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Archäologische Fundstellen benötigen individuelle Schutzkonzepte

Kooperationsprojekt untersucht Ursachen für Hochwasserschäden an archäologischen Fundstellen im Rheinland und wie entstandene Schäden in Zukunft schneller erfasst werden können / Veröffentlichung in „Environmental Sciences Europe“

In den neu entstandenen Uferprofilen des Orbaches bei Euskirchen konnten Stickungen beobachtet werden, die zu einem bislang nur aus Oberflächen bekannten römischen Fundplatz gehören. Foto: C. Koppmann/LVR-Amt für Bodendenkmalpflege im Rheinland

Die rekonstruierten Mauern des Kleinkastells in Nettersheim am Steinrütsch konnten dem Wasser nicht standhalten. Zudem wurde einer der nachgebauten Torbereiche unterspült und sackte teilweise ab, was zu Setzrissen führte Foto: T. Albert/LVR-Amt für Bodendenkmalpflege im Rheinland

Die Analyse der nach dem Starkregenereignis im Juli 2021 dokumentierten Schäden an archäologischen Fundplätzen zeigt: Mehrere Faktoren begünstigen die Entstehung von Schäden an archäologischen Fundstellen durch Starkregen- und Hochwasserereignisse. So beeinflussen unter anderem das Alter der Fundstelle, die aktuelle Nutzung des Geländes oder die jeweilige Hangneigung das Risiko. Jedoch lässt sich die Entstehung von Schäden nicht vorhersagen, die beteiligten Prozesse sind zu komplex: Für zukünftige Schutzmaßnahmen sind individuelle Lösungen gefragt. Das ist eine der Schlussfolgerungen, zu der ein interdisziplinäres Team von Wissenschaftler*innen der Universität zu Köln, des LVR-Amtes für Bodendenkmalpflege im Rheinland (LVR-ABR) und der RWTH Aachen kommt. Die Ergebnisse wurden unter dem Titel „Assessing the impact of the 2021 flood event on the archaeological heritage of the Rhineland (Germany)“ in der Fachzeitschrift Environmental Sciences Europe vorgestellt.

Neben der Frage, ob sich durch Starkregen- und Hochwasserkatastrophen verursachte Schäden an archäologischen Fundstellen vorhersagen lassen, wollten die Forschenden herausfinden, ob und wie sich solche Schäden in Zukunft schneller erfassen lassen. Als Grundlage dienten der Studie Daten, die im Rahmen des Projekts „Schadenskataster Hochwasser 2021“ des LVR-ABR (gefördert durch das Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung) von 2022 bis 2023 in Gebieten der Eifel, der Voreifel und des Bergischen Landes erhoben worden waren. Hier hatte das Starkregen- und Hochwasserereignis vom 14. und 15. Juli 2021 katastrophale Folgen für Mensch, Natur und Infrastruktur verursacht, die bis heute nachwirken. Auch archäologische Fundstellen, wie zum Beispiel Teile von ehemaligen Wasserkraftanlagen, waren betroffen. 

Das Projekt untersuchte 538 archäologische Fundstellen in hochwassergefährdeten Gebieten auf Schäden. Die Auswertung der Daten zeigt, dass 19 Prozent der untersuchten Fundstellen Hochwasserschäden aufwiesen. Die meisten beschädigten Fundstellen datieren in jüngere Zeitperioden und stehen im Zusammenhang mit der Nutzung von Wasserkraft im Mittelalter und in der Neuzeit. Verursacht wurden die Schäden überwiegend durch Erosion, durch Treibgut oder durch Ausspülungen in Fundamenten und Mauerwerk. Den untersuchten Kommunen wurden die relevanten Schadensdaten und Empfehlungen übermittelt, diese Berichte können als Grundlage für die Beantragung von Hilfsgeldern für Wiederaufbau und Schutzmaßnahmen dienen.

