle geraten: Sie bilden plötzlich Immunglobulin E gegen an sich harmlose Substanzen, beispielsweise Gräserpollen oder Katzenhaare; bei Kontakt kurbeln die Antikörper eine heftige Abwehr- und Entzündungsreaktion an.

Die Auslöser einer Allergie heißen Allergene – gegen sie richtet sich die fehlgeleitete Immunantwort. „Allergiker gegen Gräser leiden etwa von April bis August, aber Patienten, die gegen Hausstaubmilben allergisch sind, trifft es das ganze Jahr über“, sagt Nicolas Hunzelmann, Allergologe an der Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Venerologie der Uniklinik Köln. Im Allergiekompetenzzentrum diagnostiziert und behandelt er Allergien jeglicher Art. „Hausstaubmilben kommen zudem überall auf der Welt vor.“

Die winzigen Spinnentiere, die unter anderem in Betten, Sofas oder auf staubbedeckten Büchern leben, sind selbst nicht die Auslöser der Immunreaktion – es ist ihr Kot, auf den Hausstauballergiker reagieren oder genauer: einzelne Substanzen darin. Sieben Allergene im Milbenkot haben Forscher bisher identifiziert, darunter das Eiweiß Der p1, vermutlich ein ausgeschiedenes Verdauungsenzym. Die Patienten antworten darauf mit Dauerschnupfen, Niesanfällen oder Augenjucken. „Bei einigen sind auch die unteren Atemwege betroffen“, sagt Hunzelmann, „sie leiden unter starkem Asthma. Die Luftwege verengen sich und die Patienten bekommen keine Luft mehr.“  

 

Unter die Zunge statt unter die Haut

 

Bei leichten Allergien gegen Hausstaubmilben reicht es oft schon aus, wenn die Tierchen sich in der Wohnung weniger heimelig fühlen – sprich der Allergiker seine Bettwäsche regelmäßig heiß wäscht, dicke Samtvorhänge meidet und vor allem im Winter oft sein Schlafzimmer lüftet. Ist die Allergie aber schwerwiegender, empfiehlt sich zusätzlich eine Hyposensibilierung: Der Arzt verabreicht dem Patienten regelmäßig den Allergieauslöser, bis der Körper die fremde Substanz toleriert und die Allergiesymptome nachlassen. Unter anderem bildet das Immunsystem während der Therapie allergenspezifisches Immunglobulin G; diese Antikörper können das Ausmaß der allergischen Reaktion bei Kontakt mit dem Auslöser hemmen. Vom Prinzip her wirkt eine Hyposensibilisierung ähnlich einer Impfung.

 

In der praktischen Anwendung hieß das bisher: Der Patient muss drei Jahre lang regelmäßig in die Arztpraxis kommen und erhält dort Spritzen mit dem aufgereinigten Allergen. Seit einigen Jahren erforschen Mediziner eine neue Form der Verabreichung, berichtet Nicolas Hunzelmann: „Bei der sublingualen Immuntherapie bekommt der Allergiker eine Tablette mit dem Allergen unter die Zunge, wo sie sich auflöst und von dort über die Mundschleimhaut mit dem Immunsystem Kontakt aufnimmt“, so der Mediziner.

Täglich eine Tablette zu Hause statt alle paar Wochen eine Spritze in der Arztpraxis – die Vorteile liegen auf der Hand. „Außerdem sind die möglichen Nebenwirkungen bei der sublingualen Immuntherapie geringer“, sagt Hunzelmann. Wird das Allergen per Spritze verabreicht, kann es in sehr seltenen Fällen zu schweren, sogar lebensbedrohlichen allergischen Schocks kommen. Bei der Tablette ist das kaum möglich. Häufig treten dabei als Nebenwirkungen lediglich Schwellungen an der Mundschleimhaut auf. Die Lösungen für die klassische, subkutane Verabreichung der Immuntherapie enthalten im Vergleich zur sublingualen Gabe viel geringere Mengen Allergen.

„Die Befürchtung war zunächst, dass der Patient bei einer Verabreichung in Tablettenform zu wenig Allergen aufnimmt, damit es wirkt“, sagt Hunzelmann. „Aber diese Bedenken haben sich nicht durchgesetzt.“ Mehrere große Studien haben gezeigt, dass die sublinguale Immuntherapie erfolgreich gegen Heuschnupfen, zum Beispiel aufgrund einer Allergie gegen Gräserpollen wirkt.

Bisher weiß man allerdings noch nicht, ob sie auch bei den Patienten hilft, die an einer starken Hausstaubmilbenallergie mit Asthma leiden. Das untersuchen Nicolas Hunzelmann und seine Kollegen jetzt in einer klinischen Studie. „Wir wollen herausfinden, ob man mit der sublingualen Immuntherapie nicht nur schnupfenartige Beschwerden, sondern auch das Asthma beeinflussen kann.“ Bisher rät die aktuelle Leitlinie der Deutschen Gesellschaft Allergologie und klinische Immunologie davon ab, die Methode bei Patienten mit allergischem Asthma anzuwenden. Es ständen einfach noch zu wenige Daten zur Verfügung.

