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Die USA vor dem Machtwechsel

Politikwissenschaftler Professor Thomas Jäger zum Ergebnis der US-Wahl

Professor Dr. Thomas Jäger ist Inhaber des Lehrstuhls für Internationale Politik und Außenpolitik an der Universität zu Köln. Er ist unter anderem Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste sowie des Wissenschaftlichen Beirats der Bundeszentrale für politische Bildung. Jäger ist Herausgeber der „Zeitschrift für Außen- und Sicherheitspolitik“ und betreibt einen Blog auf Focus Online.

Die Welt blickt gespannt nach Nordamerika, wo Joe Biden die Wahl für sich entschieden hat. Doch was heißt das für die zukünftige Innen- und Außenpolitik des Landes? Der Politikwissenschaftler Professor Dr. Thomas Jäger wagt einen Ausblick.

Die US-Präsidentschaftswahlen wurden in Europa genau beobachtet, weil ihr Ausgang folgenschwere Auswirkungen auf die sicherheits- und wirtschaftspolitische Lage in den EU-Staaten hat. Noch sind die USA die einzige Weltmacht, die über einen ausgeglichenen Mix an Ressourcen verfügt: militärisch und wirtschaftlich stark, durch Bündnisse weltweit vernetzt und mit hoher diplomatischer und kultureller Sichtbarkeit.

Aber genau diese herausgehobene Stellung wird zunehmend prekär, seit die USA nicht mehr alleinige Weltmacht sind und Präsident Trump vier Jahre lang eine engstirnig nationalistische Politik umsetzte und die Verbündeten verprellte. Soweit jetzt erkennbar ist, strebt die Administration Biden außenpolitisch an, die Beziehungen zu den Verbündeten zu reparieren – auch, um die eigene internationale Führungsrolle neu zu definieren. Innenpolitisch wird ihr Ziel sein, die tiefe Polarisierung der Gesellschaft zu überwinden. Denn anders werden im Kongress keine Kompromisse gefunden werden können. Und wenn die Republikaner die Mehrheit im Senat behalten, was im Januar entschieden wird und ziemlich wahrscheinlich ist, braucht der künftige Präsident Biden ihre Zustimmung schon sehr bald für sein Kabinett und die mehr als 1.200 Besetzungen in der Exekutive. Für seine wirtschaftspolitischen Pläne –  die oberste Priorität des ersten Jahres – benötigt er die Zusammenarbeit mit den Republikanern ebenso wie für alle anderen Gesetze.

Aus eigener Autorität rückabwickeln kann er nur diejenigen präsidentiellen Dekrete, die Trump unterschrieb, etwa die Rückkehr ins Pariser Klimaabkommen oder den Schutz der „Dreamer“: Menschen, die als Kinder irregulär in die USA gebracht wurden.

Von politischen Gegnern zu Feinden

Präsident Biden muss versuchen, die tiefe Kluft zwischen Demokraten und Republikanern zu überbrücken. Für die Entwicklung der USA beschrieben die beiden Parteien im Wahlkampf völlig konträre Wege und zeigten unterschiedliche Prioritäten auf. Die Republikaner sind in den letzten Jahren deutlich nach rechts gerückt und richteten sich nationalpopulistisch aus, während die Demokraten gleichermaßen zunehmend linke Positionen vertreten, wobei das Rechts-Links-Spektrum im Vergleich zu Europa insgesamt deutlich nach rechts verschoben ist. Zwischen den Parteien besteht derzeit ein tiefreichender Bruch. Überparteiliche Zusammenarbeit gehört zu den seltensten Ereignissen. Das hat vor allem drei Ursachen, die in der derzeitigen Polarisierung mündeten:

Erstens steigerten sich die USA seit den sechziger Jahren in einen Kulturkrieg hinein, der beide Seiten heute erklären lässt, die andere sei „unamerikanisch“. Die Anführer von Demokraten und Republikaner sprachen im Wahlkampf von der Gegenseite nicht mehr als politischem Gegner, sondern als Feind. Das hallt bei ihren Anhängern wider.

Zweitens schufen die Medien in den letzten zwei Jahrzehnten audiovisuelle und digitale Echokammern, in denen beide Seiten ihre Weltsicht aushärten und gegen kritische Argumente immunisieren können. Die Darstellungen der Tagesereignisse durch Rachel Maddow bei dem Fernsehsender MSNBC und Sean Hannity bei Fox News stammen von unterschiedlichen Planeten.

Drittens spitzten sich die innerparteilichen Debatten zu, so dass immer rechtere und linkere Kandidatinnen und Kandidaten gewählt wurden. Nicht mehr die Überzeugung der parteiungebundenen Wählerschaft, sondern die Mobilisierung der eigenen Anhänger wurde zum Dreh- und Angelpunkt der Wahlkampagnen. Das begründet den anhaltenden Einfluss von Donald Trump auf die Republikanische Partei.

Ohne wenigstens einige republikanische Senatoren für seine Vorhaben zu gewinnen, bleiben Präsident Biden die Hände gebunden. Er steckt dann in der Blockade zwischen beiden Lagern fest. Um die Abgeordneten aber auf seine Seite zu ziehen, muss er ihnen die Möglichkeit öffnen, trotzdem wiedergewählt zu werden. Das heißt, er muss die republikanische Wählerschaft ansprechen. Gelingt es ihm, weil auch die Republikanische Partei darin einen Weg aus der Trump-Falle des Nationalpopulismus erblickt, wird sich sein Handlungsspielraum weiten. Falls das nicht geschieht, bleibt er eng begrenzt. Deshalb hängt einiges für die Biden-Administration davon ab, wie wirksam Donald Trump weiter politisch agieren kann. Denn anders als seine Vorgänger wird er sich nicht zur Ruhe setzen, sondern Gegenschläge planen.

