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Wo Jesus wirkte

Frühe Kirche am See Genezareth ausgegraben

Archäologische Ausgrabungen fördern am See Genezareth eine frühe Kirche ans Tageslicht. Die Mosaike und Inschriften zeugen von einer Gemeinde, in der das Bewußtsein der frühesten Christen fortlebte. Doch nicht auf alle Inschriften ist Verlass: Auch ein Bischof kann sich mal im Datum irren.

Von Robert Hahn

Die »verbrannte Kirche« ragte einst hoch über dem See Genezarath auf den Ausläufern der Golanhöhen über die Landschaft. Die Stadt Hippos liegt in dem biblischen Gebiet, in dem Jesus Wunder gewirkt haben soll. Hier, vom Ostufer des Gewässers auf 350 Metern Höhe, hat man einen guten Blick weit nach Norden, nach Kapernaum, wo Jesus in der Synagoge predigte und Simon Petrus lebte. Oder nach Süden, nach Gadara, wo Jesus laut Bibel Dämonen austrieb.

Professor Dr. Gregor Staab vom Institut für Altertumskunde weiß, dass dies eine geschichtsgesättigte Landschaft ist, von besonderer Bedeutung für die Christen in aller Welt: »Man hat dort ständig diese bewegte Geschichte vor Augen. 63 vor Christus eroberte der römische General Pompeius das Gebiet der sogenannten Dekapolis, die sich weitgehend auf dem Ostufer des Sees und des Jordans befand. Jesus soll hier in der Gegend den Evangelien zufolge eine Reihe von Wundern gewirkt haben.«

Mehr als zwanzig Jahre Grabungsarbeiten

Der Epigraphiker und Mitherausgeber der Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik ist Fachmann für altgriechische Inschriften und begleitet seit Jahren archäologische Projekte, wie zum Beispiel die Erforschung der monumentalen Inschrift von Oinoanda in Kleinasien, die von seinem Kölner Kollegen Professor Dr. Jürgen Hammerstaedt geleitet wurde.

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Vogelblick auf die »verbrannte Kirche«. Sie ist eine von sieben byzantinischen Kirchen in der Stadt Hippos und liefert den Forschenden die reichsten Zeugnisse über die frühchristliche Gemeinde vor Ort

Hippos gehörte in der Antike zur sogenannten Dekapolis, dem Zehnerbund von Städten auf dem heutigen Gebiet von Israel, Jordanien und Syrien, die nach den Eroberungsfeldzügen Alexanders des Großen von dessen Nachfolgern, den Seleukiden, gegründet worden waren. Im 1. Jahrhundert vor Christus gründeten sie den Städtebund. Hippos war sicher nicht die reichste des Bundes, die christliche Gemeinde dort ließ es sich aber nicht nehmen, ihre Kirchen so schön wie möglich zu schmücken.

Seit 2000 wird die »verbrannte Kirche« ausgegraben. Eigentlich hieß sie »Martyrion des Theodoros« und war dem gleichnamigen Soldatenheiligen aus Amaseia geweiht. Im Jahr 614 nach Christus wurde sie wahrscheinlich durch persische Truppen zerstört, doch viele Mosaike mit Darstellungen von Heiligen, Wundern und Inschriften blieben erhalten und zeugen bis heute von den Menschen und Verhältnisse zu jener Zeit. Das Ausgrabungsprojekt wird von Dr. Arleta Kowalewska und Dr. Michael Eisenberg vom Zinman-Institut für Archäologie an der Universität Haifa geleitet.

In der letzten Grabungssaison im Juli 2022 legte das israelische Team den gesamten Innenraum der Kirche, einen Teil des Atriums und zwei der Nebenräume frei. Wieder kamen Inschriften zum Vorschein – ein Fall für den Epigraphiker Gregor Staab.

Fische, Vögel und Früchte

Das »Martyrion des Theodoros« ist eine von sieben byzantinischen Kirchen, die bisher in Hippos gefunden wurden. Obwohl sie wahrscheinlich die einfachste unter den Stadtkirchen ist, liefert sie den Forscher*innen die reichsten Zeugnisse der Gemeinschaft vor Ort – ihre Mosaike sind hervorragend erhalten, voller symbolischer Ornamente und zahlreicher Inschriften. Die Kirchengemeinde, die um sie herum in teilweise ausgegrabenen Wohnräumen lebte, war vielleicht die ärmste Stadtbevölkerung, aber vom Atrium ihrer Kirche aus hatten sie den besten Blick auf die Stätten, an denen Jesus einst wirkte, von einer Seite des Sees Genezareth zur anderen. Zweifellos spielte ihr christliches Kollektivgedächtnis eine wichtige Rolle bei der Auswahl der Mosaikmotive: Fische, Vögel, zwölf mit Früchten und vielleicht Broten gefüllte Körbe, denn auch das Wunder der Brotvermehrung fand im Umkreis des Sees statt.

