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Wenn der Körper uns etwas sagen will

Die Klinik für Kinderpsychologie behandelt psychosomatische Erkrankung bei Kindern.

Schulstress oder Mobbing gehören zu den häufigsten Ursachen für psychosomatische Beschwerden. © Triple_D Studio – Shutterstock.com

Was tun bei Beschwerden, die scheinbar keine Ursache haben? Besonders bei Kindern braucht es viel Feingefühl, um eine psychosomatische Erkrankung festzustellen und zu behandeln. Die Klinik für Kinderpsychologie möchte Vertrauen aufbauen – bei den jungen Patientinnen und Patienten, aber auch bei den Eltern.  

Ein flaues Gefühl im Magen vor einer wichtigen Prüfung, schweißnasse Hände, Herzklopfen oder ein Kloß im Hals. Jeder hat es schon einmal erlebt. In angespannten und belastenden Situationen macht sich unsere Gefühlswelt durch körperliche Reaktionen bemerkbar. Der Körper wird zum Übersetzer der Seele. Dieses Zusammenspiel von Körper und Gefühlen spielt auch in der Medizin – in der Psychosomatik – eine wichtige Rolle. Manchmal, wenn die seelischen Belastungen nicht mehr von selbst verschwinden, können sie sogar zu Krankheiten führen – schon bei Kindern und Jugendlichen. Dr. Heidrun- Lioba Wunram kümmert sich in der Kölner Kinder- und Jugendpsychiatrie darum, dass die Seelen der jungen Patienten wieder heilen.

Kinder und Jugendliche - Laut einer Langzeituntersuchung des Robert Koch-Instituts zur Kinder- und Jugendgesundheit in Deutschland (KiGGS) aus dem Jahr 2018 leiden etwa 17 Prozent der Kinder und Jugendlichen unter verschiedenen psychischen Auffälligkeiten. Hierzu zählen emotionale Probleme, Schwierigkeiten mit Gleichaltrigen, Verhaltensauffälligkeiten oder Hyperaktivität. Seit Beginn der Studie im Jahr 2003 hat sich diese Zahl nicht merklich verändert. Jungen zeigen häufiger Anzeichen für psychische Auffälligkeiten als Mädchen (19,1 Prozent gegenüber 14,5 Prozent). Natürlich ist nicht jedes Kind damit automatisch erkrankt, dennoch weist damit fast ein Fünftel der Kinder ein erhöhtes Risiko auf, psychisch zu erkranken.

 

Viele kleine Kinder kommen mit Bauchschmerzen in die Klinik, die sie schon lange plagen. Das ist ein ganz typisches Anzeichen, mit dem die Kinder- und Jugendpsychiater sowie die Ärztinnen in der Psychosomatik des Sozialpädiatrischen Zentrums (SPZ) der Kinderklinik, einem engen Kooperationspartner, oft zu tun haben. »Auch wir Erwachsene kennen es, wenn uns Stress buchstäblich auf den Magen schlägt. Dass sich Probleme als Schmerzen im Bauchraum ausdrücken, ist bei den ganz jungen Menschen besonders ausgeprägt«, sagt Wunram. Etwas ältere Kinder und Jugendliche kämen hingegen oft wegen Kopfschmerzen.

Nun muss man natürlich nicht direkt bei jedem Kopf- und Bauchschmerz in die Klinik. Kinder, die ein- oder zweimal pro Woche über Kopfschmerzen klagen, sind noch nicht unbedingt psychisch so belastet, dass sie eine Behandlung benötigen. Entscheidend ist, ob der Schmerz von selbst wieder weggeht oder über einen längeren Zeitraum dauerhaft auftritt. In einem ersten Schritt muss natürlich abgeklärt werden, dass es sich nicht doch um eine körperliche Ursache handelt. Zum Beispiel, wenn begleitende Symptome wie Durchfall, Gewichtsabnahme oder weitere Schmerzen auftreten. Wenn die Kinder über die Psychosomatische Sprechstunde des SPZ zur Kinder- und Jugendpsychiatrie kommen, ist das meist schon geschehen.

