Seit dem 1. Oktober ist ein neues Rektorat im Amt. Zu den Verantwortungsbereichen der neuen Prorektorinnen und Prorektoren gehören erstmals auch Nachhaltigkeit und Transfer. Im Gespräch sagt Rektor Professor Dr. Joybrato Mukherjee, was ihn an seiner neuen Aufgabe reizt, welche Akzente er setzen will – und wo er noch Baustellen sieht.
Das Gespräch führten Jürgen Rees und Eva Schissler
Herr Professor Mukherjee, Sie kommen ursprünglich aus dem Rheinland, haben aber lange Jahre in Hessen gelebt. Fühlt sich der Wechsel von Gießen nach Köln wie eine Heimkehr an?
Ich kenne Köln sehr gut aus meiner Jugend und habe hier auch familiäre Bindungen. In den vergangenen zwanzig Jahren bin ich ebenfalls regelmäßig aus Gießen nach Aachen gependelt, wo ich auch studiert hatte. Wenn ich dann auf der A4 über die Rodenkirchener Brücke gekommen bin und rechterhand den Dom gesehen habe, war es schon eine Art Heimkehr. Dabei war Köln für mich immer die Eingangspforte.
In diesem Zusammenhang müssen wir fragen: Wie stehen Sie zum Karneval?
In meiner hessischen Zeit ist er mir ein bisschen abhandengekommen – obwohl es hier durchaus auch eine karnevalistische Tradition gibt. Aber in der Jugend gehörte der Karneval zu meinem festen Programm und hat mich auch immer wieder mal nach Köln gebracht. Insofern gibt es da durchaus Anknüpfungspunkte.
Köln ist eine der größten Universitäten in Deutschland. Welche Herausforderungen bringt das für eine Hochschulleitung mit sich?
Die Kölner Universität ist die große Hochschule im Rheinland, mit der ich bisher unmittelbar wenig zu tun hatte – meine akademischen Stationen waren ja Aachen und Bonn. Aufgrund der Größe, Bedeutung und Geschichte der Uni ist das eine sehr spannende neue Aufgabe für mich.
Wenn man auf die harten Zahlen guckt, ist die Justus-Liebig-Universität Gießen, von der ich komme, mit 27.000 Studierenden und 5.800 Beschäftigten auch nicht klein. Sie ist nach Frankfurt die zweitgrößte Universität in Hessen und prägt die Stadt und die Region. Mit knapp 95.000 Einwohnern ist Gießen allerdings eine ganz andere Stadt als die Millionenstadt Köln. Beide haben aber gemeinsam, dass Stadt und Universität historisch eng miteinander verbunden sind.
Was die Leitungsaufgaben betrifft, gibt es deutliche Unterschiede, auf die ich mich einzustellen habe. Gießen ist eine mittelgroße Universität in einer überschaubar großen Stadt. Die Fachbereiche haben in der Regel 20 bis 40 Professuren. Köln hat dagegen sehr große Fakultäten, die historisch bedingt relativ eigenständig sind. Hier in Köln werde ich also mit starken Fakultäten zusammenarbeiten. Dabei erlebe ich die Dekanate nach meinen bisherigen Gesprächen als extrem kompetent, umsichtig und strategisch denkend – sie sind gewissermaßen »Partners in Leadership«.
Gleichzeitig hat die Universität besonders unter meinem Vorgänger Axel Freimuth eine starke gemeinsame Identität entwickelt. Daran möchte ich anknüpfen und diese Identität weiter stärken, denn der Erfolg der einzelnen Einrichtungen hängt vom Erfolg der gesamten Universität ab.
Zu den Herausforderungen zählt auch der bereits angelaufene Exzellenzprozess, den Sie jetzt übernehmen: Die Clusterskizzen wurden im Mai eingereicht, im kommenden Jahr folgt dann der Antrag in der Förderlinie Exzellenzuniversität. Wie werden sie ihn gestalten?
Dieser Prozess läuft ja schon seit der letzten Entscheidung von 2019. Köln hat vier Cluster bewilligt bekommen, darunter eigene und gemeinsame mit anderen Universitäten, den Exzellenzstatus jedoch leider verloren. Die Forschungssubstanz in Köln ist hervorragend, aber wir sind die einzige Universität mit so vielen Clustern, die nicht Exzellenzuniversität ist. Aus dieser Gemengelage sind in den vergangenen Jahren sicherlich bereits Schlussfolgerungen gezogen worden.
Exzellenzprozess – Die Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder zielt darauf ab, den Wissenschaftsstandort Deutschland zu stärken und durch Spitzenleistungen, Profilbildung und Kooperationen international noch wettbewerbsfähiger zu machen. Sie umfasst zwei gesonderte Förderlinien: Exzellenzcluster und Exzellenzuniversitäten. Die Universität zu Köln hat derzeit vier eigene und gemeinsame Exzellenzcluster und bewirbt sich – wenn sie abermals mindestens zwei Exzellenzcluster erhält – erneut um den Status einer Exzellenzuniversität.
