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Wie gewinne ich eine Fachkraft?

Das Exzellenzcluster ECONtribute erforscht Bewerbungsprozesse in Echtzeit

Überall fehlen geeignete Jobkandidat*innen, vor allem in Ingenieurberufen und der IT. Gleichzeitig sind Frauen dort unterrepräsentiert. Wie werden Unternehmen attraktiver für diverse Gruppen von Arbeitskräften? Um das herauszufinden, beobachten Kölner Wirtschaftswissenschaftler* innen am Exzellenzcluster ECONtribute Bewerbungsprozesse in Echtzeit.

Von Charlotte Pekel

Der Frauenanteil in MINT-Berufen betrug 2021 lediglich 17 Prozent. 88 Prozent der Unternehmen konnten im selben Jahr IT-Stellen wegen fehlender Bewerbungen nicht besetzen. Die erste Zahl stammt von der Bundesagentur für Arbeit, die zweite vom Statistischen Bundesamt. An diesen Werten lässt sich ein zentrales Problem auf dem deutschen und europäischen Arbeitsmarkt ablesen: In MINT-Berufen – also Jobs in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik – fehlen die Fachkräfte, besonders die Frauen.

Ende 2022 erreichte der Mangel an MINT-Expert*innen in Deutschland einen neuen Höchstwert. Dem Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) zufolge fehlen hierzulande rund 326.000 Arbeitskräfte. Das Problem wird seit Jahren öffentlich diskutiert, getan hat sich bisher wenig. Dabei hat es gravierende Auswirkungen, wenn Unternehmen und der öffentliche Sektor Stellen nicht besetzen können: die kritische Infrastruktur, der Bildungssektor und die Gesundheitsversorgung leiden, Aufträge können nicht erfüllt werden und öffentliche Einnahmen gehen zurück. Besonders in der Pflege und im Handwerk ist der Notstand groß – und im IT-Bereich.

Wenn der Markt allein es nicht regelt

Laut IW resultiert die hohe Zahl der fehlenden Fachkräfte im IT-Bereich aus den Herausforderungen von Klimawandel, Digitalisierung und demografischem Wandel. Für die Entwicklung klimafreundlicher Technologien und Produkte steige der Bedarf an IT-Expert*innen und Ingenieur*innen. Diese Fachkräfte werden insbesondere für die Digitalisierung gebraucht: Sie treiben dem IWBericht zufolge nicht nur Ressourceneffizienz und die Energiewende voran. Auch verfolgten immer mehr Unternehmen datengetriebene und damit digital gestützte Geschäftsmodelle.

Diversity-Themen spielten in den Wirtschaftswissenschaften lange Zeit keine große Rolle. Durch gesellschaftlichen Druck und den Fachkräftemangel hat die Thematik jedoch an Relevanz gewonnen – nicht nur in der Wissenschaft, sondern auch in Unternehmen. Sie geraten zunehmend unter Druck, sich diverser aufzustellen.

»Die Firmen verstehen immer mehr, dass sie stark um ihre Leute werben und den Arbeitsplatz für sie attraktiv machen müssen«, sagt Pia Pinger, Professorin für Volkswirtschaftslehre an der Universität zu Köln. »Wenn man verstärkt Frauen und internationale Expert*innen in den Arbeitsmarkt holt und fördert, kann das eine Lösung sein.« Um herauszufinden, wie das gelingen kann, leitet sie mit ihrem Kollegen Matthias Heinz, Professor für Betriebswirtschaftslehre, eine Studie am Köln-Bonner Exzellenzcluster ECONtribute: Markets & Public Policy. Ebenfalls beteiligt sind Larissa Fuchs und Max Thon, beide Doktorand*innen an der Kölner Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Die Forschenden arbeiten mit einem Unternehmen aus dem Technologiebereich zusammen, das mehr Frauen und Arbeitskräfte aus dem Ausland anwerben will. Der Anteil weiblicher Führungskräfte liegt hier beispielsweise bei unter 20 Prozent.

Studie – Die Studie »How Can Organizations Increase Diversity? Emphasizing Job Flexibility and Pay in Job Advertisements« von Pia Pinger, Matthias Heinz, Max Thon und Larissa Fuchs läuft über ein Jahr und wird vom Exzellenzcluster ECONtribute finanziert.

»Wir verbinden in unserer Studie Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung mit reellen gesellschaftlichen Problemen und tragen die Ergebnisse direkt in die Politik oder in die Unternehmen«, sagt Pia Pinger. »Das ist charakteristisch für die Forschung am Exzellenzcluster ECONtribute.« Der wirtschaftswissenschaftliche Cluster befasst sich nicht nur damit, wie Märkte funktionieren. Es geht auch darum zu verstehen, wie in wirtschaftlichen Systemen soziale Gräben entstehen und wie solche Fehler korrigiert werden können. Unter Berücksichtigung der politischen und juristischen Rahmenbedingungen entwickelt der Cluster so konkrete Handlungsempfehlungen für Vertreter*innen aus Politik, Gesellschaft und Wirtschaft.

Hohes Gehalt oder mehr Flexibilität?