Ein wesentlicher Teil der veröffentlichten Studie umfasst die Analyse, welche Faktoren Schäden an den Fundstellen begünstigt haben. Dazu nutzte das Team statistische Methoden, die die erhobenen archäologischen und neu generierten geografischen Daten auf Zusammenhänge zwischen den Beschädigungen und einzelnen oder mehreren Faktoren prüfen. Dabei zeigte sich, dass einzelne Faktoren statistisch mit dem Auftreten von Schäden korrelieren: zum Beispiel das Alter der Fundstelle, die aktuelle Nutzung des Geländes oder die vorherrschende Hangneigung. Für eine zuverlässige Vorhersage der Schadensfälle, zum Beispiel auch in bislang nicht untersuchten oder bisher nicht betroffenen Gebieten, wäre hingegen eine Kombination von aussagekräftigen Parametern wünschenswert. Die multifaktorielle Analyse ergab, dass die regionale Topografie zwar eine sehr wichtige Rolle bei der Schadensentstehung spielt, die Ursachen für Schäden im gesamten Untersuchungsraum aber derart komplex waren, dass ein solches Set an Parametern nicht abgeleitet werden konnte. Die Ergebnisse lieferten aber Hinweise, dass größere Stichproben aus topographisch einheitlicheren Räumen oder eine Fokussierung auf einzelne, besonders häufig betroffene Bodendenkmaltypen weitere Erkenntnisse liefern können. Beteiligte Kollegen der RWTH Aachen sehen auch Potential in der Integration hydrologischer Modellierung einzelner Flusssituationen, um in Zukunft die Vorhersage von Schäden an Bodendenkmälern zu verbessern. 

Ein weiterer Aspekt der Studie widmet sich dem Potential von Airborne Laser Scanning (ALS) Daten zur Identifikation von Hochwasserschäden. Dabei werden Höhendaten der Geländeoberfläche vor und nach dem Hochwasserereignis miteinander verglichen, um Veränderungen zu identifizieren. Dieser bereits an anderen Fundplätzen erprobte methodische Ansatz weist deutliche Vorteile in schwer zugänglichen Bereichen auf. Einen Ersatz für die umfangreiche, oft zeitaufwendige Feldarbeit vor Ort bietet die Methode allerdings nicht. Denn die ALS-Methode erlaubt zum Beispiel nicht die Abgrenzung von sehr kleinen oder bereits kurz nach dem Hochwasserereignis reparierten Schäden. Nur etwa fünfzig Prozent der in der Studie beobachteten Schadensfälle lassen sich mit der hier verwendeten Fernerkundungsmethode erkennen, die auf den ALS-Daten der Landesvermessung beruht.

„Die Ergebnisse des Projekts verdeutlichen sowohl die Vorteile und Potentiale als auch die Grenzen einer geostatistischen Datenanalyse und der Nutzung von ALS-Daten im Kontext von Starkregen- und Hochwasserkatastrophen“, sagt Dr. Isabell Schmidt von der Universität zu Köln. „Insbesondere die Diversität der archäologischen Fundstellen und die Vielfältigkeit der naturräumlichen Gegebenheiten im Rheinland stellen eine Herausforderung für die Entwicklung einheitlicher Schadensprognosen und Handreichungen zum Schutz der archäologischen Fundstellen dar.“ Die gewonnenen empirischen Daten sind den Forschenden zufolge dennoch geeignet, um vor Ort über individuelle Schutzmaßnahmen zu entscheiden. In Anbetracht des Klimawandels und potenziell häufigerer Starkregenereignisse werden diese Informationen für die Entwicklung von Präventions- und Katastrophenschutzplänen von Bedeutung sein.
 

Inhaltlicher Kontakt: 
Dr. Isabell Schmidt
Institut für Ur- und Frühgeschichte, Universität zu Köln
isabell.schmidtSpamProtectionuni-koeln.de

Claudia Koppmann 
LVR-Amt für Bodendenkmalpflege im Rheinland
Claudia.koppmannSpamProtectionlvr.de

Presse und Kommunikation:
Eva Schissler
+49 221 470 4030
e.schisslerSpamProtectionverw.uni-koeln.de

Publikation:
https://link.springer.com/article/10.1186/s12302-024-00991-w?utm_source=rct_congratemailt&utm_medium=email&utm_campaign=oa_20240918&utm_content=10.1186%2Fs12302-024-00991-w