Diagnose Brustkrebs. Wie geht es mit mir weiter? Muss ich jetzt zur Chemotherapie? Verliere ich die Brust? Auch wenn eine erkrankte Frau zunächst als Alleinkämpferin antritt – mit der Unterstützung aus der medizinischen Versorgung und aus ihrem privaten sozialen Umfeld ist das Ziel, den Krebs zu besiegen, ein gemeinschaftliches Anliegen. Erkenntnisse aus der Versorgungsforschung können dazu beitragen, dass dieses System in gelenkten Bahnen verläuft.
Verlässlichkeit in den Unterstützungsangeboten und Vertrauen in die bestmögliche Behandlung spielen eine entscheidende Rolle, weiß Professor Dr. Holger Pfaff. »Die Zufriedenheit einer Patientin ist ein nicht zu unterschätzender Faktor für den Behandlungserfolg «, sagt der Medizinsoziologe. Zufriedenheit zu schaffen sei deshalb eine wichtige Aufgabe für Ärztinnen, Ärzte und Krankenhäuser mit ihren Versorgungsstrukturen – etwa durch intensive Aufklärung und passgenaue Therapien.
Holger Pfaff leitet das Institut für Medizinsoziologie, Versorgungsforschung und Rehabilitationswissenschaft (IMVR) der Universität zu Köln. Das IMVR wird von der Humanwissenschaftlichen und der Medizinischen Fakultät gemeinsam getragen und führt regelmäßig Studien beispielsweise zur patientenzentrierten Versorgung durch.
Beim Ansatz der patientenzentrierten oder auch werteorientierten Medizin geht es darum, die Patientin und den Patienten aktiv mit in die Planung von Behandlungsschritten einzubeziehen. Juniorprofessorin Dr. Lena Ansmann vom IMVR erklärt: »Die Vertrauensbasis zwischen Arzt und Patient wird in der patientenzentrierten Medizin gestärkt. Es entsteht eine positive Haltung zur Behandlung, die sich oft positiv auf den Krankheitsverlauf auswirkt.«
Ob wirtschaftliche Zwänge oder der enge Rahmen von Standards und Leitlinien - im deutschen Gesundheitssystem sei es allerdings herausfordernd, eine Versorgung zu gewährleisten, die sich an den individuellen Bedürfnissen von Patienten ausrichtet, sagt Holger Pfaff: »Es gibt Konfliktpotentiale entlang der Versorgungskette, gerade wenn unterschiedliche Ärztinnen und Ärzte und Organisationen in einen Fall involviert sind. Mit unserer Forschung suchen wir nach guten strukturellen Lösungen dafür.«
In Zeiten, in denen Suchmaschinen im Internet zu jedem Symptom die passende Krankheit parat halten, sind Patienten informierter und mündiger als früher. Dadurch hat sich die Basis für ein Gespräch und mithin auch die Erwartungshaltung an eine Behandlung geändert.
Teilhabe und Transparenz sind gefragt
Stichwort Partizipative Entscheidungsfindung (shared decision making): Beim patientenzentrierten Ansatz geht es auch um das, was der oder die Betroffene sich konkret wünscht. Ist beispielsweise das Ziel, möglichst lange zu überleben, oder ist ab einem gewissen Alter mit vielen Begleiterkrankungen die verbleibende Lebensqualität höher zu gewichten? Durch verfügbare Entscheidungsspielräume soll dem individuellen Wunsch verstärkt Rechnung getragen werden können, so das Konzept.
Untersuchungen haben gezeigt, dass Krebspatientinnen und -patienten, deren Arztgespräch durch Anrufe oder hereinplatzendes Personal gestört wurden, eine größere Angst vor der Rückkehr des Tumors nannten als solche Patienten und Patientinnen, bei denen die Gesprächssituation ruhiger verlief, berichtet Holger Pfaff: »Das allein zeigt: Wer sich als behandelnder Arzt in einer für den Patienten extrem aufwühlenden Situation keine Zeit nimmt, wirkt auf sein Gegenüber weniger vertrauenswürdig.« Pfaff ergänzt, dass Studien des IMVR außerdem gezeigt hätten, dass das Vertrauen in die Ärztin und den Arzt steigt, wenn im Gespräch mit dem Patienten der Informationsbedarf des Patienten gedeckt wird.
