RAPLab
Angehende Lehrer:innen sind im vergangenen Jahr an der Universität mit geflüchteten Musiker:innen zusammenkommen, um über Musik zu lernen und sie gemeinsam zu machen. Das Ergebnis: Ein Album und eine Menge von Eindrücken, die weit über das Akademische hinausgehen.
Von Jan Voelkel
Die Wissenschaft ist nicht bloß neutrale Beobachterin, sondern wird selbst Teil des Experiments. Sie ist mittendrin und bezieht Stellung. Diese Position, im akademischen Betrieb eher ungewöhnlich, ist das Ergebnis eines ebenso ungewöhnlichen Seminarformats, das Studierende des Lehramts Musik, der Musikvermittlung sowie Musiker:innen der Hochschule für Musik und Tanz Köln belegen konnten.
Eckehard Pistrick, Juniorprofessor am Institut für Europäische Musikethnologie, und Oliver Kautny, Professor für Musikpädagogik, haben gemeinsam ein Format auf die Beine gestellt, das für viele Studierende ganz neue Erfahrungen mit sich brachte. Die Seminarteilnehmer:innen konzipierten über ein Jahr lang ein Musikalbum und nahmen es dann auf – gemeinsam mit in Deutschland lebenden geflüchteten Musiker:innen aus dem Niger und Burkina Faso. »Natürlich müssen wir die wissenschaftliche Objektivität wahren«, so Pistrick. »Aber das schließt nicht aus, dass man sich engagiert und positioniert. Ich glaube, das ist etwas, das zukünftige Lehrer:innen im Unterricht brauchen. Da reicht es nicht, Wissen unkommentiert wiederzugeben, sondern man muss auch einordnen und sich innerhalb verschiedener gesellschaftlicher Diskurse positionieren.«
Die sogenannte Third Mission ist im Hochschulkontext in den letzten Jahren immer wichtiger geworden. Pistrick und Kautny haben sie in einem Kurs umgesetzt in dem sie künstlerische Praxis und Theorie auf zwei Ebenen des hybrid gestalteten Seminars aufteilten: die künstlerische Produktion des Albums, vorbereitet durch einen Crash-Kurs in westafrikanischer Musik auf der einen Seite, die von Pistrick betreut wurde; auf der anderen Seite ein von Kautny angebotener Kurs, in dem es um Hip Hop im Kontext sozialer Konflikte ging und Fragen zu Migration, Gender und Religion aufgeworfen wurden.
Zwischen diesen Gruppen gab es immer wieder Berührungspunkte. »Die Studierenden bekamen am Beispiel gemeinsam produzierter Musik Einblicke aus erster Hand in die Lebenswelten von Musiker:innen, die in Deutschland nur eingeschränkt in ihrem Beruf arbeiten können. Denn als Geflüchtete Zugang zu Studioproduktion, Auftritten und dem allgemeinen Musikmarkt zu bekommen, ist sehr schwer«, so Kautny. Gleichzeitig wurden weiterreichende Fragestellungen wie die nach kultureller Teilhabe und rassistischen Erfahrungen diskutiert.
Third Mission bezeichnet den Auftrag der Universitäten, neben den beiden Missionen Forschung und Lehre ihr Wissen für die Gesellschaft verfügbar zu machen und gleichzeitig Impulse aus der außeruniversitären Welt in Forschung und Lehre aufzunehmen. Der interaktive Wissenstransfer steht somit im Zentrum von Third-Mission-Aktivitäten und umfasst neben dem Forschungstransfer auch die Förderung von gesellschaftlichem Engagement, lebenslangem Lernen oder Gründungen.
Nicht nur Forschungsgegenstand, sondern verbindendes Element
Geflüchtete Musiker:innen aus Westafrika und Studierende aus Köln – das bedeutet das Zusammenkommen verschiedenster Lebenserfahrungen und Kulturen. Diese vertrauensvoll und auf Augenhöhe zusammenzubringen, war ein ebenso schwieriger wie elementarer Punkt für das Gelingen des Projekts – zumal es aufgrund der Coronapandemie kaum möglich war, sich persönlich zu treffen.
Die Musik war dabei nicht nur Forschungsgegenstand, sondern das verbindende Element. »Rap als größte Entwicklung moderner Popmusik unserer Zeit geht auf afrikanische Traditionen zurück. Er entwickelte sich als Musikrichtung im Wesentlichen in den USA, wurde dann nach Europa und wieder zurück nach Afrika exportiert. Und schließlich ›reist‹ Rap aus Afrika im Gepäck des westafrikanischen Rappers RazPick zu uns nach Köln«, so Kautny, der als Gründer des Cologne Hip Hop Institute einige fachliche Expertise mitbringt.
Sein Kollege Eckehard Pistrick erforscht seit fünf Jahren vergleichend Formen migrantischer Kreativität im Kontext von Integration und Diversität. Er beobachtet eine zunehmend globale Zirkulation von Musik und Musiker:innen, eine Form des Kulturtransfers, der kulturelle Gewissheiten in Frage stellt und die Diskussion – gerade auch im Seminarkontext – anregt.
»Ein Schlüsselereignis war das Künstlerportrait von RazPick, der sich im Seminar selbst vorgestellt hat. Er stand neunzig Minuten im Mittelpunkt einer virtuellen Seminarsitzung und konnte seine Biografie sowie seine Musik präsentieren.
Ihm war es wichtig, nicht nur seine künstlerisch beachtlichen Musikvideos zu präsentieren. Er hat seine Songs in Zoom auch live über das Smartphone gerappt und dafür viel Applaus bekommen. Das war ein wichtiger Moment, in dem er gemerkt hat, dass seitens der Studierenden ernsthaftes Interesse besteht und dadurch eine gemeinsame Verbindung entsteht«, sagt der Musikethnologe.
Es geht um mehr als Musik
Um eine gemeinsame Sprache zu schaffen, haben die Musiker:innen Beispiele westafrikanischer Musik vorgespielt. Daran erinnert sich auch Pelle Reifenstein, der als Student der Musikvermittlung gemeinsam mit anderen Studierenden mit dem aus einer westafrikanischen Musikerfamilie stammenden Reggaemusiker Hifa zwei Songs produziert hat. Reifenstein hatte bereits Vorerfahrungen – er produziert eigene Rapbeats – doch in diesem Projekt musste er sich auf kreatives Neuland bewegen.
RazPick All
Das COLOGNE HIP HOP INSTITUTE (CHHI) gehört zum Fach Musikpädagogik. Es initiiert Forschungs- und Transferprojekte zum Thema Hip Hop. Diese sind verbunden mit innovativen universitären Lehrveranstaltungen und künstlerischen Projekten, die sich an Studierende der ganzen Uni, aber auch an externe Interessierte richten. Gemeinsam mit Akteur:innen der Hip Hop-Kultur veranstaltet das CHHI Workshops (unter anderem DJing, Rap, Producing, Tanz), Gastvorträge, Konferenzen und Konzerte. Ziel ist es dabei auch, die Universität in die musikalische Stadtgesellschaft Kölns hinein zu vernetzen, etwa durch Kooperationen mit dem Club Bahnhof Ehrenfeld und anderen Kultureinrichtungen. Zur Zeit erforscht das CHHI im Rahmen eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Projekts gemeinsam mit Forscher:innen aus den USA, Skandinavien, England, Irland und weiteren Ländern performative Formen des ›Wissens‹ im Hip Hop.