 

Juckreiz – schlimmer als Schmerz

 

Nicht bei allen Allergikern kennen Ärzte die Ursache für die heftige Immunantwort; in einigen Fällen wissen sie auch nach sorgfältiger Anamnese und allen verfügbaren Untersuchungen nicht, was der Auslöser ist – so wie bei der Urtikaria, der chronischen Nesselsucht. „Die Patienten wachen nachts auf, sie sind übersät mit roten Quaddeln und leiden unter grauenhaftem Juckreiz“, beschreibt Nicolas Hunzelmann die Krankheit. Das hält einige Stunden an, dann verschwinden die Quaddeln wieder, um kurze Zeit später an anderer Stelle aufzutauchen.

Bei weniger als fünf Prozent der Patienten lässt sich eine äußere Ursache für das Leiden finden, beispielsweise eine Allergie gegen bestimmte Farb- und Konservierungsstoffe in der Nahrung. Selten führen auch physikalische Reize wie Kälte oder Wärme eine Nesselsucht herbei. Und oft gibt es auch gar keinen äußeren Auslöser, sagt Hunzelmann: „Bis zu ein Viertel der Patienten reagieren mit Quaddelbildung an der Injektionsstelle, wenn man ihnen ihr eigenes Blutserum in die Haut spritzt. Das heißt, es handelt sich nicht um eine Allergie im eigentlichen Sinne, sondern möglicherweise auch um eine Autoimmunreaktion.“ Der genaue Mechanismus ist den Medizinern allerdings noch ein Rätsel.

Eine ursächliche Therapie gegen die chronische Nesselsucht gibt es bisher nicht. „Sie können lediglich die Symptome bekämpfen, sprich mit Antihistaminika die Rezeptoren des Botenstoffs Histamin blockieren“, sagt Hunzelmann. Histamin vermittelt im Körper die Abwehr- und Entzündungsreaktion. „Aber viele Urtikaria-Patienten sind selbst mit  der vierfachen Dosis an Antihistaminika nicht beschwerdefrei.“ In ganz schlimmen Fällen kann für einen begrenzten Zeitraum auch Cortison den Patienten Erleichterung verschaffen. Sonst stehen keine Therapiemöglichkeiten zur Verfügung. „Viele Patienten sind verzweifelt“, sagt der Allergologe.

 

Ein Anti-Antikörper in Erprobung

 

Um die chronische Nesselsucht zu behandeln, hat Nicolas Hunzelmann mit Medizinerkollegen in ganz Deutschland ein neues Medikament getestet. Der Wirkstoff namens Omalizumab ist bereits zugelassen – allerdings zur Behandlung von schwerem allergischem Asthma. Die Substanz wirkt als Anti-Antikörper: Sie bindet und neutralisiert Immunglobulin E. „Man ist durch Zufall darauf gekommen, dass dieser Wirkstoff auch bei chronischer Nesselsucht helfen könnte“, sagt Hunzelmann. Ein Patient, der gleichzeitig an Asthma und Urtikaria litt, hat das Medikament bekommen – und siehe da, die Quaddeln gingen ebenfalls weg. „Daher haben wir uns das in einer klinischen Studie genauer angesehen.“ Initiiert hat die Studie der Arzt Marcus Maurer vom Allergie-Centrum der Berliner Charité. Mitgemacht haben insgesamt 16 klinische Zentren in Deutschland.

42 Patienten mit chronischer Nesselsucht zwischen 18 und 70 Jahren nahmen an der Studie teil. Die Hälfte der Probanden bekam das Medikament ein knappes halbes Jahr lang regelmäßig unter die Haut gespritzt, die andere Hälfte erhielt ein Placebo. Schon nach einer Woche besserte sich der Zustand der Patienten mit Omalizumab. Nach einem halben Jahr waren fast drei Viertel dieser Probanden vollkommen frei von den lästigen Quaddeln, über die Hälfte gaben an, überhaupt keine Symptome mehr zu haben. Insgesamt mussten alle Patienten sehr viel weniger Antihistaminika schlucken als normalerweise. Die beobachteten Nebenwirkungen waren gering, das Medikament gut verträglich. Die Studie war ein voller Erfolg.

 

Endlich ein Medikament gegen die chronische Nesselsucht?

 

„Die Behandlung erhöhte die Lebensqualität der Patienten enorm“, sagt Hunzelmann. Erstmals besteht damit Aussicht auf ein Medikament, das die Ursache der Urtikaria an der Wurzel packt. „Das ist ein großer Fortschritt“, so der Mediziner, „man kann sagen: ein Quantensprung in der Behandlung der Urtikaria.“ Momentan läuft eine zweite klinische Studie, um das Medikament für die Therapie der chronischen Nesselsucht zuzulassen. Wenn sie erfolgreich ist, kann man den Ärzten schon bald etwas Wirksames in die Hand geben, mit dem sie ihre Urtikaria-Patienten behandeln können. 

Wie das Medikament genau wirkt, ist bisher nicht klar. Mehrere Arbeitsgruppen versuchen jetzt, den Mechanismus auf biochemischer Ebene zu entschlüsseln.