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Heute Regen, morgen Sonne

Prognosen sollen genauer werden

 

Wettervorhersagen stimmen nicht immer – das weiß jeder aus eigener Erfahrung. Kein Wunder, schließlich basieren die Prognosen auf Modellen, die komplizierte naturwissenschaftliche Phänomene stark vereinfachen. Kölner Forscher sind dabei, diese Modelle zu verbessern – damit sich beispielsweise Regen, Gewitter und Überschwemmungen demnächst zuverlässiger vorhersagen lassen.

 

Sind die heutigen Wettervorhersagen nicht gut genug? Als Antwort schüttelt Susanne Crewell schmunzelnd den Kopf: „Nein. Sie sind zwar in letzter Zeit schon wesentlich besser geworden, aber da ist noch viel Spielraum.“ Schwierig sei es vor allem, starke Regenfälle zuverlässig vorherzusagen, erläutert die Kölner Meteorologin. Die derzeitigen Modelle schätzen unter anderem den Zeitpunkt des Niederschlags gerade bei Sommergewittern falsch ein: „Sie sagen beispielsweise voraus, dass es mittags regnen wird – aber der Regen fällt dann doch erst nachmittags“, sagt Crewell.

Da es sich kaum vorhersagen lässt, an exakt welcher Stelle wie viel Niederschlag heruntergehen wird, ist es zudem ein großes Problem, Hochwasser und Überschwemmungen zu prognostizieren. Die Wissenschaftler müssten dafür detailliert wissen, wie viel Wasser am Boden ankommt, wie es sich im Untergrund ausbreitet und welche Wassermengen vom Boden und von den Pflanzen abgefangen werden – bisher ein aussichtsloses Unterfangen. „Es macht schließlich schon einen großen Unterschied, ob der Regen auf der einen oder der anderen Seite eines Berges niedergeht“, fügt Crewell hinzu.

Wettervorhersagen prognostizieren den Zustand der Atmosphäre zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort. Dafür leiten Meteorologen aus dem jetzigen Zustand anhand bekannter physikalischer Zusammenhänge eine zukünftige Situation her. All das basiert auf Rechenmodellen – und diese sind noch lange nicht ausgereift, da sie noch nicht alle wichtigen Prozesse in ihrer Komplexität in die Berechnungen einbeziehen.

„Unsere Wettervorhersagen könnten im Ganzen noch detaillierter werden, also den Zeitpunkt von Ereignissen genauer voraussagen. Wenn man die Modelle verbessert, wäre es aber auch möglich, weiter in die Zukunft zu schauen“, sagt die Meteorologin. Bisher lassen sich Wettervorhersagen für bis zu zehn Tagen und länger erstellen – aber natürlich nehmen die Unsicherheiten immer mehr zu, je weiter man sich vom Heute entfernt.

 

Die Rolle des Wasserdampfs

 

Wie sich das Wetter entwickeln wird, hängt zu einem großen Teil davon ab, wie viel Wasser auf einem Stück Land verdunstet und dann in die Atmosphäre gelangt. Gerade dieser Prozess fließt in die derzeitigen Modelle aber nur sehr stark vereinfacht ein. Die Wettervorhersagemodelle gehen beispielsweise davon aus, dass die Landschaft über eine quadratische Parzelle von mehreren Quadratkilometern absolut gleich ist, also entweder nur aus Wald oder nur aus Stadt oder nur aus Graslandschaft besteht – eine sehr unrealistische Vorstellung. Dabei ist der tatsächliche Wasser- und Energieaustausch zwischen dem Boden und der Atmosphäre aber abhängig davon, welche Pflanzen dort wachsen: „Auf nackter Erde verdunstet viel weniger Wasser als auf einem Zuckerrübenfeld“, erläutert Susanne Crewell. Und in einem Weizenfeld herrschen ganz andere Verhältnisse als auf einem Rapsfeld.

Hier, sagt die Forscherin, gibt es die Möglichkeit, sehr viel genauer hinzuschauen, als es bisher getan wird. Die vielschichtigen und komplizierten Wechselwirkungen zwischen Boden, Pflanzen und Atmosphäre zu untersuchen und in die bestehenden Klima- und Wettervorhersagemodelle zu integrieren, ist Ziel des Sonderforschungsbereich TR32: „Patterns in Soil-Vegetation-Atmosphere-Systems“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). In ihm arbeitet seit dem Jahr 2007 die Universität Köln Hand in Hand mit Forschern der Universität Bonn, der RWTH Aachen und des Forschungszentrums Jülich. Das Projekt wird noch bis mindestens 2014 laufen, abhängig von den Ergebnissen vielleicht auch noch weitere vier Jahre.

