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Pflanzliche Chloroplasten könnten eine Therapie der Huntington-Krankheit ermöglichen

Ein Chloroplasten-Enzym schützt Pflanzen vor pathologischen Proteinansammlungen, die bei Menschen die Huntington-Krankheit sowie andere neurodegenerative Erkrankungen auslösen können / Eine neue Studie in „Nature Aging“ hat möglicherweise einen Weg gefunden, den Mechanismus auf menschliche Zellen zu übertragen

Professor Dr. David Vilchez und Dr. Ernesto Llamas

Forschende der Exzellenzcluster für Alternsforschung CECAD und für Pflanzenwissenschaften CEPLAS der Universität zu Köln haben in der synthetischen Pflanzenbiologie einen vielversprechenden Ansatz für eine Therapie neurodegenerativer Erkrankungen des Menschen, insbesondere der Huntington-Krankheit, gefunden. In ihrer Veröffentlichung „In-planta expression of human polyQ-expanded huntingtin fragment reveals mechanisms to prevent disease-related protein aggregation“ in Nature Aging zeigen sie, dass ein aus Pflanzen gewonnenes synthetisches Enzym – die sogenannte stromal processing peptidase (SPP) – Proteinverklumpungen verhindert, die für die krankhaften Veränderungen in Modellen der Huntington-Krankheit (menschliche Zellen und der Fadenwurm Caenorhabditis elegans) verantwortlich sind.

Polyglutamin (PolyQ)-Erkrankungen sind eine Gruppe neurodegenerativer Erkrankungen, die durch mehrfache Wiederholungen von Glutaminaminosäuren in bestimmten Proteinen verursacht werden. Eine übermäßige Anzahl von PolyQ-Wiederholungen kann dazu führen, dass Proteine ​​verklumpen, oder sich in schädlichen Proteinablagerungen ansammeln, was zu zellulärer Dysfunktion und zum Zelltod führt. Bisher wurden neun PolyQ-Erkrankungen beim Menschen beschrieben, die noch immer unheilbar sind. Unter ihnen ist die Huntington-Krankheit eine Erbkrankheit, die zu einer umfassenden Schädigung des Gehirns führt und Denken, Verhalten, Emotionen und Bewegungen stört.

Pflanzen sind gegen schädliche Proteinaggregationen immun

In ihrer Studie verfolgten Professor Dr. David Vilchez (CECAD) und Dr. Ernesto Llamas (CEPLAS) einen unkonventionellen Ansatz, um potenzielle Medikamente zur Behandlung von PolyQ-Erkrankungen wie der Huntington-Krankheit zu finden. Pflanzen sind ständigen Herausforderungen durch die Umwelt ausgesetzt, können sich jedoch nicht bewegen, um diesen Bedingungen zu entkommen. Allerdings besitzen Pflanzen eine bemerkenswerte Stressresistenz, die ihnen ein langes Leben ermöglicht. Im Gegensatz zum Menschen, der an Proteinopathien leidet, die durch die toxische Verklumpung oder Ansammlung von Proteinen verursacht werden, treten bei Pflanzen diese Art von Krankheiten nicht auf. Pflanzen stellen Hunderte von Proteinen her, die polyQ-Wiederholungen enthalten, es wurden jedoch keine Pathologien aufgrund dieser Faktoren gemeldet. Um zu untersuchen, wie Pflanzen mit der Aggregation toxischer Proteine ​​umgehen, liesen Dr. Ernesto Llamas, Erstautor der Studie, und Kolleg*innen ein mutiertes, toxisches Protein in Pflanzen herstellen, das menschliche Nervenzellen abtötet.

Mit Hilfe der synthetischen Biologie übertrugen die Wissenschaftler dann die Fähigkeit der Pflanzen, die Aggregation zu vermeiden, auf menschliche Kulturzellen und Tiermodelle der Huntington-Krankheit. Sie hofften, dass die Verwendung von Pflanzenproteinen zu neuen therapeutischen Ansätzen für die Behandlung der Huntington-Krankheit und anderer neurodegenerativer Erkrankungen führen könnte.

„Wir waren überrascht, die Pflanzen völlig gesund zu sehen, obwohl sie genetisch das giftige menschliche Protein produzieren. Die Expression von mutiertem Huntingtin in anderen Forschungsmodellen wie menschlichen Zellkulturen, Mäusen und Würmern führt zu schädlichen Auswirkungen und Krankheitssymptomen,“ sagt Professor David Vilchez.