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Mitglieder des israelischen Grabungsteams von der Universität Haifa an einer der im Sommer 2022 freigelegten Mosaikinschriften

Auch in der aktuellen Grabungskampagne wurden die Archäolog*innen wieder fündig und brachten dem Epigraphiker Arbeit: Die aufregendsten Funde waren vier neue Inschriften in griechischer Sprache, die zu den drei bereits freigelegten und veröffentlichten Texten hinzukommen. Zwei Inschriften wurden 2020 während der Restaurierungsarbeiten inmitten der COVID-Pandemie von der Restauratorin der Expedition, Yana Qedem, im westlichen Teil der Kirche freigelegt und im Juli 2022 in der Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik veröffentlicht. Die beiden zusätzlichen Inschriften waren die Überraschung der Grabungssaison im Juli 2022. Die erste Inschrift wurde bei den Ausgrabungen im Narthex, einem Korridor vor dem Kircheneingang, freigelegt.

Dort kamen bunte Würfel und Formen zum Vorschein, die eine Reihe von achteckigen Medaillons enthüllten, in denen Vögel, Körbe mit Früchten, geometrische Muster, Lotusblumen und mit Früchten beladene Dattelpalmen dargestellt waren. Dann tauchten zwei Inschriften auf. Die erste war teilweise beschädigt, aber nach der sorgfältigen Konservierung konnte Staab den größten Teil rekonstruieren.

Inschrift mit Datumsfehler

»Die Inschrift befindet sich direkt am Haupteingang, nicht weit von einem anderen Medaillon in der Mitte der Kirche, auf dem der Märtyrer Theodoros erwähnt wird, dem die Kirche geweiht wurde«, erklärt Staab. Bei der neuen Inschrift handele es sich um eine Fürbitte des Bischofs Megas für die friedliche Ruhe seiner zwei Brüdern, der am Ende die Jahreszahl 620 hinzugefügt wurde. »Hippos wandte, wie auch andere Städte der Dekapolis, die pompejanische Zeitrechnung an, die die Jahre ab der Eroberung der Region durch den römischen Feldherrn Pompejus im Jahr 64/63 v. Chr. zählte. Also wissen wir auch, dass das Mosaik 556/7 nach Christus gelegt wurde«, fügt er hinzu.

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Auf dem Kirchenboden fanden sich Mosaike von Vögeln, Fischen und Brotkörben

Bei der Datierung kam der Epigraphiker dann einem Fehler auf die Schliche: Die griechischen Zahlzeichen waren zwar deutlich, doch bei der folgenden sogenannten Indiktion, einem 15-jährlichen Zyklus zur Jahreszählung, der seit der Spätantike häufig verwendet wurde, hatte sich der Auftraggeber des Mosaiks geirrt: »Da ist ein Delta zu erkennen, das wäre die vierte Indiktion. Doch um diese Zeit ist die vierte Indiktion schon längst vorbei. Wenn man davon ausgeht, dass das Pompeianische Jahr im Spätherbst beginnt, müsste an dieser Stelle ein Epsilon stehen«, so Staab.

Die Bemühungen des Teams in dieser Saison galten nicht nur der Haupthalle der Kirche, sondern auch ihren südlichen Nebenräumen. Dort stieß das Team auf einen weiteren Mosaikboden mit einer zweiten Inschrift. Diesmal war sie perfekt erhalten und erinnerte neben dem Datum (nur wenige Monate vor der Inschrift im Narthex) auch an die Opfergabe des Mosaikschmucks und an zwei Personen, die sich hier ihre letzte Ruhestätte schufen. »Das Medaillon mit der Inschrift befindet sich zwischen zwei Säulen, die nach Osten ausgerichtet sind. Wir sind gespannt, was an dieser Stelle begraben liegt, aber wir müssen die nächste Saison abwarten. Es könnte dort eine Kapelle sein«, erklärt Dr. Eisenberg. Gregor Staab ist über die Kooperation mit seinen israelischen Kolleg*innen sehr froh, denn die archäologischen Entdeckungen ermöglichen es ihm, seinen Beitrag zur Erforschung der antiken Sprache und Gesellschaft zu leisten, in der die regionale Erinnerung an das Wirken Jesu lebendig geblieben ist.

 

Das Aufgabengebiet in Israel und die enge Zusammenarbeit mit den Kolleg*innen vor Ort geht auf frühere Kooperationen zurück: Die seit 2011 erschienenen vier Bände des Corpus Inscriptionum Iudeae/Palaestinae, ein Kooperationsprojekt der Universität zu Köln, der Hebräischen Universität Jerusalem und der Universität Tel Aviv, wurden von den Kölner Kollegen Professor Dr. Werner Eck und Professor Dr. Walter Ameling mitherausgegeben. 2018 vermittelte Werner Eck den Kontakt zu Dr. Michael Eisenberg an der Universität Haifa. Seitdem beschäftigt sich Gregor Staab mit den Inschriften, die in Hippos gefunden wurden.