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Schafft Deutschland die Energiewende?

Zwei Ökonomen erklären, warum die Energiewende stockt

Trotz Milliarden-Subventionen in die Stromerzeugung aus Wind und Sonne stockt die Energiewende. Zwei Top-Ökonomen der Kölner Universität erklären, was schief läuft und entwickeln Konzepte, die den Stillstand beenden und dem Klima wirklich helfen.

Es waren dramatische Szenen: Demonstranten stürmen den Tagebau, verschanzen sich in Baumhäusern. Hundertschaften Polizisten tragen Aktivisten aus dem Wald, ein Fotograf stürzt von einem Baum zu Tode.

Nirgendwo in Deutschland eskalierte der Streit um eine klimaverträgliche Energiezukunft so heftig wie im Hambacher Forst vor den Toren Kölns. Zehntausende Bürger protestieren im vergangenen Herbst mit einem Marsch gegen die Pläne des Essener Energiegiganten RWE, den Wald abzuholzen, um die darunter liegende Braunkohle in seinen benachbarten Kraftwerken zu verstromen. Raus aus der Kohle, weg mit den Dreckschleudern, fordern sie auf Transparenten.

 

Versprechen entpuppen sich als Worthülsen

Marc Oliver Bettzüge hat die Geschehnisse aufmerksam verfolgt. Der Direktor des Energiewirtschaftlichen Instituts an der Universität zu Köln (EWI) kann die öffentliche Klage über die Diskrepanz zwischen den politischen Ankündigungen und dem real Erreichten anhand harter Zahlen bestätigen: Danach ist der Umbau der fossilen Energiewelt in eine klimaverträglichere kohlenstoffarme kaum vorangekommen. Schlimmer noch, der globale Ausstoß von Kohlendioxid (CO2) steigt anscheinend unaufhaltsam.

Die vollmundigen Versprechungen deutscher Politiker zur globalen Klimarettung entpuppen sich weitgehend als Worthülsen. »Bezogen auf den Endenergieverbrauch Deutschlands gibt es bisher faktisch keine Energiewende«, sagt Bettzüge und zeigt auf einen Chart. Demnach verbrennt Deutschland weiter so viel Öl, Gas und Kohle wie schon 2005: ziemlich konstant 9.000 Petajoule (PJ) im Jahr. Keine Spur von zunehmender Elektrifizierung oder drastischer Bedarfssenkung.

Selbst die inzwischen mehr als 25 Milliarden Euro, mit denen vor allem die privaten Stromkunden den Ausbau von Solar- und Windstromanlagen jährlich über die Umlage nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) subventionieren, bringen den Klimaschutz nicht voran. Auch das belegen die Zahlen: Der Grünstrom ersetzt im Wesentlichen nur die Elektrizität aus Atomkraftwerken, deren sukzessive Abschaltung die Bundesregierung nach der Kernschmelze im japanischen Fukushima beschlossen hat. Dagegen wurden Kohle und Gas weiter im alten Umfang verstromt; erst jetzt zeichnet sich ein leichter Rückgang ab.

Planlosigkeit führt zu Verwerfungen

Die Fehlentwicklungen überraschen den Volkswirt nicht. Die Expertise des EWI ist vielfach gefragt. Unter anderem erarbeitete das Institut die Szenarien für die Leitstudie der Deutschen Energie Agentur (Dena) zur integrierten Energiewende und erstellte erst jüngst ein Gutachten für die NRW-Landesregierung zu den Auswirkungen des beschlossenen Kohleausstiegs bis 2038. Doch bei der Konstruktion der Energiewende habe die Politik nur im Ansatz vorausdenken lassen, sagt Bettzüge. »Die Politik hat ein gut klingendes, ambitioniertes Reduktionsziel proklamiert, ohne konsistenten Umsetzungsplan und ohne zu wissen, was ihre Maßnahmen für die Wirtschaftsakteure im Einzelnen bedeuten.«

