Professorin Dr. Katajun Amirpur betrat 2022 Neuland: Als erste Person überhaupt wurde sie an einer deutschen Universität Rektoratsbeauftragte für Rassismuskritik. Dr. Rahab Njeri betreut das Thema im Referat für Gender & Diversity Management. Im Interview sprechen sie darüber, wie Rassismus und Diskriminierung im akademischen Umfeld aussehen können und wie die Uni damit umgeht.
Das Gespräch führte Eva Schissler
Frau Njeri, Sie sind seit 2021 als Referentin für Rassismuskritik an der Uni. Beschäftigen Sie sich schon länger mit dem Thema?
Njeri: Ja, ich habe die Stelle angenommen kurz nachdem ich mit meiner Doktorarbeit fertig wurde. Als Historikerin habe ich mich darin auch mit Rassismus und Diskriminierung befasst. Tatsächlich war meine erste Aufgabe an der Uni, einen Rektoratsbeauftragten oder eine Rektoratsbeauftrage für Rassismuskritik zu finden. Das war gar nicht so leicht, denn es gibt sehr wenige »scholars of color« unter den Professor*innen und im Mittelbau. Repräsentanz gehört auch zu diesem Amt, daher war das ein Thema. Außerdem sollte es ein Mensch sein, der bereits zu Rassismus gearbeitet hat.
Rassismuskritik – Eine rassismuskritische Haltung legt offen, wie rassistische Vorstellungen und Strukturen historisch entstanden sind, wie sie bis heute nachwirken und teils unbewusst reproduziert werden. Dabei werden Institution, Gruppen, Einzelne und kollektive Wissensbestände in den Blick genommen.
Frau Amirpur, wie kam es dazu, dass Sie es am Ende wurden?
Amirpur: Der ehemalige Prorektor für Chancengerechtigkeit und akademische Karriere, Stephan Michael Schröder, hat mich gefragt, ob ich mir das vorstellen könnte. Ich habe erst mal spontan nein gesagt. Ich habe selbst kaum direkte Rassismuserfahrungen gemacht. Ich bin tatsächlich zu weiß, fand mich also nicht repräsentativ genug. Hinzu kommt, dass ich mich als Islamwissenschaftlerin zwar auch mit Themen wie antimuslimischem Rassismus beschäftige, meine eigentlichen Forschungsgebiete sind aber Iranische Intellektuellengeschichte und Reform-Islam.
Wie klappte es dann doch noch?
Amirpur: Man bat mich, nach einem geeigneten Kandidaten oder einer Kandidatin zu suchen. Bei unserer Fakultätssitzung habe ich dann in die Runde geschaut und festgestellt, dass ich hier noch die mit Abstand »nicht-weißeste « Person bin. In den anderen Fakultäten ist das ähnlich. Also habe ich mich doch dafür entschieden; mir ist das Thema wichtig, ich will mich als Verbündete einbringen.
In Anbetracht der niedrigen Zahlen nichtweißer Professorinnen und Professoren an der Uni: Spielt das Thema Rassismuskritik analog zum Thema Geschlechtergleichstellung heute in Berufungsverfahren eine Rolle?
Amirpur: Eher nicht. Ich war zwei Jahre lang Gleichstellungsbeauftragte der Philosophischen Fakultät und habe somit viele Berufungsverfahren begleitet. Das Problem ist, dass sich BIPoC-Kandidatinnen und Kandidaten gar nicht erst bewerben. Es mustert niemand systematisch ihre Bewerbungen aus, sondern das Problem ist: Es kommen zu wenige dahin, überhaupt einen Doktor zu machen.
BIPoC – Das Akronym steht für »Black, Indigenous and People of Color« und fasst Menschen zusammen, die aufgrund ihres Aussehens oder religiöser und historischer Umstände diskriminiert werden. Zu den indigenen Gruppen, die in Europa Rassismus und Unterdrückung erfahren, gehören zum Beispiel Juden, Sinti und Roma, in Skandinavien auch die Samen.
Es stellt sich also die Frage: Wo genau ist die gläserne Decke? Dieses Phänomen der gläsernen Decke kennen wir ja auch in Bezug auf Frauen. Wir haben bei uns ein Drittel Studierende mit Migrationsgeschichte. Ab wo kommen sie nicht mehr gegen die gläserne Decke an – nach dem Master, schon nach dem BA? Und wie kann man das ändern, sie fördern? Eine Idee wäre ein Mentoringprogramm.
Was kann so ein Programm erreichen?
Njeri: Ich sehe das Problem darin begründet, dass die Konkurrenz um Stellen an Universitäten eh schon groß ist. Da können BIPoC-Personen schnell rausfallen. Mentoringprogramme sind daher wichtig, weil sonst zwar viele BIPoCMenschen in Deutschland studieren und promovieren, dann aber ins Ausland gehen. Sobald man sich dort einen gewissen Namen erarbeitet hat, ist auch der Weg an deutsche Hochschulen wieder frei. Es ist die Phase dazwischen, in der wir ein Problem haben. Damit uns diese Talente nicht verloren gehen, können wir sie in kritischen Karrierephasen mit Mentoring unterstützen.
