Es antworteten Dr. Marco Rüth und Professor Dr. Dr. Kai Kaspar vom Department Psychologie der Humanwissenschaftlichen Fakultät.
Es ist davon auszugehen, dass einzelne Studierende versuchen werden, sich bei einer Prüfung einen unlauteren Vorteil zu verschaffen. Solche Täuschungsversuche stellen für Lehrende eine große Herausforderung dar. Das gilt insbesondere für das noch relativ neue Format der Online- Prüfung, bei dem keine direkte und umfassende Aufsicht vor Ort möglich ist.
Hochschulen arbeiten an Möglichkeiten, das Schummeln in Online-Prüfungen durch organisatorische und technische Maßnahmen zu verhindern. Doch welche Motivation steht hinter Täuschungsversuchen und was können wir unternehmen, um Studierende auch ohne technische Mittel zu ehrlichem Verhalten bei Online-Prüfungen zu motivieren?
Die Gründe für Täuschungsversuche sind vielschichtig und wir sollten versuchen, sie besser zu verstehen. Im Rahmen unserer medienpsychologischen Forschung haben wir anhand von mehreren methodischen Ansätzen untersucht, wie individuelle Bedürfnisse, Vorstellungen und Beweggründe von Studierenden mit ihrem Täuschungsverhalten in Online-Prüfungen zusammenhängen. Die Studienergebnisse basieren auf einer anonymen Online-Befragung von 339 Studierenden verschiedener Universitäten in Deutschland. Die Ergebnisse legen nahe, dass psychologische Aspekte und tieferliegende Probleme in Bezug auf das Lernverhalten und Wohlbefinden der Studierenden zu wenig Beachtung finden.
Den Ergebnissen zufolge ist es weniger wahrscheinlich, dass Studierende schummeln, wenn Lehrpersonen vor der Prüfung veranschaulichen, warum die Studierenden die Prüfungsinhalte für ihren späteren Berufsalltag beherrschen müssen, anstatt lediglich auf die Bedeutung von guten Noten für die berufliche Zukunft zu verweisen. Täuschungsverhalten ist auch dann unwahrscheinlicher, wenn Studierende statt Wissensfragen Problemlöseaufgaben gestellt bekommen, die möglichst authentisch an die späteren Berufsanforderungen anknüpfen. Zudem ist Täuschungsverhalten unwahrscheinlicher, wenn die Lehrpersonen anbieten, ihren Studierenden ein ausführliches Feedback zur Prüfungsleistung zu geben, anstatt ausschließlich die Noten bekanntzugeben.
Außerdem war das berichtete Schummeln in früheren Online-Prüfungen umso intensiver, je mehr die Studierenden negative Vorstellungen von Online-Prüfungen haben, zum Beispiel, dass Online-Prüfungen das Lernen für sie erschweren. Nicht zuletzt wurde umso mehr geschummelt und beabsichtigt zu schummeln, je intensiver der Eindruck von Studierenden ist, dass Online-Prüfungen die Zusammenarbeit und gegenseitige Unterstützung zwischen Studierenden stimulieren. Dagegen wurde umso weniger geschummelt und auch weniger beabsichtigt zu schummeln, je stärker die Studierenden der Meinung sind, dass Online-Prüfungen zur Verbesserung der Lehre beitragen.
Die drei am häufigsten genannten Gründe für Täuschungsverhalten waren die Bedeutsamkeit von Noten, die Wahrnehmung, dass Prüfungen unfair seien, und ein wahrgenommenes geringes Risiko, beim Täuschungsversuch erwischt zu werden. Zu den häufigsten Gründen gegen das Täuschen gehörten moralische Normen und Werte wie Ehrlichkeit sowie die Furcht, erwischt zu werden und vor Konsequenzen wie einer Exmatrikulation.
Die Studie zeigte: Psychologische Faktoren wie individuelle Bedürfnisse, Vorstellungen und Beweggründe sind für das Täuschungsverhalten in Online-Prüfungen bedeutsam. Eine stärkere Berücksichtigung dieser Faktoren bei der Konzeption von Lehre und Prüfungsformaten kann Täuschungsverhalten reduzieren und langfristig das Lernverhalten und Wohlbefinden der Studierenden positiv beeinflussen