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Klimaschwankungen in Ostafrika waren ein Motor für die Evolution des Menschen

Interdisziplinäre Forschung in Südäthiopien zeigt, wie Schlüsselphasen des Klimawandels die Evolution und Ausbreitung des Menschen sowie seinen technologischen und kulturellen Fortschritt beeinflusst haben / Veröffentlichung in „Nature Geoscience“

Chew Bahir, Entnahme eines mit Sedimentmaterial gefüllten Liners aus der Bohrkammer: die Tagesschicht versucht, den Liner mit vereinten Kräften herauszuziehen / Photo credit: Frank Schaebitz

Das Wissenschaftscamp Chew Bahir: „Chew Bahir City“ 3 km vom Ort der Bohrung entfernt / Photo credit: V. Foerster

Drei Schlüsselphasen mit unterschiedlichen, dramatischen Klimaschwankungen im östlichen Afrika fielen mit Verschiebungen in der Entwicklung und Ausbreitung der Hominiden (alle menschlichen Vorfahren der Gattung Homo einschließlich des heutigen Menschen) in den letzten 620.000 Jahren zusammen. Das ergab eine Rekonstruktion der damaligen Umweltbedingungen anhand von Seesedimenten aus der unmittelbaren Nähe wichtiger paläoanthropologischer Siedlungsstätten in Südäthiopien. Ein internationales Tiefbohrprojekt unter der Leitung von Wissenschaftler*innen der Unis Köln, Potsdam, Aberystwyth und Addis Ababa nahmen die Rolle des Klimawandels für das jüngste Kapitel der menschlichen Evolution unter die Lupe. Die Ergebnisse der Forschungsstudie, geleitet von Dr. Verena Förster vom Institut für Geographiedidaktik der Universität zu Köln, an der mehr als 22 Forscher*innen aus 19 Einrichtungen in 6 Ländern beteiligt waren, sind unter dem Titel „Pleistocene climate variability in eastern Africa influenced hominin evolution“ in der Fachzeitschrift Nature Geoscience erschienen.

Trotz zahlreicher Fossilfunde von Hominiden in Ostafrika aus mehr als fünfzig Jahren waren die regionalen Umweltbedingungen während der Entwicklung und Ausbreitung des modernen Menschen und seiner Vorfahren bislang noch nicht ausreichend geklärt. Insbesondere für das Pleistozän (Eiszeit) vor 2.580.000 bis 11.700 Jahren gibt es keine kontinuierlichen und präzisen Paläo-Umweltdaten für den afrikanischen Kontinent.

Das Forschungsteam entnahm zwei zusammenhängende, 280 Meter lange Sedimentkerne aus dem Chew Bahir-Becken im Süden Äthiopiens. Chew Bahir liegt sehr abgelegen in einem tiefen tektonischen Graben in unmittelbarer Nähe des Turkana-Gebiets und des Omo-Kibish, einer Region wichtiger paläoanthropologischer und archäologischer Stätten. Die Bohrkerne liefern die vollständigsten Aufzeichnungen über einen so langen Zeitraum, die jemals in diesem Gebiet gewonnen wurden. Darüber hinaus können sie zeigen, wie unterschiedliche Klimaveränderungen den biologischen und kulturellen Wandel der Menschen in der Vergangenheit beeinflusst haben.

Ein interdisziplinäres Team aus den Bereichen der Geowissenschaften, Sedimentologie, Mikropaläontologie, Geologie, Geographie, Geochemie, Archäologie, Chronologie und Klimamodellierung bohrte die beiden Sedimentkerne, aus denen sie anhand von so genannten Proxies (Indikatoren wie Mikrofossilien oder Elementveränderungen) Daten zur Rekonstruktion der Klimageschichte der Region gewannen. Archäolog*innen, Evolutionsbiolog*innen und Evolutionsanthropolog*innen identifizierten daraus Phasen von Klimastress und Phasen mit günstigeren Bedingungen. Anhand dieser Informationen leiteten sie ab, wie diese Faktoren die Lebensräume der frühen modernen Menschen veränderten und seine biologische und kulturelle Entwicklung sowie seine Ausbreitung beeinflussten.

