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Versicherung für das Jenseits

Ein 500 Jahre altes Ablassplakat hat vermutlich zur Finanzierung des Kölner Doms beigetragen. Wer reichlich spendete, konnte dem Fegefeuer entgehen. Jetzt wurde das außergewöhnliche Dokument in der Universitäts- und Stadtbibliothek in einem Buch aufgefunden – als Altpapier.

Aufgeklappter historischer Band

Bedeutende Dinge können auf den ersten Blick unscheinbar wirken. So war die Bibliothekarin Irene Bischoff zuerst nicht überrascht, als sie einen der zahlreichen historischen Bände aus einem Regal im Magazin der Universitäts- und Stadtbibliothek (USB) nahm, und in diesem Band ein ebenso altes Schriftstück entdeckte. Der gut erhaltene Einblattdruck mit dem Wappen des Kölner Doms und dem des Erzbischofs von Wied machte sie dann aber doch neugierig. Was hatte es damit auf sich?

»Unsere Mitarbeiterin Frau Bischoff hat zufällig ein etwa 500 Jahre altes Dokument entdeckt, das in seiner geschichtlichen und wissenschaftlichen Relevanz außergewöhnlich ist«, sagt Christiane Hoffrath, Dezernentin für Historische Bestände und Sammlungen, Bestandserhaltung und Digitalisierung der USB. »Es handelt sich um ein Plakat, das vermutlich Anfang des 16. Jahrhunderts im Kölner Dom hing und den Ablasshandel bewarb, mit dem man sich nach Ansicht der katholischen Kirche von Sündenstrafen freikaufen konnte.«

Die wissenschaftliche Untersuchung des Schriftstückes hat begonnen: Vieles weist darauf hin, dass das Plakat mit seinem Text in Kirchenlatein dazu diente, Gläubige zu einer Spende für den Bau des Kölner Doms aufzurufen. Im Gegenzug würden die Spender im Jenseits frei von aller Strafe sein. Wahrscheinlich hing das Ablassplakat im Dom selber, dessen Langhaus und die Seitenschiffe zu jener Zeit schon standen. Das Wappen der Kathedrale auf dem Plakat mache das deutlich, so Hoffrath. Möglicherweise hing der Aufruf direkt neben einem Kasten, in den man seine Spende gleich einwerfen konnte.

»Der Ablasshandel war eine Art Versicherung für das Jenseits – das war im 15. und 16. Jahrhundert sehr weit verbreitet«, erklärt Hoffrath. Der Dominikanermönch und Widersacher Martin Luthers, Johann Tetzel, soll das Prinzip wie folgt auf den Punkt gebracht haben: »Sobald das Geld im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt!« Auch der Petersdom in Rom wurde durch so gewonnene »Spenden« mitfinanziert. Die theologische Idee dahinter ist, erklärt Hoffrath, dass Würdenträger der Kirche den Gnadenschatz Christi verwalten und gegen eine Gegenleistung verteilen können. Sündiger konnten im Austausch für einen Geldbetrag einen Teil des Sündenerlasses erhalten, den Jesus durch seinen Tod am Kreuz für die gesamte Menschheit erwarb. Dieses Prinzip galt nicht nur für selbst begangene Sünden – auch verstorbene Angehörige konnte man dadurch von ihren Strafen im Fegefeuer befreien.

Warum das wertvolle Dokument gerade jetzt entdeckt wurde, hat einen Grund: »Wir sind im Moment dabei, nicht katalogisierte Fragmente zu dokumentieren und erschließen. Das können alte Teile von Hand- und Druckschriften, Plakate oder andere lose Schriftstücke sein, die bisher nicht separat erfasst sind, sich aber in vielen historischen Bänden befinden. Wir machen derzeit eine Art Entdeckungsreise durch die USB, auf der durchaus noch andere wertvolle Stücke auftauchen können«, so Hoffrath.

Das 18,5 mal 25,5 Zentimeter große Schriftstück aus dem Kölner Dom ist der bisher spektakulärste Fund auf dieser Suche nach Fragmenten. »Die Spuren im Buch weisen darauf hin, dass das Ablassplakat als Altpapier, oder auch Makulatur, für den Einband des Bandes verwendet worden war. Die Wiederverwendung alten Papiers war früher nichts Ungewöhnliches. Das alte Plakat wurde beiseitegelegt und dann als Stabilisierung des Buchdeckels verwendet. Glücklicherweise wurde es bei der Verarbeitung nicht zerschnitten«, so Hoffrath.

Aus welchem Jahr genau das Dokument stammt, ist auch interessant, weil Martin Luther in seinen 95 Thesen aus dem Jahr 1517 den Ablasshandel der Kirche stark kritisierte. Möglicherweise stammt das Plakat aus der Anfangszeit der Reformation. Dennoch dauerte es noch bis zum Jahr 1562, bis die römisch-katholische Kirche den Ablasshandel unter Strafe stellte. Das Plakat ist im Bestand des Kölner Gymnasial- und Stiftungsfonds aufgefunden worden. Die USB verwahrt den Bestand des Fonds, seit die Bibliotheken vor rund einhundert Jahren zusammengelegt wurden. Damit gehört der Fund zu den Kulturgütern der ehemaligen Kölner Jesuiten.