Ein Team von Forscher*innen der Universität zu Köln und der Universität Würzburg hat in Trainingsstudien herausgefunden, dass die Unterscheidung von bekannten und unbekannten Wörtern trainiert werden kann und zu effizienterem Lesen führt. Wörter zu erkennen ist die Grundlage, um die Bedeutung eines Textes zu erfassen. Wenn wir lesen, bewegen wir unsere Augen sehr effizient und schnell von Wort zu Wort. Dieser Lesefluss wird in der Regel nur dann gestört, wenn wir einem Wort begegnen, das wir nicht kennen. Wenn man eine neue Sprache lernt, kommt dies oft vor, da die Wörter erst gelernt und sprachspezifische Besonderheiten in der Rechtschreibung verinnerlicht werden müssen. Das Team von Psycholog*innen unter der Leitung von Juniorprofessor Dr. Benjamin Gagl von der Humanwissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln hat nun eine Methode gefunden, um diesen Prozess zu optimieren. Die aktuellen Forschungsergebnisse wurden unter dem Titel „Investigating lexical categorization in reading based on joint diagnostic and training approaches for language learners“ in der Fachzeitschrift npj Science of Learning publiziert. Weiterführende Studien werden ab Mai in einem durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Projekt umgesetzt.
„Lesen ist essentiell für die Informationsverarbeitung“, sagt Erstautor Benjamin Gagl, der seit Jahren die kognitiven und neuronalen Prozesse der Worterkennung untersucht. Vor zwei Jahren zeigten er und ein Team von Forscher*innen, dass psychologische Theorien keine ausreichend präzisen Annahmen über die genauen Funktionen eines der am häufigsten bei Studien zur Worterkennung aktivierten Hirnareale, des linken unteren Schläfenlappens, machen. Um diese Wissenslücke zu schließen, hatten Gagl und Kolleg*innen ein Modell entwickelt, das etablierte Verhaltensbefunde aus der Psychologie nutzt, um die Aktivierungsstärke dieses Leseareals im Gehirn vorherzusagen. Dieses Modell bildet die Grundlage für die aktuelle Forschung.
Wortfilter als ein Baustein für effizientes Lesen
Das Modell nimmt an, dass diese Gehirnregion im Sinne eines Filters bereits bekannte Wörter von sinnlosen oder noch nicht bekannten Buchstabenfolgen trennt und nur bekannte Wörter zu nachfolgenden Prozessen der Bedeutungsverarbeitung „passieren“ lässt. Wenn wir etwas Neues lernen, begegnen wir jedoch auch unbekannten Wörtern. Diese erfordern eine andere Art der Verarbeitung im Gehirn.
Dieses „lexikalische Kategorisierungsmodell“ ist die Basis für die durchgeführten Trainingsstudien. Drei Verhaltensstudien zeigten, dass die Leseleistung besser wird, wenn Versuchsteilnehmer*innen genau diesen Filterprozess – einen Kernprozess des Lesens – trainieren. Die verwendeten Trainingsprogramme beinhalteten einfache Aufgaben, in denen die Leser*innen über einige Zeit Wörter von nicht-Wörtern per Tastendruck unterscheiden sollten (z.B., Weg vs. Wag). Nach drei Tagen Training stellte sich eine substantielle Verbesserung der Leseleistung ein. Dies wurde in dem Artikel über drei Vergleichsstudien hinweg gezeigt. Weiterhin setzte das Team ein KI-basiertes diagnostisches Verfahren um, das die Effizienz des Trainings steigern kann. Die Diagnostik kann nach nur kurzer Trainingsdauer Versuchsteilnehmer*innen erkennen, die sehr wahrscheinlich nicht von einem weiteren Training profitieren würden. Somit kann für jeden Lernenden individuell entschieden werden, ob sich der Aufwand des Trainings lohnt oder ob stattdessen ein alternatives Training durchgeführt wird.
Neue Möglichkeiten zur Kompensation von Leseschwächen
Im Rahmen eines neu eingeworbenen DFG-Projekts, das am 1. Mai startet, werden die Forschenden die Computermodelle weiterentwickeln. Zusätzlich setzen sie neue Trainingsansätze für das Sprachenlernen oder auch zur Kompensation von Funktionsstörungen um. Neben dem Feld Deutsch als Fremdsprache ist auch der Bereich der Lese- und Rechtschreibschwäche ein potenzielles Anwendungsfeld. „Computermodelle von neuronalen Prozessen können dazu dienen, grundlagenwissenschaftliche Erkenntnisse in individualdiagnostischen Trainingsprogrammen in pädagogischen und klinischen Settings umzusetzen. Damit können wir einzelnen Lernenden helfen, ihre Lesekompetenzen zu optimieren und so ihre Informationsverarbeitungskompetenz entscheidend zu verbessern,“ so Gagl.
Inhaltlicher Kontakt:
Juniorprofessor Dr. Benjamin Gagl
Universität zu Köln
Self Learning Systems Lab & Department für Heilpädagogik und Rehabilitation
benjamin.gagluni-köln.de
Presse und Kommunikation:
Jan Voelkel
+49 221 470 2356
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Zur Publikation:
https://doi.org/10.1038/s41539-024-00237-7
Weitere Informationen:
https://gepris.dfg.de/gepris/projekt/523332674