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Wie können wir aus Fehlern lernen?

Es antwortet Prof.'in Jutta Stahl, Human­wissenschaftliche Fakultät

Es antwortet Professorin Dr. Jutta Stahl, Inhaberin des Lehrstuhls für Differentielle Psychologie und Psychologische Diagnostik an der Humanwissenschaftlichen Fakultät.


Wir führen regelmäßig Handlungen durch oder treffen Entscheidungen, bei denen wir unser Ziel nicht erreichen. In der Psychologie bezeichnet man das als Handlungs- oder Entscheidungsfehler. An meinem Lehrstuhl untersuchen wir die Verarbeitung solcher Fehler mit neurowissenschaftlichen Methoden.

Weniger als 100 Millisekunden nach einem Fehler (kürzer als ein Wimpernschlag) finden wir Veränderungen der Hirnaktivität. Weitere 200 Millisekunden später sind dann zentrale Informationen verarbeitet, um den Fehler zu erkennen, das Verhalten anzupassen und zu verbessern. Sogar ein Fehler, den wir nicht bewusst als solchen erkennen, wird schnell verarbeitet und kann zu einer Verhaltensänderung führen. Dies ist insbesondere für alltägliche, automatisch ablaufende Handlungen (zum Beispiel Radfahren oder Brot schneiden) wichtig, um Fehler korrigieren zu können. Unser Gehirn kann also sehr schnell aus Fehlern relevante Informationen ziehen und daraus lernen – manchmal sogar ohne, dass wir es merken.

Bei der Betrachtung von Fehlern sind immer auch die Folgen wichtig. Den Fleck auf dem Lieblingspullover empfinden wir sicher als ärgerlich, doch Fehler im Operationssaal oder Cockpit sowie ökonomische oder politische Fehlentscheidungen können schwerwiegende Folgen haben. Auch Gefühle wie Ärger, Scham, Angst, Enttäuschung oder Aggression beinträchtigen den Lernprozess oft deutlich – selbst bei geringen Folgeschäden.

Hinzu kommt, dass nicht jede*r die gleichen Schlüsse aus einem Fehler zieht: die Einstellung dazu ist wichtig. Aus Untersuchungen der Hirnaktivität wissen wir, dass Menschen selbst einfache Fehler, wie das Drücken einer falschen Taste, unterschiedlich verarbeiten. Perfektionistische Menschen, die sich viele Sorgen über negative Bewertungen machen, verarbeiten Fehler oft schlechter und lernen weniger daraus als weniger besorgte Personen. Aktuell vermuten wir, dass die Beschäftigung mit den Sorgen so viel Kapazität verbraucht, dass für die Fehlerverarbeitung weniger verbleibt.

Wichtig für das Lernen aus Fehlern ist auch, wie die Gesellschaft mit ihnen umgeht: Eine offene Auseinandersetzung mit Fehlern ist sinnvoll, um sie schnell zu erkennen und gut aus ihnen zu lernen. Warum also beobachten wir sowohl im persönlichen Alltag als auch in Politik, Wirtschaft oder Wissenschaft, dass Fehler immer wieder verheimlicht werden?

Die Ursachen sind vielfältig. Einerseits sind Fehler und Scheitern gesellschaftlich weiterhin wenig akzeptiert, trotz populärer Veranstaltungen wie »Fuckup Nights« und ähnlichem. Andererseits können die Angst vor Vertrauensverlust oder vor einer Blamage dazu führen, dass Fehler verschwiegen und vertuscht werden – oder sogar, dass eine andere Person beschuldigt wird. Leider werden Fehler oft mit dem Wert von Personen gleichgesetzt: Person X ist dumm und wertlos, weil sie einen Fehler gemacht hat. Sinnvoller wäre jedoch, Fehler als wertvolle Information über eine Handlung zu betrachten: was hat dazu geführt, was kann man ändern? So wäre der Selbstwert der Person kaum in Gefahr, die Angst vor einer Blamage kleiner und die Person sowie andere Beteiligte könnten aus dem Fehler lernen. Aber was einfach klingt, ist oft sehr schwer, selbst wenn der Wille da ist. Dabei würde ein genereller Kulturwandel hin zum Vorleben einer offenen Fehlerkultur, in der ein solches Denken ganz selbstverständlich ist, uns allen helfen, aus Fehlern zu lernen.