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Verführung zum Kauf

Warum uns rationale Entscheidungen schwer fallen

Ein junges Paar will ein Auto kaufen und steht vor der Entscheidung: Welches Modell soll es werden – der vernünftige Gebrauchtwagen oder der schicke Neuwagen in der Farbe der Wahl? Egal, wie die Entscheidung ausfällt: Wir können sicher sein, dass sie auch emotional geprägt ist.

Vielen von uns ist es mindestens einmal im Leben schon so oder so ähnlich ergangen: Man hat ein Sparkonto mit sehr geringen Zinsen und gleichzeitig einen Kredit mit hohen Zinsgebühren. Rein ökonomisch betrachtet ist es schwierig zu erklären, warum wir das Geld vom Sparkonto nicht verwenden, um zumindest einen Teil des Kredits zurückzuzahlen. Der Wirtschafts- und Sozialpsychologie Professor Dr. Erik Hölzl weiß, warum wir uns so »irrational « verhalten: »Aus psychologischer Sicht kann man das damit erklären, dass wir das Geld unterschiedlichen ›mentalen Konten‹ zuordnen – das Geld auf dem Sparkonto vielleicht ›für die Kinder‹, das Geld des Kredites hingegen ›für ein gutes Leben‹.«

Sich mal was gönnen

Wir treffen viele ökonomische Entscheidungen nicht nach klaren rationalen Kriterien. Auch Emotionen leiten stets unser Handeln. Zum Beispiel versuchen Partner nicht nur, die beste Entscheidung für eine Anschaffung zu treffen, sondern berücksichtigen auch die Auswirkungen auf die Beziehungsqualität: Vielleicht vermittelt der Kauf eines Neuwagens einem Partner das Gefühl, sich im Leben auch einmal richtig was zu gönnen. Sollte der andere Partner aber auf dem ökonomisch sinnvolleren Kauf des Gebrauchtwagens bestehen, hängt danach womöglich der Haussegen schief.

Solche Entscheidungsprozesse im Umgang mit Geld interessieren Erik Hölzl. Er beschäftigt sich seit Jahren mit dem Wechselspiel zwischen den »hard facts« der ökonomischen Rationalität und den psychologischen Einflüssen auf unsere Kaufentscheidungen. Ökonomische Entscheidungen sind generell Entscheidungen über begrenzte Ressourcen – das können auch Rohstoffe sein, oder Zeit. Aber in den meisten Fällen geht es um Entscheidungen über Geld – zumindest in der wirtschaftspsychologischen Forschung.

Auf einen Befund stößt Hölzl immer wieder: In den allermeisten Fällen treffen wir ökonomische Entscheidungen nicht nach sorgfältiger Überlegung der Kriterien und ihrer Gewichtung, der Sichtung aller Optionen und der Auswahl der besten Option – auch wenn wir uns das vielleicht gerne einreden. Dazu fehle vor allem bei kleineren, alltäglichen ökonomischen Entscheidungen – etwa im Supermarkt – meist die Zeit oder auch die Motivation. In der Regel verbringen wir nicht eine halbe Stunde vor dem Chipsregal, um uns alle Tüten im Detail anzuschauen und abzuwägen, wie das Preis-Leistungsverhältnis ist, ob die einen Chips leckerer sind als die anderen und dies vielleicht einen höheren Preis rechtfertigt. »Personen nehmen oft eine ›zufriedenstellende‹ Option statt der besten Option. Wir verwenden Abkürzungen, sogenannte Heuristiken – beispielsweise ob wir etwas wiedererkennen oder nicht.«

Die Tricks des Handels

Dass Emotionen unsere Entscheidungen beeinflussen, macht sich auch der Handel zunutze. Es gibt Professor Hölzl zufolge eine ganze Bandbreite an Tricks, die Supermärkte und andere Verkäufer anwenden, um die Entscheidungen ihrer Kunden zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Das Repertoire reicht von der Gestaltung des Angebots über verschiedene Formen des sozialen Einflusses. Doch wie sieht das konkret aus?

Hölzl erklärt: »Manche setzen an unserer Neigung an, am Status Quo festzuhalten – beispielsweise wenn der Abschluss einer Zusatzversicherung als Voreinstellung gesetzt ist. Manche nutzen Zeitdruck, um Entscheidungen zu forcieren oder setzen auf Emotionen wie Bedauern durch zeitlich begrenzte Angebote.« Wenn man nicht jetzt kauft, könnte man eine Gelegenheit versäumen. Manche Verkäufer arbeiten laut Hölzl auch mit unserem Bedürfnis nach Konsistenz – etwa, indem wir einem kleinen Kauf zustimmen und es danach schwerfällt, bei Zusatzkosten wieder Nein zu sagen.