Psychosomatische Schmerzen sind nicht eingebildet

Wenn Alltag und Lebensqualität durch die Schmerzen deutlich eingeschränkt werden, besteht Handlungsbedarf. Starke Beschwerden können bei Kindern und Jugendlichen zum Beispiel dazu führen, dass sie nur noch wenig oder gar nicht mehr zur Schule gehen können. Hier liegt manchmal auch schon der Kern des Problems. Belastende Situationen und psychischer Druck können die eigentliche Ursache sein. Schulstress oder Mobbing sind nicht selten wesentliche Faktoren. »Wir haben Patienten, die schon mit 5 oder 6 Jahren zu uns kommen. Aber die klassische Kinderbauchschmerzzeit liegt so bei 7 oder 8 Jahren – nach Schuleintritt, wenn bei manchen mehr Belastungen, mehr Sorgen und Ängste auftreten«, sagt Wunram.

Häufig sind die psychosomatischen Beschwerden auch mit Ängsten assoziiert, die soziale und familiäre Situationen betreffen. Wenn Eltern sich beispielsweise trennen, ist das für Kinder nicht einfach. Manche Medien, Ratgeber und Beobachter nennen als Ursache für psychische Auffälligkeiten und psychosomatische Beschwerden bei Kindern und Jugendlichen, dass der Druck auf sie wächst. Abitur in 12 Jahren, gesteigerte Erwartungshaltung und Helikoptereltern würden dazu führen, dass junge Menschen heute verstärkt Auffälligkeiten aufweisen. »Ich bin da nicht sicher«, sagt Wunram. »Ich denke dann immer, wenn wir zurückblicken und die Kriegs- und Nachkriegsgenerationen ansehen, dann waren die auch besonderen Belastungen ausgesetzt. Heute sind wir einfach geschulter und haben ein besseres Auge darauf.«

Ganz wichtig sei es, die Kinder mit ihren Schmerzen ernst zu nehmen. Denn auch, wenn sie keine körperlichen Ursachen haben und ein Arzt nichts feststellen kann, tut der Bauch dennoch weh. Der Schmerz ist nicht eingebildet, sondern echt und real. »Das ist als Kind wirklich schwer. Man bekommt oft zu hören und zu spüren, dass da nichts ist. Dass einem eigentlich nichts fehlt«, sagt Wunram. In der Behandlung ist daher der erste Schritt, einen Zugang zum Kind zu finden. »Ich sage ihnen dann: ›Eigentlich ist dein Körper sehr intelligent. Dein Körper weiß, dass etwas nicht so ganz stimmt – aus irgendwelchen Gründen, die du mir vielleicht noch gar nicht richtig erzählen kannst und die du so vielleicht noch gar nicht weißt. Du hast Bauch- oder Kopfschmerzen, ganz klar. Und wir wollen hier gucken, wo die Ursache ist. Das wird vielleicht schwierig, aber das finden wir raus.‹»

Doktor-Shopping und Diagnose-Overkill

Die Diagnose einer psychosomatischen Erkrankung ist nicht einfach und erfordert viel Fingerspitzengefühl. Wo bei Erwachsenen nach der gebräuchlichen Internationalen Klassifikation der Erkrankungen (ICD- 10) eine Vorgeschichte von mindestens zwei Jahren angesetzt wird, ist dies bei den ganz kleinen Patienten natürlich schwierig. Einen so langen Zeitraum mit Beschwerden haben Kinder fast nie, sodass die Ärztinnen die Diagnosekriterien gegebenenfalls anpassen und diese Zeitbegrenzung auf sechs Monate reduzieren. Zudem ist es wie bei allen Patienten: psychosomatische Beschwerden sind immer eine Ausschlussdiagnostik. Dabei müssen die Mediziner sicher sein, dass sie nichts übersehen. »Es gibt Läuse und Flöhe. Ein Kind kann über psychosomatische Bauchschmerzen klagen, aber trotzdem ein beginnendes Morbus Crohn haben«, so Wunram. »Wir müssen also genau aufpassen und sehr genau hinsehen.«

Manche Kinder haben allerdings schon viel Diagnostik hinter sich, wenn sie zur Kölner Kinder- und Jugendpsychiatrie kommen. »Doktor-Shopping« ist ein Phänomen, das auch schon bei Kindern vorkommt. Wunram und ihre Kollegen sehen manchmal, dass etwa drei verschiedene Kliniken und mehrere Kinderärztinnen aufgesucht wurden. Wenn in einer Klinik keine organische Ursache für die Kopfschmerzen gefunden wird und kein zweites MRT des Schädels angeordnet wird, dann gehen Eltern eben woanders hin – weil sie psychosomatische Ursachen nicht sehen oder sehen wollen. »Das gibt es, aber es ist nicht unbedingt die Regel«, sagt Wunram. »Da müssen wir mit viel Feingefühl rangehen und nicht gleich wieder die gesamte Diagnostik auspacken.«

Es braucht vor allem Zeit

Grundsätzlich haben Wunram zufolge Kinderärzte als Ansprechpartner für Kinder und Eltern ein gutes Gespür, wenn es um Psychosomatik geht. Aber die Situation sei für die niedergelassenen Kolleginnen nicht einfach. Sie müssen die Familien natürlich gut und langfristig begleiten und wollen sie nicht vor den Kopf stoßen. Sie müssen also sehr sanft vorgehen, sonst wechseln die Familien den Kinderarzt. Da hat es das Team an der Uniklinik leichter, denn sie haben nicht diese starke Patientenbindung.