Wie sich Vertrauen, Kommunikation und Behandlungserfolg miteinander kombinieren lassen, überprüft Lena Ansmann gemeinsam mit Professor Dr. Nicole Ernstmann von der Uniklinik Bonn aktuell mit der PINTU-Studie (PINTU = Patient involvement in multidisciplinary tumor conferences in breast cancer care). Das Studienteam schaut, welche Vor- und Nachteile die Einbeziehung von Brustkrebs-Patientinnen in die Diskussion über die eigene Weiterbehandlung hat.
Sogenannte multidisziplinäre Tumorkonferenzen finden an den Kliniken typischerweise ausschließlich mit Expertinnen und Experten unterschiedlicher Fachrichtungen statt. Diese tauschen sich am runden Tisch gemeinsam zum Einzelfall aus und werfen Expertise etwa aus der Onkologie, der Radiologie oder der Pathologie in die Waagschale. So soll die bestmögliche Therapie gefunden werden. »Wir prüfen in der PINTU-Studie, ob es zielführend sein kann, wenn die betroffene Patientin selbst mit am Tisch sitzt«, sagt Lena Ansmann. Das strittige Teilnahme-Szenario wird derzeit an sechs NRW-Brustzentren auf Machbarkeit, Risiken und Nutzen untersucht. »Wir sind da ergebnisoffen. Es kann auch schlecht für die Patienten und Versorger sein, etwa, weil die Diskussion gehemmt ist, die Patientin dort zum ersten Mal ihre Prognose erfährt und Angst kriegen kann, oder weil sie die Fachsprache der Mediziner nicht versteht.«
Bei den Tumorkonferenzen der Brustzentren geht es beispielsweise um die Frage, ob eine Brust komplett abgenommen werden soll (Mastektomie) oder nicht (Brusterhaltende Therapie). Eine patientenzentrierte Sicht der behandelnden Ärztin hieße, der Frau zu verdeutlichen, dass sie selbst entscheiden kann - denn in beiden Varianten sind die Überlebenschancen nahezu gleich. Noch ist das jedoch nicht üblich.
Köln wird zum Labor
Mit dem Cologne Research and Development Network, kurz CoRe-Net, gestaltet das Zentrum für Versorgungsforschung Köln (ZVFK) seit Anfang des Jahres ein innovatives Kompetenznetzwerk aus Praxis und Forschung für die Stadt Köln. CoRe-Net fördert die patientenorientierte Versorgung durch ein lernendes Netzwerk. Herzstück wird eine einzigartige Datenbank werden, die krankenkassenübergreifende Routinedaten, Sozialdaten und Primärdaten beinhaltet.
»Wir wollen flächendeckend in ganz Köln – also in jedem Krankenhaus, jeder Arztpraxis, jedem Hospiz – untersuchen, wie die Organisationen Patientenzentrierung realisieren«, erläutert Lena Ansmann das datenintensive Vorhaben von OrgValue, einer Studie innerhalb von CoRe-Net. Befragt werden die Entscheidungsträger der Organisationen nach dem, was gut läuft, und dem, was noch nicht so gut läuft. »Wenn man weiß, welche Einflussfaktoren herrschen, dann kann man den Organisationen besser und gezielter beim Lernen helfen«, sei die Idee.
Dr. Nadine Scholten, Koordinatorin von CoRe-Net, betont die Rolle des Netzwerks für das Vertrauen zwischen den beteiligten Organisationen und für künftige Forschungsfragen: »Wir wollen mit den Einrichtungen, Kostenträgern und Patienten ins offene Gespräch kommen und uns die Lage schildern lassen. So können wir gemeinsam beratschlagen, welchen Bereich wir als Versorgungsforschung in Zukunft beforschen sollten.« Das Netzwerk bildet die Grundlage für neue Kooperationen zwischen der Universität zu Köln, den versorgenden Organisationen und der Stadt Köln, auch um die patientenzentrierte Medizin gemeinsam nachhaltig weiterzuentwickeln.