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Wohltäter Wallraf

Ein Bürger und sein Engagement für Köln

Gudrun Gersmann: »Wallraf war eine prägende Figur in einer Zeit der Umbrüche«

Sein Wirken legte den Grundstein für vieles, was heutige Kölner*innen als selbstverständlich ansehen. Der Gelehrte und Sammler Franz Ferdinand Wallraf war an der Rückführung geraubten Kunstgutes beteiligt und setzte sich für die Neugründung der Kölner Universität ein. Zu seinem 200. Todestag findet ein vielfältiges Festjahr statt.

Von Robert Hahn


Kölner*innen ist der Name vertraut, auch wenn manche ihn nur aus dem Stadtbild kennen: es gibt einen Wallraf-Platz, das Wallraf-Richartz- Museum und wenn man aufgepasst hat, dann weiß man auch, dass es eine Statue von Wallraf gibt. Präsenter ist der Kölner Gelehrte, letzte Rektor der alten Universität, Stadtplaner und Sammler aber nur wenigen Bürger*innen. Am 18. März jährte sich zum 200. Mal der Todestag des Kölner »Erzbürgers« – ein guter Anlass, seine Leistungen in der Stadt und darüber hinaus noch bekannter zu machen. Ein ganzes Jahr lang finden an verschiedenen Orten in der Stadt Ausstellungen, Vorträge, Konzerte und Führungen statt, die über das vielfältige Erbe Wallrafs informieren.

Professorin Dr. Gudrun Gersmann, Inhaberin des Lehrstuhls für die Geschichte der Frühen Neuzeit, ist Expertin für die deutsch-französischen Beziehungen in jener Zeit und hat 2015 ein umfangreiches Projekt zu Ferdinand Franz Wallraf an der Universität initiiert. Wallraf ist für sie eine regional, mittelbar aber auch national und international bedeutsame Persönlichkeit, »eine prägende Figur in einer Zeit der Umbrüche«. Die Sammlungen des Gelehrten bildeten den Grundstock fast aller Kölner Museen, vom Römisch-Germanischen Museum über das Wallraf-Richartz- Museum bis hin zum Museum Schnütgen oder dem Stadtmuseum.

Wallrafs Wirken war geprägt von der Aufklärung, der Französischen Revolution und der aufkeimenden Moderne mit ihren politischen und gesellschaftlichen Umwälzungen. Für die Historikerin Gersmann ist besonders die Vielfalt der intellektuellen Tätigkeiten des Universalgelehrten in dieser Zeit reizvoll: »Er ist eine typische Figur dieser sogenannten Sattelzeit am Ende des 18. Jahrhunderts – jemand, der sich vollkommen neu sortieren muss.«

 

Kunstraub und Restitution

Wallraf war in verschiedenen Ämtern und Funktionen mit gewaltigen Transformationen konfrontiert, die er nicht hatte vorhersehen können. 1772 zum Priester geweiht, studierte er ab 1776 Naturwissenschaften an der Medizinischen Fakultät der alten Universität Köln und wurde 1784 Professor für Botanik, ab 1786 erweitert um die Fächer Naturgeschichte und Ästhetik. Ab 1793 war er der letzte Rektor der Universität, die 1798 von den Franzosen aufgehoben wurde. Doch auch in der französischen Zeit nahm Wallraf tatkräftig am intellektuellen und politischen Leben der Stadt teil. Dies führte auch dazu, dass Wallraf den Friedhof Melaten, der in dieser Zeit nach dem Vorbild des Pariser Friedhofs »Père Lachaise« als parkähnliche Anlage angelegt und eröffnet wurde, mit Inschriften und Grabdenkmälern mitgestaltete. 1812 war er schließlich mit der Übersetzung der Kölner Straßennamen ins Französische beauftragt – eine Gelegenheit, die es ihm ermöglichte, auch die deutschen Bezeichnungen zu ändern.

