Der Kölner Völkerrechtler Claus Kreß hat sich für ein internationales Sondertribunal für den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine ausgesprochen. Ein solcher Gerichtshof sollte durch einen Vertrag der Vereinten Nationen mit der Ukraine ins Leben gerufen werden, erklärte er auf der internationalen Konferenz „United for Justice“ im ukrainischen Lviv. Kreß trat außerdem für eine Erweiterung der Befugnisse des IStGH ein. Der IStGH ist bisher nicht befugt, das Verbrechen der Aggression zu verfolgen, wenn diesem der Angriffskrieg eines Staats zugrunde liegt, der wie die Russische Föderation nicht Vertragspartei des IStGH-Statuts ist. Eine Ausnahme besteht nur, wenn der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen dem IStGH grünes Licht gibt, um seine Zuständigkeit in einer solchen Situation auszuüben.
Kreß befürwortete nachdrücklich die laufenden Ermittlungen des IStGH mit Blick auf mögliche Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord, wies in seinem Wortbeitrag aber darauf hin, dass diese nicht das gesamte Unrecht abdeckten. Professor Kreß erklärte in der Podiumsdiskussion: „Ein Teil der Opfer des laufenden Krieges sind die zahllosen ukrainischen Soldaten, die während des Kampfes ihr Leben verloren haben. Aber wie wir alle wissen, stellt die Tötung von Kombattanten im Verlauf der Feindseligkeiten kein Kriegsverbrechen dar. Es gibt nur ein Verbrechen, das Verbrechen der Aggression, das diesen Teil des Unrechts abdecken kann. Niemand kann leugnen, dass diese tapferen Soldaten Opfer dieser Aggression sind.“
Ein internationales Sondertribunal könne dem Verdacht von Verbrechen der Aggression zeitnah nachgehen. Voraussetzung hierfür sei, dass die UN-Generalversammlung den Generalsekretär der UN darum ersuche, mit der Ukraine den hierzu erforderlichen Vertrag abzuschließen.
Es sei aber noch eine zweite, längerfristig angelegte Initiative geboten, so Kreß. Man solle sich mit der zu engen Fassung des Statuts des IStGH ehrlich auseinandersetzen. Denn der IStGH wäre die ideale Institution, um Verbrechen der Aggression zu verfolgen und vor allem auch, um zu deren Verhütung beizutragen. Man solle daher einen zweigleisigen Ansatz verfolgen, indem man einerseits an der Einrichtung eines internationalen Sondertribunals arbeiten und andererseits den längeren and beschwerlicheren Weg beschreiten möge, die Lücke im Statut des IStGH zu schließen.
Kreß wies auf die Bedeutung des Globalen Südens sowohl für die Etablierung eines Sondertribunals als auch für die Änderung des Statuts des IStGH hin: „Es ist von entscheidender Bedeutung, mit dem Globalen Süden ins Gespräch zu kommen. Natürlich wird der Globale Süden berechtigte Fragen haben. Und eine dieser Fragen wird lauten: Geht es nur um diesen schrecklichen Angriffskrieg oder sind Sie ernsthaft und dauerhaft an einer Stärkung der internationalen Rechtsarchitektur interessiert?“
Die hochkarätig besetzte Konferenz „United for Justice – Building the web of accountability for international crimes“ fand auf Initiative des ukrainischen Generalstaatsanwaltes Andriy Kostin statt und wurde vom ukrainischen Präsidenten Volodymyr Zelenskyy, dem Präsidenten Lettlands Egils Levits, der Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen und dem stellvertretenden niederländischen Premierminister und Außenminister Wopke Hoekstra eröffnet. Zahlreiche international renommierte Vertreter aus Politik und Rechtswesen nahmen an der dreitägigen Konferenz teil, die es sich zum Ziel gesetzt hatte, vor dem Hintergrund der russischen Aggression gegen die Ukraine eine globale Plattform für die Entwicklung umfassender Rechenschaftsmechanismen für internationale Verbrechen zu etablieren. Unter anderem diskutierten vor Ort Didier Reynders, der Europäische Kommissar für Justiz, Karim Khan, der Ankläger des Internationalen Strafgerichtshofes, Merrick B. Garland, der US-amerikanische Justizminister, und Laura Kövesi, die Europäische Generalstaatsanwältin.
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