Eine internationale Gruppe von Astrophysikern hat eine neue Methode entdeckt, um die Temperatur des kosmischen Mikrowellenhintergrunds im jungen Universum nur 880 Millionen Jahre nach dem Urknall zu bestimmen. Es ist das erste Mal, dass die Temperatur der kosmischen Mikrowellenhintergrundstrahlung – ein Überbleibsel der durch den Urknall freigesetzten Energie – in einer so frühen Epoche des Universums gemessen wurde. Das vorherrschende kosmologische Modell geht davon aus, dass sich das Universum seit dem Urknall abgekühlt hat – und immer noch abkühlt. Das Modell beschreibt auch, wie der Abkühlungsprozess verlaufen sollte, wurde aber bisher nur für die jüngere Vergangenheit in der kosmischen Geschichte direkt bestätigt. Die Entdeckung setzt nicht nur einen sehr frühen Meilenstein in der Entwicklung der kosmischen Hintergrundtemperatur, sondern könnte auch Auswirkungen auf unser Verständnis der rätselhaften dunklen Energie haben. Der Artikel „Microwave background temperature at a redshift of 6.34 from H2O absorption“ erscheint heute in Nature.
Die Wissenschaftler nutzten das NOEMA-Observatorium (Northern Extended Millimeter Array) in den französischen Alpen, das leistungsstärkste Radioteleskop der nördlichen Hemisphäre. Damit beobachteten sie HFLS3, eine massive Starburst-Galaxie (eine Galaxie, die ihre Sterne extrem schnell bildet) in einer Entfernung, die nur 880 Millionen Jahre nach dem Urknall entspricht. Sie entdeckten einen Schirm aus kaltem Wassergas, der einen Schatten auf die kosmische Mikrowellen-Hintergrundstrahlung wirft. Der Schatten entsteht, weil das kältere Wasser die wärmere Mikrowellenstrahlung auf ihrem Weg zur Erde absorbiert. Seine Dunkelheit offenbart den Temperaturunterschied. Da die Temperatur des Wassers aus anderen beobachteten Eigenschaften des Starbursts bestimmt werden kann, weist der Unterschied auf die Temperatur der Reliktstrahlung des Urknalls hin, die damals etwa siebenmal höher war als im heutigen Universum.
„Neben dem Nachweis der Abkühlung zeigt uns diese Entdeckung auch, dass das Universum in seinen Anfängen einige ganz bestimmte physikalische Eigenschaften hatte, die heute nicht mehr existieren“, sagt Erstautor Professor Dr. Dominik Riechers vom Institut für Astrophysik der Universität zu Köln. „Schon sehr früh, etwa 1,5 Milliarden Jahre nach dem Urknall, war der kosmische Mikrowellenhintergrund zu kalt, um diesen Effekt beobachten zu können. Wir haben also ein einzigartiges Beobachtungsfenster, das sich nur im sehr jungen Universum eröffnet.“ Anders gesagt: Wenn eine Galaxie mit ansonsten identischen Eigenschaften wie HFLS3 heute existieren würde, wäre der Wasserschatten nicht zu beobachten, weil der erforderliche Temperaturkontrast nicht mehr vorhanden wäre.
„Dieser wichtige Meilenstein bestätigt nicht nur den erwarteten Abkühlungstrend für eine viel frühere Epoche, als bisher gemessen werden konnte, sondern könnte auch direkte Auswirkungen auf die Natur der schwer fassbaren dunklen Energie haben“, sagt Mitautor Dr. Axel Weiss vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie (MPIfR) in Bonn. In der Astrophysik wird angenommen, dass die dunkle Energie für die beschleunigte Ausdehnung des Universums in den letzten Milliarden Jahren verantwortlich ist, aber ihre Eigenschaften sind nach wie vor schlecht verstanden, da sie mit den derzeit verfügbaren Teleskopen und Instrumenten nicht direkt beobachtet werden kann. Ihre Eigenschaften beeinflussen jedoch die Entwicklung der kosmischen Expansion und damit die Abkühlungsrate des Universums im Laufe der kosmischen Zeit. Auf der Grundlage dieses Experiments bleiben die Eigenschaften der dunklen Energie – vorerst – konsistent mit denen von Einsteins „kosmologischer Konstante“. „Das heißt, ein expandierendes Universum, in dem sich die Dichte der dunklen Energie nicht ändert“, erklärt Weiss.
Nach der Entdeckung einer solchen kalten Wasserwolke in einer Starburst-Galaxie im frühen Universum macht sich das Forscherteam nun auf die Suche nach weiteren. Ziel der Wissenschaftler ist es, die Abkühlung des Urknallechos in den ersten 1,5 Milliarden Jahren der kosmischen Geschichte zu erfassen. „Diese neue Technik bietet wichtige neue Einblicke in die Entwicklung des Universums, die sonst in solch frühen Epochen nur sehr schwer zu bestimmen sind“, so Riechers.
„Unser Team sucht mit NOEMA in der Umgebung anderer Galaxien nun nach ähnlichen Phänomenen“, sagt Dr. Roberto Neri, Mitautor und Wissenschaftler im NOEMA-Projekt. „Es bleibt abzuwarten, ob unser grundlegendes Verständnis der Expansion des Universums mit der zu erwartenden Verbesserung der Genauigkeit bei der Untersuchung größerer Proben von Wasserwolken Bestand hat.“
Dominik Riechers (Universität zu Köln) führte die Studie zusammen mit seinen Kollegen Axel Weiss (Max-Planck-Institut für Radioastronomie, MPIfR), Fabian Walter (Max-Planck-Institut für Astronomie, MPIA), Christopher L. Carilli (National Radio Astronomy Observatory, NRAO), Pierre Cox (Institut d‘Astrophysique de Paris, IAP, und Sorbonne Université), Roberto Decarli (INAF – Osservatorio di Astrofisica e Scienza dello Spazio) und Roberto Neri (Institut de RadioAstronomie Millimétrique, IRAM) durch.
Die Studie wurde von der US National Science Foundation, der Alexander von Humboldt-Stiftung, der Max-Planck-Gesellschaft, dem Institut National des Sciences de l‘Univers/Centre National de la Recherche Scientifique und dem Instituto Geográfico Nacional finanziert.
Inhaltlicher Kontakt:
Professor Dr. Dominik Riechers
Istitut für Astrophysik, Universität zu Köln
+49 221 470 3494
riechersph1.uni-koeln.de
Dr. Axel Weiss
Max-Planck-Institut für Radioastronomie
+49 (0)228-525-273
aweissmpifr-bonn.mpg.de
Dr. Roberto Neri
IRAM
+33 047682 4982
neriiram.fr
Presse und Kommunikation:
Eva Schissler
Universität zu Köln
+49 221 470 4030
e.schisslerverw.uni-koeln.de
Veröffentlichung:
https://www.nature.com/articles/s41586-021-04294-5
Weiteres Material:
NOEMA-Video: https://www.youtube.com/watch?v=UxPZgrrTbgc
Virtueller Besuch bei NOEMA: https://www.iram.fr/virtual-tour/noema/