Die Säkularisation konfrontierte ihn mit einem neu entstehenden Kunstmarkt und Kunstobjekten, die plötzlich in die Welt geschwemmt wurden. Als leidenschaftlicher Sammler wollte er diese Objekte erwerben und in seine Sammlungen auch für die Lehre integrieren. Andererseits wollte er die Objekte vor dem Zugriff der Franzosen schützen. Diese hatten während ihrer Zeit in nicht unerheblichem Umfang die hiesigen Kulturgüter – auch Wallrafs eigene Büchersammlung – geplündert und nach Frankreich überführt.

»Nach dem Ende der napoleonischen Herrschaft wurde Wallraf deshalb zur gewichtigen deutschen Stimme, die sich mit dem ganzen Komplex der Restitution der Kunstwerke auseinandergesetzt und öffentlich Stellung bezogen hat«, erklärt Gersmann. So erstellte er unter anderem eine Liste, die »Denkschrift über die Verluste, welche die freie Reichsstadt Köln durch die Franzosen erlitten«. Gersmann: »Das fand ein deutschlandweites und sogar europäisches Echo. In diesem Diskurs war Wallraf jemand, der über Köln hinaus wahrgenommen wurde.«

Insbesondere die Restituierung des Rubens-Gemäldes »Die Kreuzigung Petri« machte den Gelehrten sehr populär. Das letzte Gemälde des flämischen Künstlers, das er 1640 angefertigt hatte, war bereits 1794 aufgrund seines hohen künstlerischen und finanziellen Werts von den Franzosen in den Louvre verbracht worden. Mit Wallrafs Hilfe gelang es dessen ehemaligem Schüler Eberhard von Groote, das Gemälde 1815 nach Köln zurückzuführen. Es ist heute in der Kunststation St. Peter zu besichtigen.

 

Einsatz für eine neue Universität

Beim Sammeln verließ sich Wallraf mehr auf Geschick, Wissen und Netzwerke als auf eine dicke Börse. »Wallraf war ein armer Schlucker, er hatte nicht das Geld wie ein Geheimrat Goethe«, so Gersmann.

Seine Sammlungen bilden nicht nur den Grundstock für die Museen, sondern prägen auch bis heute die Universität zu Köln. Die Universitäts- und Stadtbibliothek bewahrt den Teil der Büchersammlung Wallrafs auf, der von den Franzosen nicht mitgenommen wurde.

Doch nicht alles gelang dem »Erzbürger « so gut wie seine Aktivitäten rund um die Kunstgegenstände. Sein Eintreten für die Wiedergründung der Kölner Universität stieß bei den neuen, nun preußischen Herren des Rheinlandes auf taube Ohren. Weder seine Bekanntheit noch seine hervorragende Vernetzung in Wissenschaft, Kunst und Kommerz führten zum Erfolg; seine Vision einer neuen Universität in Köln scheiterte. Bonn erhielt den Zuschlag.

Wallrafs »Heiligsprechung« im öffentlichen Bewusstsein begann schon unmittelbar nach seinem Tod 1824, nicht zuletzt durch seinen ersten Biographen Wilhelm Smets, mit dessen Titulierung Wallrafs als »Erzbürger«. Bis heute ist er der einzige Kölner, der mit diesem Titel geführt wird. Leider ist Wallraf im 20. Jahrhundert selten das Objekt wissenschaftlicher Forschung gewesen, erklärt die Historikerin Gersmann. »Wallraf Digital« hat die Ergebnisse des Forschungsprojekts von 2015 in unterschiedliche mediale Vermittlungsformate gebracht – und war 2018 auch an der großen Ausstellung »Wallrafs Erbe« im Wallraf-Richartz-Museum beteiligt. Diese Welle eines neuen Interesses setzt sich jetzt mit dem Wallraf-Jahr 2024 fort.

 

Weitere Infos: wallrafdigital.koeln