Die Messungen und Berechnungen aus dem Sonderforschungsbereich TR32 sollen auch die heutigen Klimamodelle verbessern, indem sie Austauschprozesse von Energie, Wasser und Kohlendioxid an der Landoberfläche besser integrieren. Dann lässt sich die künftige Entwicklung des Klimas besser abschätzen: Wenn die Forscher wissen, wie viel Wasser am Boden verdunstet, können sie beispielsweise rechtzeitig vor Dürreperioden warnen. Sie können dann auch besser beurteilen, wie stark Klimaänderungen wirksam werden. Denn wenn Pflanzen mehr Kohlenstoff aufnehmen als bisher gedacht, steigt der atmosphärische CO2-Gehalt natürlich nicht so rasant wie vielleicht zunächst angenommen. Bei geringerer CO2-Aufnahme könnte es hingegen zu einem stärkeren Anstieg kommen.

 

Ganz genau hinsehen

 

Die Wissenschaftler haben sich viel vorgenommen: Ihr Projektantrag, den sie bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft eingereicht haben, hat mit 650 Seiten die Dicke eines Vorlesungsverzeichnisses. Untersuchungsobjekt der Forscher ist ein Stück Land westlich von Köln: ein Teil des Einzugsgebiet des Flusses Rur, die vom Naturpark Hohes Venn über Düren bis nach Roermond fließt. Innerhalb des Forschungsgebiets haben die Forscher drei maximal hundert Quadratkilometer große Areale ausgewählt, die sie besonders intensiv unter die Lupe nehmen: ein Waldgebiet in der Eifel, weiter nördlich liegende hügelige Graslandschaften und landwirtschaftlich bearbeitete Felder rund um Jülich.

Georg Bareth vom Geographischen Institut der Universität Köln erstellt mit seinen Kollegen detaillierte Landkarten des Untersuchungsgebiets, in denen genau verzeichnet ist, wo beispielsweise Zuckerrüben angebaut werden und wo Viehweiden oder Rapsfelder liegen. „Die Bauern entscheiden natürlich oft relativ spontan, was sie anpflanzen“, sagt Crewell, „daher müssen die Karten regelmäßig aktualisiert werden.“ Das geschieht mit Hilfe von Satellitenbildern.

Im Untersuchungsgebiet erfassen die Forscher beispielsweise Porengröße und Feuchte des Bodens, wie aktiv die Pflanzen Photosynthese betreiben, Tiefe und Gestalt der Pflanzenwurzeln und den Wasserdampf- und Kohlendioxidgehalt der Luft. Karl Schneider, ebenfalls vom Geographischen Institut, ermittelt den Blattflächenindex einer Gegend, also wie viel Quadratmeter Blattfläche auf einen Quadratmeter Boden kommen. Der Index ist in einem Wald natürlich sehr hoch, in einer kahlen Gegend mit wenigen Bäumen aber sehr gering und zeigt, wie viel Blattfläche überhaupt für die Wasserverdunstung zur Verfügung steht. Ermittelt wird sie über Handarbeit: Die Forscher ernten an einzelnen Stellen die Blätter aller Pflanzen ab und lassen über eine Software die Blattfläche des Laubs berechnen. Inzwischen haben die Forscher auch Verfahren entwickelt, mit denen sie den Index einer Gegend über Satellitenbilder abschätzen können.

Wer viele Daten sammeln möchte, braucht die passenden Gerätschaften. Mitten im Untersuchungsgebiet, auf dem Dach des Forschungszentrums Jülich, haben die Forscher das Observatorium JOYCE aufgebaut, mit dem sie Wolken untersuchen, ohne hindurch zu fliegen. Mit einem Wolkenradar beispielsweise lassen sich Wolkendicke und Wolkenstruktur bestimmen, aus den Messdaten des Mikrowellenradiometers ermitteln die Wissenschaftler Temperatur, Feuchte und Wassergehalt der Wolken. Alle Daten werden rund um die Uhr im Internet veröffentlicht.