Das Pflanzenprotein mindert Symptome in menschlichen Zellen und Fadenwürmern

Der nächste Schritt bestand darin, herauszufinden, wie Pflanzen die toxische Anhäufung des mutierten Huntingtins vermeiden. Tatsächlich entdeckten die Forschenden, dass die Chloroplasten, pflanzenspezifische Organellen, die die Photosynthese durchführen, der Grund dafür sind, dass die Pflanzen keine toxischen Proteinablagerungen aufweisen. Llamas sagt: „Im Gegensatz zum Menschen haben Pflanzen Chloroplasten, einen zusätzlichen Zelltyp von Organellen, der eine erweiterte molekulare Maschinerie zur Beseitigung toxischer Proteinaggregate bereitstellen könnte.“

Das multidisziplinäre Team identifizierte das Chloroplasten-Pflanzenprotein SPP als den Grund dafür, dass Pflanzen nicht von dem problematischen menschlichen Protein betroffen sind. Die Produktion des pflanzlichen SPP in Modellen der Huntington-Krankheit wie menschlichen kultivierten Zellen und Würmern wie dem Fadenwurm C. elegans reduzierte die Proteinverklumpungen und die Symptome der Krankheit. „Wir waren erfreut zu beobachten, dass die Expression des pflanzlichen SPP-Proteins die Beweglichkeit von C. elegans-Würmern, die von Huntington betroffen sind, sogar in späteren Alterungsstadien, in denen die Symptome noch schlimmer sind, verbesserte“, sagt Dr. Hyun Ju Lee, eine Postdoktorandin, die an der Studie beteiligt war. Die Ergebnisse eröffnen somit die Möglichkeit, SPP als mögliche Therapie für die Huntington-Krankheit zu testen.

Pflanzen als Modelle in der Alternsforschung

Llamas sprach auch über die Bedeutung der Pflanzenforschung zur Behandlung menschlicher Krankheiten. „Viele Menschen nehmen nicht zur Kenntnis, dass Pflanzen unter wechselnden und extremen Umweltbedingungen, die eine Proteinaggregation verursachen, überleben können. Ich glaube, dass pflanzliche molekulare Mechanismen der Schlüssel zur Entdeckung neuer Medikamente sind, die menschliche Krankheiten verhindern können. Wir vergessen, dass einige Pflanzen Tausende von Jahren alt werden können und als Modelle für die Alterungsforschung untersucht werden sollten.“ Dr. Seda Koyuncu, eine weitere Postdoktorandin, die an der Studie beteiligt war, fügt hinzu: „In den letzten Jahren haben wir gesehen, dass mehrere vielversprechende Ansätze zur Behandlung von Erbkrankheiten wie Huntington gescheitert sind. Wir sind zuversichtlich, dass unser pflanzensynthetischer Ansatz zu bedeutenden Fortschritten auf diesem Gebiet führen wird.“

Das Team hat inzwischen eine Förderung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen des GO-Bio Initialprogramms erhalten. „Wir wollen unsere Idee in eine Anwendung bringen. Unser Plan ist es, ein Start-up zu gründen, um aus Pflanzen gewonnene therapeutische Proteine zu produzieren und als mögliche Therapeutika zur Behandlung neurodegenerativer Erkrankungen beim Menschen zu testen“, sagt Llamas.

Die Forschung wurde am Exzellenzcluster für Alternsforschung CECAD und am Exzellenzcluster für Pflanzenwissenschaften CEPLAS der Universität zu Köln durchgeführt.
 

Inhaltlicher Kontakt:
Professor Dr. David Vilchez
CECAD Principal Investigator
+49 221 478 84172
dvilchezSpamProtectionuni-koeln.de

Dr. Ernesto Llamas
Postdoctoral researcher
+49 221 470 6471
ellamasp@uni-koeln.de

Presse und Kommunikation:
Susanne Kutter
CECAD Public Relations Officer
+49 221 478 84043
+49 160 8879816
susanne.kutterSpamProtectionuni-koeln.de

Veröffentlichung:
https://www.nature.com/articles/s43587-023-00502-1
DOI: 10.1038/s43587-023-00502-1 
 

Weitere Informationen:
Alternsforschungs-Exzellenzcluster CECAD
Webseite Prof. Dr. David Vilchez
Exzellenzcluster für Pflanzenforschung CEPLAS
Webseite Dr. Ernesto Llamas