Erkrankt ein Familienmitglied an dem Corona-Virus, wirkt sich das besonders auf Jugendliche aus ökonomisch schwächeren und weniger gebildeten Schichten negativ aus. Die Heranwachsenden fallen nicht nur in der Schule zurück, auch ihre nicht-kognitiven Fähigkeiten leiden. Sie sind weniger prosozial als zuvor. Das bedeutet: Sie verhalten sich weniger großzügig, altruistisch und kooperativ. Zudem sinkt ihre Bereitschaft, anderen zu vertrauen. Neben nachlassenden schulischen Leistungen kann auch diese Entwicklung für sie langfristig Nachteile mit sich bringen. Das zeigen Ergebnisse eines Forschungsteams um den Verhaltensökonomen Professor Dr. Matthias Sutter von der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät, der unter anderem am Exzellenzcluster ECONtribute an der Universität zu Köln tätig ist. Die Studie ist am Montag, 8. November, in der Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) erschienen.
Ursprünglich war es das Ziel der Wissenschaftler:innen herauszufinden, inwiefern sich das prosoziale Verhalten von Jugendlichen je nach sozioökonomischen Status unterscheidet. Dazu sammelte das Team bereits im Herbst 2019 Daten von 5.000 Oberstufenschüler:innen im Alter zwischen 15 und 17 Jahren aus drei französischen Regionen. Schon damals zeigte sich anhand von vier Experimenten eine Lücke zwischen Heranwachsenden aus sozioökonomisch besser und schlechter gestellten Familien. Schüler:innen aus weniger wohlhabenden Familien mit einer geringeren Bildung verhielten sich weniger prosozial.
In einer zweiten Runde im Frühjahr 2020 nahmen mit 363 Jugendlichen aufgrund des damals vorherrschenden Lockdowns deutlich weniger der Befragten erneut an den gleichen vier Experimenten teil. Die Forschenden stellten fest: Eine Infektion innerhalb der eigenen Familie hat die Schere zwischen den verschiedenen Bevölkerungsschichten mehr als verdoppelt. Während sich das Verhalten von Jugendlichen mit einem hohen Sozialstatus in diesem Fall kaum veränderte, verhielten sich diejenigen mit einem niedrigen Sozialstatus deutlich weniger prosozial.
Mehrere Studien haben bereits in der Vergangenheit bewiesen, wie die Pandemie Menschen aus ökonomisch schwächeren und bildungsferneren Schichten in den Bereichen Gesundheit, Arbeitsmarkt und Bildung härter trifft. Das Team um Sutter zeigt nun, inwiefern sich COVID-19 negativ auf prosoziales Verhalten auswirkt – mit Konsequenzen. Denn Wirtschaftswissenschaftler sind sich einig, dass nichtkognitive Fähigkeiten wie Prosozialität deutlich zum Erfolg im späteren Berufsleben beitragen. „Diese Entwicklung könnte sich langfristig negativ auf die Arbeitsmarktchancen der Betroffenen auswirken“, sagt Sutter.
Über die Ergebnisse seiner Studie spricht der Ökonom auch in einer neuen Folge des Wissenschaftspodcasts „Exzellent erklärt – Spitzenforschung für alle“, die am 1. Dezember erscheinen wird. In jeder Folge gewährt der Podcast Einblicke in einen der insgesamt 57 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Forschungsverbünde.
ECONtribute ist der einzige von der DFG geförderte Exzellenzcluster in den Wirtschaftswissenschaften, getragen von den Universitäten in Bonn und Köln. Der Cluster forscht zu Märkten im Spannungsfeld zwischen Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Ziel ist es, Märkte besser zu verstehen und Marktversagen in Zeiten sozialer, technologischer und wirtschaftlicher Herausforderungen – wie zunehmender Ungleichheit, globalen Finanzkrisen und Digitalisierung – mit einer neuen Herangehensweise zu analysieren.
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Veröffentlichung:
COVID-19 within families amplifies the prosociality gap between adolescents of high and low socioeconomic status, Camille Terrier, Daniel L. Chen and Matthias Sutter. PNAS (2021), https://doi.org/10.1073/pnas.2110891118
https://www.pnas.org/content/118/46/e2110891118