Amirpur: Gut wäre auch, eine Professur für Rassismuskritik einzurichten, damit dieses Thema nicht nur ein universitäres Handlungsfeld ist, sondern wir mehr Forschung dazu machen und es in der Lehre vertreten können.
Was sind die Ihre wichtigsten Tätigkeiten, wenn wir Rassismuskritik zunächst als universitäres Handlungsfeld betrachten?
Njeri: Ich biete zum Beispiel Beratung für Mitarbeitende an. Dabei stelle ich immer wieder fest, dass viele Kolleg*innen gar nicht wissen, dass es uns gibt. Wir müssen Räume schaffen, in denen wir über Rassismus im Uni-Kontext sprechen können. Und natürlich sind wir auch zur Stelle, wenn etwas vorfällt, das irgendwie mit Rassismus zu tun hat. Hier stehen wir allen Seiten als vertrauensvolle Ansprechpartnerinnen zur Verfügung. Außerdem halte ich Impulsvorträge und biete Beratungen an, wenn sich ganze Institute oder Einheiten mit Rassismuskritik auseinandersetzen wollen.
Besonders in der Lehre kommt häufig die Frage auf, wie mit bestimmten Begriffen umzugehen ist, die potentiell rassistisch verletzend sind. Oft geht es auch darum, warum Rassismuskritik als Thema überhaupt relevant ist und uns alle angeht – von der Wissenschaft über die Studierenden bis in die Verwaltung. Letztere würde ich gerne noch stärker erreichen, denn sie ist ja ein wichtiger Teil der Uni und muss in diesem Prozess der Selbstreflexion mitgenommen werden.
Ist es schwierig, an einer Universität überhaupt eine kritische Reflexion über Rassismus anzustoßen? Denn in ihrem Selbstverständnis ist sie ja ein Ort der Demokratie und des freien Geistes, der über solchen Dingen steht.
Amirpur: Diese Einstellung begegnet mir häufig. In den letzten Monaten habe ich mich in den Fakultäten unser Uni vorgestellt, um mein Amt zu erklären. Ich will sensibilisieren, aber auch enttabuisieren. Denn es kommt oft: »Was habe ich damit zu tun? Ich bin Prof, ich bin doch nicht so dumm.« Das ist aber ein Fehlschluss. Hier muss ich behutsam vorgehen, ich will ja niemanden in eine Ecke stellen. Gleichzeitig fehlt uns Profs aber tatsächlich oft – besonders in Bezug auf Sprache – ein rassismuskritisches Bewusstsein. Das Referat für Gender & Diversity Management hat jetzt dazu einen Leitfaden herausgegeben.
Wie groß ist das Problem?
Amirpur: Wir haben tatsächlich viele Fälle, in denen sich Professor*innen unangemessen äußern. Ein Beispiel: Ein Professor fragt eine Studentin mit Kopftuch: »Soll ich das noch mal langsamer sagen?« Er nimmt also aufgrund ihres äußerlichen Erscheinungsbildes an, dass sie kein Deutsch kann. Das ist ein Unding. Dann komme ich ins Spiel und spreche die Profs an. Das geht halt besser, wenn man selbst Professorin ist. Wir sind ja eine ziemlich hierarchische Institution, leider Gottes.
Dabei habe ich aber auch festgestellt, dass durchaus Einsicht vorhanden ist und so mancher Vorfall ein positives Resultat zeitigt. Nachdem bei einer Vorlesung in der Medizinischen Fakultät das N-Wort gefallen war, entstand in dem Gespräch darüber mit dem betreffenden Professor und der Pro-Dekanin für Akademische Entwicklung und Chancengerechtigkeit, Elke Kalbe, die Idee, ein Lehrmodul für angehende Mediziner*innen anzubieten. Thema: Wie Sprache verletzen und die mentale Gesundheit beeinträchtigen kann. Das ist doch ein tolles Ergebnis.
Können Studierende und Dozenten das nicht besser direkt vor Ort ausräumen?
Amirpur: Wenn die Studierenden selbst die Professor*innen ansprechen, werden die Probleme aber oft nicht ernst genommen. Sie bekommen dann nur zu hören, dass sie sich doch »nicht so anstellen« sollen. Das führt zu dem unter unseren Studierenden durchaus verbreiteten Gefühl, nicht gehört, nicht gesehen, nicht auf Augenhöhe wahrgenommen zu werden. Das beeinträchtigt mentale Gesundheit tatsächlich sehr. Und noch aus einem anderen Grund muss die Uni Köln ein Interesse daran haben, dass sie nicht im Zusammenhang mit Rassismus in der Zeitung steht: Eine solche Reputation ist nicht hilfreich für Internationalisierungsbestrebungen. An eine solche Uni kommen weder internationale Studierende noch Lehrende.
Wenn etwas Rassistisches in einer Lehrveranstaltung geäußert wird, gibt es doch sicherlich einen allgemeinen Aufschrei, oder?