So viel Planlosigkeit führt zu ungewollten Verwerfungen, konterkariert mitunter sogar das selbst gesteckte Ziel. Beispielsweise treibt die EEG-Umlage den Strompreis beständig nach oben. Sie steigt kommendes Jahr erneut, diesmal um fünf Prozent auf einen neuen Rekordwert von gut 6,7 Cent je Kilowattstunde. Hingegen hat Kanzlerin Angela Merkel die Energiesteuern in ihrer fünfzehnjährigen Amtszeit nicht einmal erhöht. Die Folge: Unter Berücksichtigung der Inflation seien die Steuern auf Heizöl, Diesel und Benzin heute sogar rund ein Viertel billiger. »Warum sollte unter diesen Umständen der Anteil von Strom am Endenergieverbrauch steigen?«, fragt Bettzüge rhetorisch. »Die verschiedenen Politikinstrumente passen noch nicht zusammen.«

Umso mehr begrüßt der Ökonom das gerade verabschiedete Klimapaket der Bundesregierung. Es sieht unter anderem vor, klimaschädliche Brennstoffe wie Öl, Erdgas und später auch Kohle über einen einheitlichen CO2-Preis kontinuierlich zu verteuern. Damit habe die Regierung endlich den Paradigmenwechsel hin zu ganzheitlichen marktwirtschaftlichen Instrumenten eingeleitet. Einheitliche Preissignale könnten am zuverlässigsten Verhaltensänderungen auslösen und Investoren dazu bringen, den Kapitalstock eines Landes in die gewünschte Richtung umzubauen, zum Beispiel emissionsarme Produktionsanlagen zu errichten. »Und das zu den niedrigsten volkswirtschaftlichen Kosten«, betont er.

Steuer oder CO2-Bepreisung?

In der Diskussion, ob der CO2-Preis in Deutschland und Europa eher über ein Handelssystem mit Verschmutzungsrechten, wie es in der EU für den Energiesektor und für große Teile der Industrie unter dem Kürzel ETS bereits existiert, oder über Steuern gebildet werden sollte, favorisiert er den Steuer-Ansatz. Und nimmt im Kreis der Ökonomen damit eher eine Minderheitsposition ein. Die Mehrheit hält ein Handelssystem für flexibler.

Richtig ausgestaltet könne eine einheitliche Steuer für alle Energieträger Investoren jedoch mehr Sicherheit als ein Handelssystem bieten, und sie sei einfacher umzusetzen und transparenter, hält Bettzüge dagegen. Und nur die Diskussion über den Steuerpfad erlaube den politischen Entscheidungsträgern, das richtige Maß zwischen einer wirtschaftlichen Energieversorgung und einer effektiven Emissionsminderung zu finden. Analog würde eine Diskussion über die im Klimapaket vorgesehenen Mindest- und Höchstpreise eines Zertifkatesystems das jedoch auch ermöglichen.

Auf einem anderen Feld sieht der Professor ebenfalls großen Forschungsbedarf. »Die makroökonomischen Modellannahmen zur Energieeffizienz haben sich als falsch erwiesen.« In ihren Klimaszenarien unterstellt die Bundesregierung, dass der Energiebedarf jedes Jahr um zwei bis drei Prozentpunkte weniger wächst als die Volkswirtschaft insgesamt. Diese Entkopplung ist entgegen der Erwartungen ausgeblieben. »Die Zusammenhänge zwischen Preisanreizen, technologischem Fortschritt und Wachstum sind noch nicht genügend verstanden«, sagt Bettzüge.

Kommen Energiewende und Klimaschutz nun endlich voran?

Der EWI-Direktor warnt vor Illusionen. Solange die CO2-Bepreisung ein nationaler Alleingang bleibe, werde dem Klima nicht wirklich geholfen. Denn Deutschland trage gerade einmal zwei bis drei Prozent zu den globalen Treibhausgas-Emissionen bei. »Selbst wenn wir auf null reduzierten, wäre der globale Effekt vergleichsweise gering.«

Das sei kein Plädoyer fürs Nichtstun, betont Bettzüge. Doch schon eine Absenkung des CO2-Ausstoßes bis zum Jahr 2050 um 80 Prozent gegenüber 1990 könnte Deutschland kumuliert mehr als eine Billion Euro kosten, weist er auf die Schätzungen des EWI für die Dena-Leitstudie hin. Noch radikaler vorzugehen würde die Kosten weiter exorbitant erhöhen und Wirtschaft und Gesellschaft extrem unter Stress setzen. Unternehmen könnten unter der Last durch die Decke schießender Energiepreise zum Beispiel versucht sein, ihre Produktion im großen Stil ins Ausland zu verlagern, wo weniger strenge Regeln gelten.