Sind es aus Ihrer Sicht die richtigen?
Im neuen Rektorat beschäftigen wir uns jetzt damit, die bereits angegangenen Aufgaben abzuschließen und zu schauen, wo noch offene Flanken sind, die wir für unseren Antrag adressieren müssen. So arbeiten wir im Moment beispielsweise an einer ganzheitlichen Transferstrategie, denn eine solche brauchen wir, wenn wir als Exzellenzuniversität begutachtet werden. Diese Strategie wird alle drei Säulen umfassen, die der Wissenschaftsrat definiert hat: Anwendung und Verwertung, aber auch Beratung und Kommunikation.
Momentan steht jedoch der Abschluss der ersten Förderlinie, der Clusteranträge, an erster Stelle, auch damit wir das Eintrittsticket für die zweite Förderlinie bekommen. Dann folgt der Abschluss der Vorbereitung für die Förderlinie Exzellenzuniversität. Dabei muss uns bewusst sein, dass wir uns in einem sehr harten Wettbewerb befinden und andere sich auch intensiv vorbereitet haben. Wir müssen am Ende mit gutem Gewissen sagen können, dass wir uns bestmöglich vorbereitet und präsentiert haben. Oder, wie man früher gesagt hätte: Wir haben unsere PS auf die Straße gebracht. Dann gibt es aber wie immer auch den Glücksfaktor.
Wie sehen Ihre ersten Wochen und Monate im Amt aus – mal abgesehen vom Exzellenzprozess?
Einige wichtige Dinge sind auf einem guten Weg, zum Beispiel hat die Uni bereits eine Nachhaltigkeitsstrategie verabschiedet. Dieser Prozess muss nun umgesetzt werden, daher wird erstmalig ein Prorektorat für diesen Bereich verantwortlich zeichnen. Darüber hinaus gibt es den Entwurf eines Hochschulentwicklungsplans, der auf einem partizipatorischen Prozess fußt. Diesen wird das neue Rektorat finalisieren und – mit einer entwicklungsplanerischen Rahmung von institutionellen Zielen, prioritären Teilzielen und Maßnahmen sowie Indikatoren zur Zielüberprüfung – voraussichtlich im vierten Quartal verabschieden.
Im Bereich Forschung werden wir auch unabhängig von der Exzellenzstrategie den Prozess der Profilentwicklung vorantreiben. Die Universität wirbt einerseits äußerst erfolgreich Drittmittel ein, andererseits hat sie auch eigene Förderinstrumente, um Spitzenforschung voranzutreiben und die besten Talente zu gewinnen. Eine große Stärke ist, dass wir dabei in der ABCD-J Region gemeinsam mit den Universitäten in Aachen, Bonn und Düsseldorf sowie dem Forschungszentrum Jülich sowie den weiteren außeruniversitären Forschungseinrichtungen in ein hervorragendes regionales Netzwerk eingebunden sind. Die weitere Stärkung dieses regionalen Netzwerks steht natürlich ganz oben auf meiner Agenda; dabei wird auch weiterhin unsere unmittelbare Nachbaruniversität in Bonn eine besondere Rolle spielen.
Sie übernehmen im neuen Rektorat den Bereich Internationalisierung. Lässt sich daraus auf eine Priorisierung auch dieses Themas schließen?
Übernehmen? Ich würde es ein bisschen anders einordnen: Ich nehme wahr, dass das International Office in Köln sehr erfolgreich ist und auch strategische Aufgaben übernimmt. Daneben ist die Europäische Hochschulallianz EUniWell in der Verantwortung von Frau Kollegin Busse im Prorektorat Lehre und Studium ein wichtiger Taktgeber für den Bereich Internationalisierung. Ich möchte vor diesem Hintergrund die Aufgaben der Internationalisierung in einem Viereck adressieren, das wir dann zwischen mir selbst, Frau Prorektorin Busse, dem International Office unter Leitung von Frau Dr. Preuschoff sowie eines oder einer Rektoratsbeauftragten für Internationalisierung bilden.
Welche Prioritäten sehen Sie im Bereich Lehre und Studium?
Zunächst gibt uns die Systemakkreditierung der Studiengänge ganz neue Möglichkeiten, in einem eigenen qualitätsgesicherten Rahmen schneller und selbstbestimmter Studiengänge zu entwickeln und auf den Markt zu bringen – und bestehende weiterzuentwickeln. Damit können wir viel besser auf die sich wandelnde Nachfragesituation reagieren. So werden bestimmte Schlüsselkompetenzen, etwa in der Digitalisierung oder in der Nachhaltigkeit, zukünftig in unseren Studiengängen eine größere Rolle spielen. Und wir werden über weitere interdisziplinäre Studiengänge nachdenken, die noch stärker als bisher die Fakultäten miteinander verbinden.
Wichtig ist bei alledem, dass sich die Studierenden als Mitglieder der Universität verstehen. Sie sind weder Kunden noch sind sie einfach nur Empfänger von Wissen. Der Erfolg der Uni wird auch vom Erfolg der Studierenden geprägt; davon, was sie an Initiativen und Interessen einbringen.