Pädiaterinnen stehen zudem vor einem Dilemma. Wenn der Verdacht besteht, dass die Ursache der Schmerzen psychosomatisch ist, braucht es vor allem eines: Zeit. Die wenigsten Menschen plappern einfach drauflos, wenn es um seelische Belastungen geht – auch Kinder nicht. Deshalb sind Ruhe und Geduld wichtig. Das ist aber ein Luxus, den sich viele Kinderärzte nicht leisten können, wenn das Wartezimmer voll ist. »Dann weisen die Kinderärzte das Kind zu einer weiterführenden Diagnostik zu uns in die Uniklinik ein. Oft gibt es auch schon einen Vermerk, dass es sich um psychosomatische Beschwerden handeln könnte, sodass wir ein besonderes Auge darauf werfen können«, sagt Wunram.

Die Familie ist Teil der Therapie

Die Therapie in der Kölner Klinik ist ganzheitlich angelegt. Neben Gesprächstherapien, in die auch die Eltern einbezogen werden, gibt es etwa Sport-, Kunst-, oder Musiktherapie. Auch Psychoedukation zu Schlaf und Medien und Sozialkompetenztrainings können helfen. Zeit ist grundsätzlich ein wichtiger Faktor in der Arbeit der Therapeutinnen – für die Eltern und die Kinder. Denn viele fühlen sich bei der Diagnose »Psychosomatische Beschwerden« abgestempelt, die Angst vor Stigmatisierung sei oft ein Thema. Da hilft es, dass die Patienten in der Regel aus der Kinderklinik überwiesen werden, körperliche Ursachen also schon ausgeschlossen wurden. Dennoch ist der Umgang mit psychosomatischen Beschwerden der Kinder für die Eltern nicht einfach. Oft steht neben der Angst vor Stigmatisierung auch die Schuldfrage im Raum. »Auch hier ist es wichtig, sowohl die Kinder als auch die Familien einzubeziehen und hervorzuheben, dass es selten eine direkte Kausalität gibt«, sagt Wunram. Nicht zuletzt spiele das Temperament des Kindes, die Schule oder Erfahrungen mit Gleichaltrigen eine Rolle. Man spricht deshalb von einer multifaktoriellen Genese.

Auch wenn die Diagnose steht und die Behandlung beginnt, ist der Umgang mit dem Kind für Eltern mitunter kompliziert. Was kann ich meinem Kind zumuten, wenn Belastungssituationen doch zu psychosomatischen Beschwerden führen können? Andererseits möchte man als Eltern auch nicht übervorsichtig sein, sondern das Kind weiterhin zu Selbstständigkeit erziehen. Da ist auch Elternanleitung gefragt. »Wir machen auf meiner Station zu Beginn und oft auch zum Abschluss der Therapie ein systemisches Familiengespräch. Da kommen auch Geschwister oder die Großeltern hinzu, denn das hat natürlich Auswirkungen auf das ganze System«, erklärt Wunram. Die Familie ist für die gesamte Therapie enorm wichtig. »Eltern sollten offen dafür sein, dass manche Symptome keine körperliche Ursache haben. Das ist nichts Verrücktes, sondern ganz normal«, resümiert die Ärztin. Manche Dinge können durch externe Therapeuten einfacher aufgefangen werden, als durch die Eltern selber. Oft ist eine Therapie dabei für die ganze Familie eine große Hilfe.
 

Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Uniklinik Köln
In der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychosomatik und -psychotherapie stehen Fachleute bereit, um die Ursachen von Beschwerden zu diagnostizieren, zu beraten und gegebenenfalls eine geeignete Therapie oder geeignete Hilfen in die Wege zu leiten. Die Klinik legt großen Wert darauf, dass Eltern und Patienten ausführlich aufgeklärt und beraten werden, sodass je nach Alter der Patienten die Eltern bzw. die Patienten so weit wie möglich selbst die Kontrolle über ihre Therapie behalten und entscheiden können.