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»Wenn Demokraten die Grenzen nicht schützen, tun es andere«

Interview mit Alumnus Dr. Guido Steinberg, Nahost-Experte und Islamwissenschaftler

Als Islamismus- und Terrorismusexperte wurde Dr. Guido Steinberg nach dem 11. September 2001 direkt ins Bundeskanzleramt katapultiert. Auf Gespräche mit syrischen Geheimdienstlern und andere schwierige Situationen fühlte sich der Alumnus der Philosophischen Fakultät durch das Studium gut vorbereitet. 

Das Gespräch führte Eva Schissler 


Herr Steinberg, Sie haben Islamwissenschaft, Politik und Geschichte studiert. Hatten Sie sich Köln dafür gezielt ausgesucht? 

Ja, ich bin bewusst an das Orientalische Seminar in Köln gekommen. Ich wollte unbedingt Arabisch lernen. Dann sagte mir Werner Diem, damals Professor für Orientalische Philologie, so leicht würden sie es niemandem machen. Ich müsste neben Arabisch auch Türkisch und Persisch lernen. Da wusste ich: Das ist mein Fach, mein Seminar und meine Uni. Ich habe dann auch die meiste Zeit mit dem Studium orientalischer Sprachen verbracht. Wenn also die Geisteswissenschaften als ein bisschen entspannter gelten – in meinem Fall war das nicht so. 
 

Kurz vor den Terroranschlägen vom 11. September 2001 waren Sie an der Freien Universität Berlin tätig. Wie kamen Sie zu Ihrem Job im Bundeskanzleramt? 

Nach der Promotion hatte ich meine erste Stelle an der FU Berlin. Wie das so ist: eine halbe Stelle, zeitlich befristet. Nach dem 11. September habe ich mich ein bisschen umgeschaut und sofort gab es mehrere Jobangebote, eines davon als Terrorismusexperte im Kanzleramt. Da gab es für mich gar keine Frage, da musste ich hin. 


Wie haben Sie diese turbulente Zeit dort erlebt? 

Zunächst war das ein enormer kultureller Bruch für mich: von einem geisteswissenschaftlichen Seminar in die Machtzentrale der Bundesrepublik. Das fängt schon bei der Kleidung an, ich musste mir erst einmal Anzüge und Krawatten kaufen. Einen »casual friday« gab es da nicht. Ich war in der Abteilung, die für die Koordinierung der Nachrichtendienste des Bundes und die Aufsicht über den Bundesnachrichtendienst verantwortlich ist. Einen Terrorismusexperten hatte es dort bis dahin nicht gegeben. Ich habe mich unter anderem mit Fällen beschäftigt, die auch die Öffentlichkeit erreicht haben, etwa Murat Kurnaz, der fünf Jahre ohne Anklage in Guantanamo inhaftiert war, oder Khaled al-Masri, der von der CIA nach Afghanistan entführt wurde. 

Außerdem war ich mit der Zusammenarbeit mit Syrien befasst. Damals herrschte im Bundesnachrichtendienst – aber auch unter Sicherheitsleuten im Kanzleramt – die Meinung vor, dass wir, um Al-Qaida besser bekämpfen zu können, mit dem Assad-Regime zusammenarbeiten müssen. Der für mich eindrucksvollste Moment aus dieser Zeit war ein Treffen mit Assef Shaukat. Der Schwager des Präsidenten Bashar al-Assad war damals die »graue Eminenz« der syrischen Sicherheitsbehörden. Jeder in Syrien kannte ihn als Symbol der Repression des Regimes. Das war noch eine Zeit, in der Deutschland mit solchen Personen den Ausbau der Zusammenarbeit in der Terrorbekämpfung besprach. Er ist 2012 bei einem Anschlag in Damaskus zu Tode gekommen. Viele Syrer würden sagen: glücklicherweise. Später wurde diese Kooperation auch hierzulande sehr kontrovers diskutiert. 
 

Kann ein geisteswissenschaftliches Studium auf solche Situationen vorbereiten? 

Ich bin selbst überrascht, wie gut die Universität mich auf meine vier Jahre im Bundeskanzleramt – mittlerweile arbeite ich bei der Stiftung Wissenschaft und Politik – vorbereitet hat. Natürlich vermittelt die Islamwissenschaft Landes-, Sprachund Kulturkenntnisse, aber auch die Politikwissenschaft, mein Nebenfach, hat mir einen sehr kühlen, machtorientierten Blick auf die internationale Politik mitgegeben. Ich habe damals bei Professor Werner Link, einem renommierten Experten für Außenpolitik und internationale Beziehungen, studiert und die Magisterprüfung gemacht, und bin stark durch ihn geprägt worden. 


Wie sehen Sie die Zukunft des internationalen islamistischen Terrorismus?

Die Terrororganisationen sind aktuell sehr zersplittert. Eine Organisation, die wie Al-Qaida 2001 oder der Islamische Staat 2014 eine Art »Marktführerschaft« für sich beanspruchen könnte, gibt es heute nicht. Eine Gruppe, die noch hervorsticht, ist der IS Provinz Khorasan in Afghanistan und Pakistan. Von dieser Organisation geht die größte Gefahr aus, sie hat zuletzt im Januar in Kerman in Iran und im März in Moskau Anschläge verübt. Auch in Europa waren verschiedene Anschläge geplant. Aber solange es keine große transnationale Organisation gibt, ist die Gefahr für uns in Europa geringer als in der islamischen Welt. 