Systemakkreditierung – Die Stiftung Akkreditierungsrat der Länder hat der Universität zu Köln am 28. September das Siegel »System akkreditiert« verliehen. Mit diesem Schritt müssen einzelne Studiengänge oder Gruppen von Studiengängen nicht mehr von einer externen Agentur akkreditiert werden; vielmehr ist das Qualitätssicherungsverfahren der Universität als Ganzes akkreditiert worden, sodass sie ihre Studiengänge fortan selbst akkreditieren kann.
Ein großes gesellschaftliches Thema ist der Lehrkräftemangel. Welche Rolle soll die Uni Köln als große Ausbildungsstätte in Zukunft einnehmen?
Köln spielt hier eine hervorgehobene Rolle. Knapp 30 Prozent unserer Studierenden sind Lehramtsstudierende. Wir müssen uns daher Gedanken machen, welchen Beitrag wir zu diesem Thema leisten können. Wir wissen, dass es deutschlandweit von 55.000 bis 60.000 Studierenden, die ein Lehramtsstudium beginnen, weniger als 30.000 in den regulären Schuldienst schaffen. Auf dem Weg vom ersten Tag des Studiums über das Referendariat bis zu einer Planstelle in einer Schule sehen wir erhebliche Verluste. Da wir als Uni Köln für die erste Strecke dieses Weges verantwortlich sind, sollten wir uns fragen, wie wir mehr sehr gut ausgebildete Lehrkräfte ins Klassenzimmer bringen können.
Unser Beitrag als Universität besteht außerdem darin, die Ausbildung von Lehrkräften mit der empirischen Bildungsforschung zu verbinden, um evidenzbasierte Ergebnisse zu der Meinungsbildung in der Gesellschaft und zur Entscheidungsfindung in der Politik beizusteuern.
Sie sind SPD-Mitglied und gelten als gut vernetzt in die Politik. Sehen Sie darin einen Interessenkonflikt?
Ich sehe es auch als Aufgabe eines Universitätspräsidenten oder Rektors an, das Gespräch mit politischen Entscheidungsträgern zu suchen – vorrangig mit der Landespolitik, aber natürlich auch mit der Bundespolitik, denn als Rektor bin ich Vertreter der universitären Interessen gegenüber der Politik. Wir sind Landeseinrichtungen und bekommen unsere Grundfinanzierung vom Land. Daher ist der Austausch mit der Politik existenziell wichtig und in keiner Weise anrüchig. Wir können als Hochschulen nicht losgelöst von unserer staatlichen Verankerung agieren. Man muss nicht immer mit der Politik einer Meinung sein, und anbiedern sollte man sich erst recht nicht. Aber die Politik setzt die Rahmenbedingungen für unsere Arbeit, und deswegen ist ein vertrauensvoller Austausch in unserem eigenen Interesse.
Dass ich als 16-Jähriger Mitglied der SPD geworden bin, hat Gründe, die mit der Hochschulpolitik nichts zu tun haben. Ich war auch nie parteipolitisch aktiv. Meinen Austausch mit den anderen demokratischen Parteien hat das im übrigen nie beeinträchtigt und für meine Amtsausübung als Rektor spielt dies – wie schon in Gießen – keinerlei Rolle.
Axel Freimuth hat das Amt des Rektors mit 18 Jahren sehr lange geprägt. Befürchten Sie Widerstand gegen Veränderungen?
Axel Freimuth hat die Universität zu Köln über 18 Jahre nachweislich sehr erfolgreich geführt. Ich war insgesamt auch 14 Jahre lang Präsident der JLU Gießen und sehe natürlich, dass sich in einer so langen Zeit Person und Institution aufeinander zubewegen: Die Person wird stark von der Institution geprägt, aber auch umgekehrt. Somit kann ich sehr gut nachvollziehen, dass manche Dinge in Köln jetzt mit Spannung oder Sorge, in jedem Fall aber mit einer Erwartung von Veränderungen betrachtet werden. Und ja: Jetzt beginnt ein neuer Rektor, da wird manches vom Stil und vom Inhalt her sicherlich anders gemacht werden – und es kommen überdies ja eine Reihe von weiteren neuen Kolleg*innen ins Rektorat. Aber andererseits gilt: So sehr ich in Gießen eine wichtige Funktion hatte und Axel Freimuth eine prägende hier in Köln – eine Universität hängt nicht nur an einer einzelnen Person. Das ist ja das Schöne an Universitäten.
Was erwarten Sie Ihrerseits von den Mitgliedern der Universität?
Jetzt in der Anfangsphase lerne ich die Universität zunächst besser kennen – und sie mich. Meine Erwartung ist eigentlich klar und richtet sich auch an mich selbst: Wir alle dienen dem institutionellen Gesamtinteresse der Universität. Wir sind keine Ansammlung von 55.000 Einzelinteressen, wir bilden ein großes Team. So sollten wir uns verstehen, so sollten wir handeln, so sollten auch wir miteinander umgehen.