Njeri: Manchmal kommt es in solchen Fällen zu Gesprächen nach dem Seminar, in denen sich herausstellt, dass viele Studierende die Äußerung nicht in Ordnung fanden. Aber man hat sich nicht getraut, das direkt zu sagen. So haben BIPoC-Studierende in der Situation das Gefühl, dass sie alleine sind. Wir brauchen kritische Verbündete auch in der Uni. Es ist schade, dass es so wenige gibt, denn so sind Einzelne immer wieder in der Situation, erklären zu müssen, was Rassismus ist und warum eine bestimmte Äußerung rassistisch war. Aber das ist kein individuelles Problem, sondern ein institutionelles. Institutionelle Probleme brauchen institutionelle Lösungen.
Dann ist die Uni noch nicht der Ort des freien und fairen Austauschs von Gedanken, der sie eigentlich gerne sein würde?
Njeri: Leider ist genau das die Erfahrung vieler Studierender – aber auch Beschäftigter. Sie fragen sich auch: An wen kann ich mich wenden, wenn mir an der Uni etwas passiert? Was passiert danach und welche Konsequenzen muss ich tragen, wenn ich Rassismus und Diskriminierungen anspreche?
Wir wissen aus dem Bericht der externen Psychologin, die an der Uni Rassismuskritische Beratung für BIPoC-Studierende anbietet, dass die Betroffenen nach einem rassistischen Vorfall das Erlebte erst einmal für sich verarbeiten müssen und dann entscheiden, es zu melden oder nicht. Es gibt an der Uni durchaus eine Kultur des Schweigens – und das bringt auch andere zum Schweigen: In dem Moment, in dem ich über etwas spreche, bekomme ich von anderen Studierenden oder Mitarbeitenden zurückgespiegelt, dass ich es nicht so ernst nehmen sollte oder es einfach falsch verstanden habe. Was ich sage, wird nicht gehört. Im Ergebnis ist das »gaslighting« und die Betroffenen fühlen sich in ihrer Wahrnehmung verunsichert oder eingeschüchtert. Dann sagen sie eben auch nichts mehr und das Problem bleibt unsichtbar.
Wie können wir unsere Wahrnehmung von Rassismus ändern?
Njeri: Zunächst müssen wir akzeptieren, dass Rassismus auch an der Uni stattfindet, da sie kein neutraler Ort ist. Jeder und jede an der Uni kann uns hinzuzuziehen – wenn Rassismus und Diskriminierungen reproduziert werden, oder auch vorbeugend und zur Sensibilisierung. Nicht jede Leitungskraft ist rassismuskritisch geschult und kann Rassismus erkennen. Wir bemühen uns immer um konstruktive Lösungen, können Mediation anbieten und Maßnahmen empfehlen. Wir entwickeln gerade eine Best Practice für den Bereich, dazu gehört dann auch ein Feedback und eine Nachkontrolle. Schließlich liegt es in unser aller Interesse, dass Fälle von Rassismus, die dann eventuell in den Medien landen, an der Uni nicht mehr vorkommen. Auch, weil wir die Strukturen und das Expertenwissen haben.
Wie können wir an diesen Punkt kommen?
Njeri: Rassismuskritik ist für Unis ein relativ neues Thema, daher gibt es noch keine etablierten Prozesse, keine »fünf Schritte«, die man befolgen kann. Aber die Entwicklung ist positiv: Nach dem Diversity Re-Audit des Stifterverbands 2023 wurde die Uni Köln als die in NRW und deutschlandweit »führende Hochschule unter anderem in den Bereichen Antidiskriminierung und Rassismuskritik« bezeichnet. Die Uni ist beim Thema Rassisimuskritik also Vorbild für viele Unis in Deutschland.
Wir können aus jedem Vorfall lernen, unser Vorgehen transparenter machen und zeigen: Wir nehmen das ernst und es wird etwas getan. Betroffene, die einen Vorfall gemeldet haben, bekommen eine Rückmeldung. Einen absoluten »safe space« gibt es an der Uni nicht, aber wir können »safer spaces« schaffen. Dann kann ein Raum entstehen, in dem diejenigen, die Rassismus erleben und diejenigen, die ihn reproduzieren, offen und selbstkritisch miteinander reden und sich sensibilisieren – ohne als Personen verurteilt zu werden.
WEITERE INFORMATIONEN
Die Studie »BEING BLACK IN THE EU« der European Union Agency for Fundamental Rights (FRA) kommt zu dem Ergebnis, dass Menschen mit afrikanischen Wurzeln insbesondere in Deutschland und Österreich Diskriminierung und Rassismus erfahren. fra.europa.eu/en
Der »AFROZENSUS« des Bildungsvereins Each One Teach One (EOTO) e.V. und der zivilgesellschaftlichen Dachorganisation Citizens for Europe erhebt in einer Studie gemeinsam mit weiteren Partnern die soziale und wirtschaftliche Situation Schwarzer Menschen in Deutschland.
Leitfaden Diskriminierungssensible Sprache
Information und Anlaufstellen