Es antwortet Dr. phil. Doris Erbe, Psychologische Psychotherapeutin, geschäftsführende Ambulanzleitung der Hochschulambulanz für Psychotherapie der Universität zu Köln.
In den vergangenen Jahren scheint unser Leben von immer neuen Katastrophen bestimmt zu sein: Pandemie, Klimawandel, Krieg, drohender Wohlstandsverlust. Das erzeugt Ängste in Bezug auf die Zukunft. Zum einen erscheinen uns die gesellschaftspolitischen Ereignisse aktuell nah wie noch nie zuvor. Sich Sorgen zu machen, ist also durchaus berechtigt. Zum anderen stehen uns heute über unsere mobilen Endgeräte stetig neue und noch detailliertere Nachrichten zu den aktuellen Krisen zur Verfügung – eine Situation, die zum »Doomscrolling« verleiten kann, dem exzessiven Konsumieren von Katastrophennachrichten. Nicht nur die bedrohlichen Ereignisse an sich, sondern auch unsere ständige Beschäftigung mit ihnen haben negative Auswirkungen auf das psychische Wohlbefinden.
Grundsätzlich handelt es sich bei Angst – genauso wie bei anderen Gefühlen wie Ärger oder Freude – um eine sinnvolle und wichtige, darüber hinaus auch sehr alte menschliche Reaktion. Angst kann unser Denken und Verhalten steuern und uns damit vor Gefahren schützen. Unsere Vorfahren aus der Steinzeit hätten nicht überlebt, wenn sie nicht durch ihr körpereigenes Alarmsystem auf hungrige Säbelzahntiger und andere Gefahren aufmerksam gemacht und auf eine adäquate Reaktion (zum Beispiel Flucht) vorbereitet worden wären.
Angst kann aber auch krank machen oder Leiden verursachen. In unserer Hochschulambulanz, für die ich als Ambulanzleiterin tätig bin, behandeln wir unter anderem Patient*innen, die an einer Generalisierten Angststörung leiden, der sogenannten »Sorgenkrankheit«. Die Betroffenen verbringen täglich Stunden mit exzessivem Sich-Sorgen und sind dadurch in ihrer Lebensqualität erheblich beeinträchtigt. Die Ursachen für solche psychischen Störungen sind vielfältig, sie können biologischer, psychischer und/oder sozialer Natur sein. Dazu zählen auch Faktoren wie die Häufung von echten oder gefühlten Bedrohungen und die leichte Verfügbarkeit von immer neuen Katastrophennachrichten.
Was können wir also tun, damit Angst und Sorgen nicht überhandnehmen und unser Leben beeinträchtigen, statt uns zu schützen?
Erstens kommt es auf unser Emotionsmanagement an: Wir können uns fragen, ob unsere Angst oder unsere Sorge im Moment gerade für uns und/oder andere hilfreich (zum Beispiel schützend) ist oder nicht – und unser Handeln am Ergebnis dieser Überlegung ausrichten. Auch können wir uns hinsichtlich des Konsums von Nachrichten auf bestimmte Zeiten und Medien beschränken und in der restlichen Zeit unserem gewohnten Alltag nachgehen.
Zweitens sollten wir unsere sozialen Kontakte pflegen: Der Austausch mit anderen Menschen kann hilfreich für unsere gedankliche Angstbewältigung sein, wenn unser Gegenüber uns eine andere Perspektive anbietet. Dabei kann es hilfreich sein, sich auch über die Chancen der aktuellen Krise auszutauschen. Ohne die Pandemie hätten viele von uns möglicherweise nie die Potentiale von Videokonferenzen erlebt und genutzt.
Nicht zuletzt hilft es, aktiv zu werden: Wir können versuchen, die Energie und die Handlungsimpulse, die uns alle Gefühle – auch Angst – geben, sinnvoll zu nutzen. Gibt es ukrainische Geflüchtete in unserem sozialen Umfeld, die wir unterstützen können? Können wir unseren eigenen ökologischen Fußabdruck verkleinern? Kennen wir eine vertrauenswürdige Organisation, der wir mit einer Geldspende helfen können, die am meisten von der aktuellen Krise Betroffenen zu unterstützen?
Selbst kleine Beiträge zur Krisenbekämpfung helfen uns und anderen nicht nur praktisch, sondern tragen dazu bei, dem lähmenden Gefühl der Hilflosigkeit entgegenzuwirken.