Konkret fanden die Wissenschaftler*innen heraus, dass eine Phase lang anhaltender und relativ stabiler feuchter Bedingungen von etwa 620.000 bis 275.000 Jahren vor heute günstige Lebensbedingungen für die Hominidengruppen des Gebietes bedeuteten. Diese im Allgemeinen stabile und feuchte Phase wurde jedoch durch eine Reihe kurzer, abrupter und extremer Trockenheitsschübe unterbrochen. Das führte wahrscheinlich zu einer Fragmentierung der Lebensräume, Verschiebungen in der Populationsdynamik und sogar zum Aussterben lokaler Gruppen. Infolgedessen mussten sich kleine, reproduktiv und kulturell isolierte Populationen an die dramatisch veränderten Umgebungen anpassen. Das beförderte mit hoher Wahrscheinlichkeit die Ausdifferenzierung der Hominiden in viele geografisch und anatomisch unterschiedliche Gruppen sowie die Abspaltung unserer modernen menschlichen Vorfahren von archaischen Gruppen.

Darauf folgte zwischen ca. 275.000 und 60.000 Jahren vor heute eine Phase mit erheblichen Klimaschwankungen, die immer wieder zu Veränderungen der Lebensräume in diesem Gebiet führte: von üppiger Vegetation mit tiefen Süßwasserseen zu sehr trockenen Landschaften, in denen ausgedehnte Seen zu kleinen salzhaltigen Pfützen vertrockneten. In dieser Phase gingen die Bevölkerungsgruppen allmählich von der Technologie des Acheuléen (ovale Handäxte aus Stein, die vor allem Homo ergaster und Homo erectus nutzten) zu höher entwickelten Technologien über. In dieser entscheidenden Phase entwickelte sich auch Homo sapiens in Ostafrika. Wichtige soziale, technologische und kulturelle Innovationen in dieser Phase wappneten die Menschen womöglich vor den schärfsten Auswirkungen der wiederkehrenden Umweltveränderungen. „Diese technischen und sozialen Innovationen, darunter differenziertere Werkzeuge und Langstreckentransport, hätten den modernen Menschen enorm anpassungsfähig an den wiederholt stark veränderten Lebensraum gemacht“, sagt Erstautorin Dr. Verena Förster.

In der Phase von etwa 60.000 bis 10.000 Jahren vor heute traten die extremsten Klimaschwankungen auf, darunter die trockenste Phase der gesamten Aufzeichnung. Diese Phase könnte den kontinuierlichen kulturellen Wandel der Bevölkerung beschleunigt haben. Das Forschungsteam geht davon aus, dass das kurzzeitige Überlappen von Feuchtigkeitsschüben in Ostafrika mit feuchten Phasen in Nordostafrika und im Mittelmeerraum günstige Migrationsrouten aus Afrika heraus entlang einer Nord-Süd-Achse entlang des Ostafrikanischen Grabensystems und in die Levante eröffnete, was die globale Ausbreitung des Homo sapiens ermöglicht haben könnte.

„Angesichts der aktuellen Bedrohungen durch den Klimawandel und die Überbeanspruchung natürlicher Ressourcen für den menschlichen Lebensraum ist es wichtiger denn je, die Beziehung zwischen Klima und menschlicher Entwicklung zu verstehen“, schlussfolgert die Wissenschaftlerin.

Die Forschung ist Teil des Hominin Sites and Paleolakes Drilling Project (HSPDP). Um die Auswirkungen unterschiedlicher Zeitskalen und Größenordnungen von Klimaveränderungen auf die Lebensbedingungen der frühen Menschen zu bewerten, wurden im Rahmen dieses Projekts aus fünf Seearchiven der Klimaveränderungen der letzten 3,5 Millionen Jahre Bohrkerne entnommen. Alle fünf Bohrlokationen in Kenia und Äthiopien befinden sich in unmittelbarer Nähe zu wichtigen paläoanthropologischen Fundstellen aus verschiedenen Stufen der menschlichen Evolution. Der Standort in Südäthiopien deckt dabei das jüngste Kapitel ab.

Im Rahmen des HSPDP wurde das Projekt vom International Continental Scientific Drilling Program (ICDP), der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), dem Natural Environment Research Council (NERC), der National Science Foundation (NSF) und dem DFG-Sonderforschungsbereich 806 „Our Way to Europe“ gefördert. Der SFB 806 war von 2009 bis 2021 an den Universitäten Köln, Bonn und Aachen angesiedelt und wurde von diesen Institutionen finanziell und strukturell großzügig unterstützt.

Inhaltlicher Kontakt:
Dr. Verena Förster
V.FoersterSpamProtectionuni-koeln.de

Presse und Kommunikation:
Eva Schissler
+49 221 470 4030
e.schisslerSpamProtectionverw.uni-koeln.de

Veröffentlichung:
https://www.nature.com/articles/s41561-022-01032-y
DOI: 10.1038/s41561-022-01032-y


Verantwortlich: Dr. Elisabeth Hoffmann – e.hoffmann@verw.uni-koeln.de