Dass die Fachkräfte in vielen Bereichen rar sind, liegt nicht allein daran, dass es nicht genügend geeignete Kandidat*innen gibt. Einen Teil des Problems vermuten die Wissenschaftler*innen auch in der Art, wie Unternehmen auf sich und ihre offenen Jobs aufmerksam machen. Obwohl der Frauenanteil in MINT-Studienfächern gestiegen ist, entscheiden sich zu wenige für einen Job in der Industrie oder IT. Viele würden abwandern in Lehrberufe oder andere Bereiche, sagt Pia Pinger. »Das hängt auch davon ab, ob es als attraktiv wahrgenommen wird, in der Industrie zu arbeiten.«

Zunächst schauten sich die Wissenschaftler*innen den Bewerbungsprozess an. »Es war nicht so, dass die Firma gezielt Frauen aussortiert hat«, sagt Matthias Heinz. Im Gegenteil: Die Bemühungen waren da. Dass der Erfolg dennoch ausblieb, brachte Heinz und Pinger dazu, die Stellenanzeigen genauer unter die Lupe zu nehmen.

Das Forschungsteam prüft, ob sich durch Stellenausschreibungen bestimmte Gruppen von Bewerber*innen gezielt ansprechen lassen. Parallel werden Studierende aus MINT-Fächern im Labor befragt, ob sie sich auf aktuelle Jobanzeigen des Unternehmens bewerben würden. Die Verknüpfung von Erkenntnissen aus dem Labor mit solchen aus dem realen Unternehmensumfeld mache die Kölner Studie aktuell einzigartig auf ihrem Gebiet, so die Forschenden.

Laborstudien mit Studierenden, die bald einen Job suchen, haben gezeigt, dass Frauen und Männer unterschiedliche Charakteristika in Stellenanzeigen bevorzugen. »Männer springen eher auf ein höheres Gehalt an, Frauen eher auf Flexibilität«, so Pinger. Dies ist auch darin begründet, dass Frauen noch immer überwiegend für die Care-Arbeit im Haushalt und die Betreuung von Kindern zuständig sind. Teilzeit- Modelle sind tendenziell schlechter bezahlt als Vollzeit-Stellen. Somit prägen auch die breiteren Rahmenbedingungen des Arbeitsmarkts die Entscheidung, sich auf bestimmte Stellen zu bewerben oder nicht.

Auch Menschen mit einer Einwanderungsbiographie und Arbeitskräften aus dem Ausland ist ein hohes Gehalt im Job wichtig. Daneben spielt der Standort der Firma eine Rolle. Für die Studie werden die Stellenanzeigen des Unternehmens per Zufall mit diesen Charakteristika angereichert und auf Jobportalen ausgespielt. Jede Stellenanzeige wird mehrfach geschaltet, wobei jeweils unterschiedliche Merkmale der Stelle hervorgehoben werden. Die Wissenschaftler*innen begleiten den realen Bewerbungsprozess und befragen parallel 2000 Studierende aus MINT-Fächern in Laboren deutschlandweit. »So sehen wir auch, welche potenziellen Interessent*innen sich von einer Stellenausschreibung nicht angesprochen fühlen und warum«, erklärt Pia Pinger.

Hunderte Stellenanzeigen auswerten

Die Studierenden beantworten Fragen zu Persönlichkeitsmerkmalen, ihrem Berufswunsch und was ihnen an einem Job wichtig ist. Dann wird ihnen eine aktuelle Stellenanzeige der Firma vorgelegt und sie geben an, wie diese auf sie wirkt und ob sie sich darauf bewerben würden. Matthias Heinz: »Im Endeffekt wollen wir sehen, wie viele Bewerbungen es auf verschiedene Stellenanzeigen für den gleichen Job gibt und welche Typen von Menschen sich dafür interessieren.

Die Wissenschaftler*innen arbeiten in Echtzeit: Sie legen den Kandidat*innen im Labor nur Stellenanzeigen vor, die live geschaltet sind. Die Befragung muss dann schnell gehen. Daneben werden Kontrollvariablen festgehalten: Welche Stellenanzeige ist wann und wo online, an welcher Stelle erscheint sie im Jobportal, oder: Sucht die Konkurrenz gerade ähnliche Leute? Bis Ende des Jahres wollen Pinger und Heinz hunderte Stellenanzeigen auswerten. Sollte sich zeigen, dass unterschiedliche Jobeigenschaften in Stellenanzeigen einen großen Effekt auf die Bewerberzahlen haben, will das Team weiter zu dem Thema forschen. Denn eins ist klar: Der Fachkräftemangel wird sich nicht von alleine beheben.

 

ECONtribute: Markets & Public Policy -  ECONtribute ist der einzige im Rahmen der Exzellenzstrategie von Bund und Ländern geförderte Exzellenzcluster in den Wirtschaftswissenschaften, getragen von den Universitäten in Bonn und Köln. Der Cluster forscht zu Märkten im Spannungsfeld zwischen Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Ziel ist es, Märkte besser zu verstehen und Marktversagen in Zeiten sozialer, technologischer und wirtschaftlicher Herausforderungen – wie zunehmender Ungleichheit, globalen Finanzkrisen und Digitalisierung – mit einer neuen Herangehensweise zu analysieren.