Uns muss dabei bewusst sein: Deutschland, die USA und andere westliche Länder haben leistungsfähige Sicherheitsbehörden, auch wenn das nach einem Anschlag wie in Solingen in der Öffentlichkeit nicht immer so scheint. Die stille Radikalisierung eines »einsamen Wolfes« lässt sich leider kaum vorab feststellen. Viele andere Länder haben keine funktionierenden Sicherheitsapparate, vor allem die Flucht-Herkunftsländer. Es gibt den islamistischen Terror also noch, er kommt nur in der Regel nicht bei uns an. Länder wie Mali, Niger, Pakistan und andere haben nach wie vor große Probleme und viele zivile Opfer zu beklagen. 
 

Aktuell ist der Israel-Palästina-Konflikt nach dem Terrorangriff der Hamas wieder aufgeflammt. Müssen wir ihn im Kontext des größeren regionalen Konflikts sehen?

 Wir müssen die lokale Dimension ernst nehmen, weil wir ansonsten Gefahr laufen, die Palästinenser zu vergessen. Es ist vollkommen nachvollziehbar, dass Israel auf den Terroranschlag vom 7. Oktober 2023 militärisch reagiert. Aber der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern begann nicht am 7. Oktober; auch die israelische Politik in Gaza und im Westjordanland hat zur Eskalation beigetragen. Wir müssen den Konflikt isoliert betrachten um festzustellen, dass eine Entspannung nur gemeinsam mit den Palästinensern möglich ist und der aktuelle Krieg in Gaza mit seinen vielen zivilen Opfern und der fehlenden Aussicht auf eine politische Lösung Israel in eine Sackgasse führt. Wenn wir den Beschuss Tel Avivs und anderer Teile Israels durch Iran, die Hisbollah und die Huthi-Miliz anschauen, spielen natürlich auch regionale Akteure eine Rolle, dann wird es komplizierter. Nicht zuletzt gerät der Konflikt zwischen Israel und Iran in den Blick, der infolge der israelischen Angriffe auf die Hisbollah und der Raketenangriffe Irans gerade massiv eskaliert. 
Mein Eindruck ist, dass der deutschen Öffentlichkeit die Wahrnehmung fehlt, wie nah uns diese Region eigentlich ist und wie bedrohlich Iran als revisionistische Macht für Israel, aber auch für Europa ist. Als ich damals von Köln für ein Jahr nach Damaskus ging, um Arabisch zu studieren, war das für viele gefühlt ganz weit weg. Wir merken heute, dass das nicht so ist. Man kann von Syrien zu Fuß nach Deutschland gelangen. 
 

In Deutschland haben zuletzt Demonstrationen mit Rufen nach einem Kalifat für starke Reaktionen gesorgt. Über- oder unterschätzen wir die Gefahr des inländischen Islamismus? 

Zunächst gibt es ein Sicherheitsproblem. Wir haben eine gewisse Zahl an gewaltbereiten Islamisten, dann noch mal eine größere Zahl von Menschen an der Grenze zur Gewalt. Damit kommen unsere Sicherheitsbehörden auch im Großen und Ganzen klar. Aber die Zahl der Problemfälle hat mit den Einwanderungswellen seit 2015 zugenommen. Das darf auch nicht überraschen, wenn wir Menschen aus den drei Bürgerkriegsländern Afghanistan, Irak und Syrien aufnehmen, in denen Islamisten immer stark waren. Dann ist rein statistisch ein gewisser Prozentsatz an Extremisten dabei. 

Wenn wir über die gesellschaftlichen Folgen sprechen, dürfen wir aber nicht nur auf die Zahlen schauen, wie viele Attentate verübt oder vereitelt werden. Die Steigerung der Bedrohung durch Islamisten geht einher mit einer Bedrohung durch Rechtsextremisten. Das ist ja auch, was beide Seiten wollen. Offene Grenzen machen das Thema insgesamt problematischer: Sie führen zu einer Zunahme politischer Gewalt von verschiedenen Seiten. Diese sicherheitspolitische Dimension nehmen die demokratischen Parteien oft nur dann wahr, wenn sie wie nach dem Anschlag in Solingen überhaupt nicht mehr zu ignorieren ist. 
 

Wie können wir die Integration nach innen verbessern, um die Gefahr des Islamismus zu bannen? 

Zur Stärkung der inneren Sicherheit müssen wir an unserem Sicherheitsapparat arbeiten, der viel zu schwach ist für das, was in den nächsten Jahren auf Deutschland zukommt. Wir sind immer noch zu abhängig von den USA, und da braucht es nur die Wahl eines falschen Präsidenten und wir sind schutzlos. Das ist aus meiner Sicht das größte Problem. 

Beim Thema Integration bin ich pessimistisch. Die Zahl der Neuankömmlinge ist seit 2015 so hoch, dass gerade die Schulen massive Probleme haben. Nur dort aber kann Chancengleichheit entstehen, und das schaffen sie heute nicht mehr. Wir brauchen ganz neue Migrationskonzepte, in denen wir Asyl und den Schutz von Flüchtlingen nicht abschaffen, aber genau kontrollieren, wer zu uns kommt, um Sicherheitsrisiken zu minimieren. Denn wenn die demokratischen Parteien in Deutschland und Europa es nicht schaffen, die Grenzen zu kontrollieren, dann werden das irgendwann andere Parteien tun. Die Vorboten sehen wir in Ländern wie Ungarn und Italien, und auch in Teilen Ostdeutschlands. 

 

Dr. Guido Steinberg arbeitete 2001 am Institut für Islamwissenschaft der Freien Universität Berlin. Von 2002 bis 2005 war er im Referat »Internationaler Terrorismus« des Bundeskanzleramts tätig. Anschließend wechselte er an die Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik, wo er seitdem zum Nahen Osten, Islamismus und islamistischem Terrorismus forscht. Seit 2006 fungiert er auch als Sachverständiger in fast allen Verfahren gegen islamistische Terroristen in Deutschland und gutachtet außerdem in Österreich, Dänemark, Kanada und den USA

 

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