Viele weitere Messgeräte helfen dabei, beispielsweise aus der Ferne die Feuchte des Bodens zu bestimmen oder die gesamte Umgebung abzurastern, damit die Forscher selbst die Höhe der einzelnen Grashalme in ihre Berechnungen einbeziehen können. „Wir wollen möglichst viele Messgeräte zusammenbringen“, sagt Crewell, „und wir entwickeln die bestehenden auch weiter.“

 

Den Pflanzen bei der Arbeit zugeschaut

 

Mit Jülicher Kollegen nimmt Susanne Crewell genau unter die Lupe, wie Boden und Atmosphäre Energie, Wasser und Kohlendioxid austauschen. Dabei interessiert sie sich vor allem für die Pflanzen. Wenn diese Kohlendioxid aufnehmen, um Photosynthese zu betreiben, fluoresziert der grüne Pflanzenfarbstoff, das Chlorophyll – und diese Fluoreszenz kann man messen. Dieses relativ neue Messverfahren haben die Wissenschaftler weiterentwickelt und erstmals im Feld eingesetzt, sowohl direkt am Boden als auch aus dem Flugzeug heraus. „Wir konnten beispielsweise sehen, dass dort, wo der Boden nicht feucht genug ist, die Pflanzen auch weniger Photosynthese betreiben“, sagt Crewell.

Wie viel Wasserdampf auf einem Feld verdunstet, hängt nicht nur davon ab, welche Pflanzen dort wachsen. Entscheidenden Einfluss hat auch, wie die Pflanzen aussehen, ob sie wie Weizen gerade nach oben wachsen oder sich wie Zuckerrüben mit ihren breiten Blättern dicht über dem Boden drängen. Hella Ellen Ahrends untersucht am Institut für Geophysik und Meteorologie genauer, welchen Einfluss die 3D-Struktur einer Pflanze auf die Verdunstung von Wasser hat. „Wenn eine Zuckerrübe Stress hat und ihre Blätter hängen lässt, ist die Verdunstungssituation schon wieder eine ganz andere als bei der gleichen Zuckerrübe, deren Blätter aufgerichtet sind“, erläutert Susanne Crewell.

 

Simulationen sorgen für Wirbel

 

Aus dem riesigen Datenwust entwickeln die Forscher schließlich Modelle, welche die natürlichen Prozesse möglichst realitätstreu beschreiben. Yaping Shao vom Institut für Geophysik und Meteorologie hat beispielsweise im Computer simuliert, wie sich der Boden durch die Sonneneinstrahlung erhitzt. Seine Animation zeigt, wie sich dadurch an einigen Bodenstellen Luftwirbel bilden, die warme Luft dann nach oben in die Atmosphäre mitnehmen. „Sehen Sie: Das ist, wie wenn man Milch umrührt“, sagt Crewell. „Es entstehen sehr chaotische Muster.“ Eine andere Simulation Shaos lässt dann erkennen, wie die Turbulenzen der Luft Wasserdampf mit nach oben reißen. Er entweicht also nicht gleichmäßig in die Atmosphäre, sondern in Form von fontänenartigen Maxima. In Siedlungen steigt dem Modell nach nur sehr wenig Wasserdampf auf, in feuchten Graslandschaften besonders viel.

Sind realitätstreue Modelle erstellt, geht es daran, sie so zu vereinfachen, dass sie sich auf viele verschiedene Landschaften übertragen lassen, unter der Voraussetzung, dass man bestimmte Muster beispielsweise von Bodeneigenschaften und Windbedingungen kennt. Über diese Verallgemeinerungen lässt sich in Zukunft dann nicht nur das Wetter über dem Rur-Einzugsgebiet genau vorhersagen, sondern etwa auch im Schwarzwald oder in der Lüneburger Heide – damit der Regenschirm immer zur rechten Zeit dabei ist.

 

Infokasten:

 

Zum Sonderforschungsbereich TR32 gehört auch eine Graduiertenschule, die Doktoranden verschiedener Fachrichtungen ausbildet. Die Doktoranden aus Bodenkunde, Geophysik, Geographie, Hydrologie, Pflanzenphysiologie, Meteorologie, Mathematik und Informatik sind eingebunden in ein strukturiertes Ausbildungsprogramm, in dem sie Einblicke aus den verschiedenen Disziplinen und Methoden erhalten.

 

Weitere Infos: www.tr32.de