Nationalpopulismus oder Internationalismus

Für viele Europäer, die die Entwicklungen in den USA beobachten, war nicht sehr überraschend, dass Joe Biden die Wahl für sich entscheiden konnte. Vielmehr erstaunte es sie, dass Donald Trump, dessen Wahl 2016 ein „Ausrutscher“ gewesen sein sollte, angesichts der vielgestaltigen Krisen des Landes überhaupt eine Chance auf Wiederwahl hatte. Das liegt daran, dass 2016 eben kein Ausrutscher war, sondern die erwartbare Konsequenz der Polarisierung in der amerikanischen Politik, die von Trump dann nationalpopulistisch auf die Spitze getrieben wurde. Das gilt auch für die Außenpolitik.
Am Ende der Amtszeit von Präsident Obama wurde gefragt: „Was haben wir aus den acht Jahren gemacht?“ Genau diese Frage wollte Trump seinen Anhängern beantworten können: sechs konservative zu drei liberalen Richtern am Supreme Court; den Wirtschaftsaufschwung in Sicht; die Verteidigung der amerikanischen Geschichte gegen Identitätspolitik; die US-Soldaten aus Kriegen abgezogen; eine harte Außenpolitik und besonders die Unterstützung Israels; nationale Interessen zuerst.
In der nationalpopulistischen Außenpolitik Trumps kamen die Verbündeten nicht vor. Sie wurden vielmehr in das rechenhafte, bilateral entflochtene Register einsortiert: „Was bringen uns die Beziehungen konkret?“, fragte die Trump-Administration.

Das wird sich unter Präsident Biden ändern. Antony Blinken als Außenminister und Jake Sullivan als Nationaler Sicherheitsberater stehen wie Präsident Biden selbst für eine internationalistische Außenpolitik. Aber die innenpolitische Agenda hat sich gegenüber früheren Administrationen geändert. Vor allem anderen wird die Administration Biden jedoch das Ziel verfolgen, die wirtschaftlichen Schäden im Innern zu beheben, die durch die Corona-Pandemie verursacht wurden. Das wird am Wirtschaftsprogramm schon deutlich: Biden will ein milliardenschweres Konjunkturprogramm auflegen, in Infrastruktur investieren und eine Wende zu erneuerbaren Energieträgern einleiten. Begleitet werden soll dies durch ein nationales Beschaffungsprogramm für Industriegüter. Öffentliche Aufträge soll nur erhalten, wer in den USA produziert. Das klingt fast nach Trumps Programm, unterscheidet sich aber in den Branchen, einem Mindestlohn von 15 Dollar und Steuerhöhungen. Nur ob diese vom Kongress verabschiedet werden, steht in den Sternen.

Das überragende Ziel: Chinas Aufstieg in seinen politischen und wirtschaftlichen Wirkungen abzufedern

Nach außen wird das überragende Ziel sein, Chinas Aufstieg in seinen politischen und wirtschaftlichen Wirkungen abzufedern. Hier gilt es erst einmal, die Scherben von Trumps ignoranter Außenpolitik zusammenzufegen. Manches freilich, wie die Transpazifische Partnerschaft (TPP), ist nicht mehr zu reparieren. Hier hatten sich Staaten im Pazifik und die USA auf ein Freihandelsabkommen geeinigt und China dabei ausgeschlossen. Was für ein diplomatischer Triumph für Washington! Trump hatte es für die USA sogleich aufgekündigt.

China hat hingegen die amerikanische Ignoranz genutzt und mit der Freihandelszone RCEP Tatsachen geschaffen. Für die europäischen und pazifischen Verbündeten der USA heißt das, dass sie von den USA in den nächsten Jahren nachdrücklich gebeten werden, ihre Chinapolitik zu überdenken. Denn auch die Administration Biden sieht China als die größte politische und wirtschaftliche Herausforderung an. Sie werden ihr nur anders zu begegnen versuchen, als dies die Administration Trump unternahm.

Auf die europäischen NATO-Staaten wird zukommen, sich stärker als bisher für die Abschreckung nach Osten zu engagieren. Die Administration Biden wird keine neue Russlandpolitik auflegen, sondern die zerrütteten Beziehungen liegen lassen. Und zwar so lange, bis Russland sich bewegt, weil es sich der zunehmenden chinesischen Dominanz entziehen möchte. In diesem Kontext wird auch der Druck beibehalten, Nord Stream 2 unfertig abzubrechen. In diesem Fall, wie auch hinsichtlich höherer Verteidigungsausgaben in Deutschland, entfällt zukünftig das Argument, man wolle Trump nicht nachgeben. Jetzt gilt es dasselbe zu tun, um Biden zum Erfolg zu verhelfen.

Auch die handelspolitischen Fragen, die aus der Amtszeit Obamas noch in den transatlantischen Beziehungen hängen, werden wieder auf die Tagesordnung kommen. Wenn die Trump’sche Drohung mit Strafzöllen verschwindet, kehrt sich die Forderung Bidens nach mehr Importen amerikanischer Produkte hervor. Das hatte schon zur Amtszeit Obamas zu Unstimmigkeiten mit der EU geführt –  insbesondere, wenn Vereinbarungen über Agrarimporte anstanden. Die Administration Biden wird den EU-Staaten eine intensive Kooperation anbieten. Ob diese aufgestellt sind, das Angebot anzunehmen, wird sich zeigen.