Leistung gegen Gegenleistung

Das ist genau das Thema seines Kollegen Professor Axel Ockenfels, Sprecher des Kölner Exzellenzzentrums für Soziales und Ökonomisches Verhalten, der seine Kölner Karriere einst als Direktor am EWI startete. Der Wirtschaftsprofessor gilt als weltweit führender Experte in der Verhaltensforschung und dem Design von Märkten. Als sich 2015 mehr als 150 Staats- und Regierungschefs auf dem Klimagipfel in Paris dafür feierten, die Erwärmung der Erde auf weniger als zwei Grad begrenzen zu wollen, sah Ockenfels den Misserfolg schon voraus. Denn das Abkommen verpflichtete die Länder zu nichts. »Jedes Land kann selbst entscheiden, ob und was es zu dem Ziel beitragen möchte. Selbst wenn es gar nichts tut, drohen keine Sanktionen.«

Tatsächlich bestätigen jüngste UN-Berichte Ockenfels’ Befürchtungen. Selbst wenn alle Staaten ihre Paris-Versprechen einhalten würden, halbierten sich die CO2-Emissionen bis 2030 nicht, prognostizieren die Experten, sondern sie würden immer noch drastisch ansteigen. Paris war also kein Durchbruch, sondern für das Klima eine Katastrophe.

Dass bisher praktisch kein Staat ambitioniert handelt, erklärt Ockenfels mit dem aus der Ökonomie bestens bekannten »sozialen Dilemma«. Jeder hofft, dass der Andere etwas tut und er die Früchte kostenlos ernten kann. Diesen Trittbrettfahrer-Effekt und seine Auswirkungen zu verstehen, sei mit am wichtigsten im volkswirtschaftlichen Studium.

Auch moralische Empörung, so verständlich er sie findet, führe nicht aus der Falle. Ockenfels sieht aber einen Erfolg versprechenden Ansatz: eine global koordinierte Klimapolitik auf Basis von Reziprozität und mit einem für alle verbindlichen CO2-Preis als Regulativ und Motor. Die Kooperationsforschung zeige, dass nur das Prinzip »Leistung gegen Gegenleistung« vor Trittbrettfahrern schütze und die Voraussetzung dafür schaffe, »durch geschickten Einsatz von eigenen verbindlichen Zusagen auch andere zu einer verbindlichen Kooperation zu bewegen«.

China, die USA und Europa müssen vorangehen In jüngsten, in der internationalen Fachwelt vielfach beachteten theoretischen Arbeiten und Laborexperimenten hat der Verhaltensökonom gezeigt, dass ein solches Verhandlungsdesign funktionieren kann. Dabei ist Ockenfels nicht so naiv zu glauben, alle 194 Staaten rund um den Erdball von Beginn an in den Prozess einbeziehen zu können. Für den Anfang, so seine Vorstellung, würde es genügen, wenn China, Europa und die USA sich auf ein reziprokes Abkommen bei der Bepreisung von CO2 einigen würden. »Die drei Regionen bringen wirtschaftlich und politisch genügend Gewicht in die Waagschale, dem sich andere nicht entziehen können.« Zudem gehören sie zu den größten Verschmutzern weltweit.

Haben die mächtigen Blöcke erst einmal ein solches System etabliert, können sie weitere Länder zum Mitmachen auffordern. Zeigt sich ein Staat dauerhaft renitent, muss er Zölle in Höhe des CO2-Preises auf seine Produkte bezahlen. »Über diesen Mechanismus erhalten Regierungen Anreize, in das System einzusteigen und die CO2-Erlöse lieber selbst zu kassieren«, erläutert Ockenfels. Zahlungen aus dem internationalen Klimafonds als Belohnung für ärmere Länder könnten denselben Zweck erfüllen.

Dem Ökonomen ist klar, dass es nicht einfach sein wird, eine solche globale Kooperation aufzusetzen. »Es gibt weder eine Blaupause dafür, noch eine Erfolgsgarantie. « Dennoch fordert er Mut von den Politikern: »Es ist nach Jahrzehnten gescheiterter Klimaverhandlungen die beste Chance, das größte Kooperationsproblem der Menschheitsgeschichte zu lösen.«