Außerdem würden Strategien die Wirksamkeit von sozialem Einfluss mit einbeziehen – deshalb werde zum Beispiel so gerne mit berühmten Personen geworben, mit denen sich viele Menschen gerne identifizieren. Ob Werbung mit Promis wie Lukas Podolski, Jürgen Klopp oder Product Placement durch Influencer auf Instagram: Genutzt wird das positive Grundgefühl, das viele Kundinnen und Kunden mit diesen Personen jeweils verbinden – wenn Jürgen Klopp eine Versicherung bewirbt, wird sie schon gut und vertrauenswürdig sein. Und auch der nicht unbedingt bewusst wahrgenommene Wunsch, ein bisschen so sein zu können wie die berühmten Vorbilder, kann eine Rolle spielen. Auch wenn ich es nicht in die Bundesliga schaffe, kann ich mich im Trikot von Poldi zumindest auf dem Trainingsplatz ein wenig hineinträumen.

Soziale Normen prägen unser Verhalten

Die soziale Norm der Reziprozität, also der Gegenseitigkeit im Umgang miteinander, ist laut Hölzl ebenfalls ein gern genutzter Verkaufstrick. Selbst wenn es Beschenkten nicht unbedingt bewusst ist: Soziale Normen sind in unserer Gesellschaft verankert und bestimmen unser Verhalten. Dieses grundsätzlich für unser Zusammenleben so wichtige und sinnvolle Set an Regeln ist natürlich für Marketingexpertinnen und -experten ein gern genutztes Repertoire. Kleine Werbegeschenke können die gesellschaftlich eingegrabene soziale Norm der Reziprozität nutzen, um beim Kunden das Bedürfnis zu wecken, etwas zurückzugeben.

Warum fühlen wir uns nicht gut und haben ein schlechtes Gewissen, wenn wir nach intensiver Beratung in einem Geschäft am Ende doch nichts kaufen, während der Verkäufer unzählige Kleidungsstücke zurück an ihren Platz räumen muss? Die Gegenseitigkeit ist auch hier im Spiel. Der Verkäufer hat uns seine Zeit und Aufmerksamkeit gewidmet, um uns zu beraten. Die Währung, die wir zurückgeben können, ist neben Freundlichkeit der Kauf.

Nur noch 3 Stück auf Lager

Ein besonders gern genutzter Marketingtrick: Der Verweis darauf, dass ein Produkt bereits von vielen anderen gekauft wurde und eine etablierte Marke darstellt. »Damit wird ein Mechanismus angesprochen, der ›sozialer Beweis‹ genannt wird – wenn viele andere etwas tun, wird es wohl richtig sein«, erklärt Professor Hölzl. Mit dem sozialen Beweis lassen sich auch die »Hamsterkäufe « von Toilettenpapier, Seife oder Hefe im Zuge der Corona-Krise erklären. Kundinnen und Kunden sahen die leeren Regale live im Supermarkt – oder auch geteilte Fotos davon über Social Media. Der Effekt: Wenn so viele andere Personen dieses Produkt kaufen, scheint das das richtige Handeln zu sein. Aus der Forschung ist bekannt, dass Knappheit zu gesteigertem Interesse an einem Produkt führt – das nutzen Verkaufsprofis auch bei limitierten Auflagen oder zeitlich begrenzten Angeboten: Die Bedeutung temporär oder permanent knapper Güter nimmt in unseren Köpfen zu.

Bar oder mit Karte?

Die Trickkiste des Handels ist also gut gefüllt. Es scheint unmöglich, komplett unbeeinflusst von Emotionen ökonomische Entscheidungen zu treffen. Aber Erik Hölzl macht Mut – jeder könne sich wappnen, um nicht auf Verkaufstricks hereinzufallen: »Zum einen hilft das Wissen um die zugrundeliegenden psychologischen Mechanismen. Allerdings ist dieses Wissen nicht immer abrufbar, insbesondere, wenn wir uns unter Zeitdruck fühlen – und manchmal fehlt uns auch einfach die Motivation. « Deswegen wäre es empfehlenswert, für manche Bereiche Strategien zu entwickeln. Zum Beispiel treffen wir oft bessere Entscheidungen für etwas, das in der Zukunft liegt. Eine Einkaufsliste für die gesamte nächste Woche zu machen, führe eher dazu dass man gesunde Lebensmittel einkauft – und reduziert Impulskäufe. Zum anderen helfe es, Angebote kritisch zu hinterfragen: Ist es wirklich so, dass ein Produkt nur jetzt verfügbar ist oder ich die Entscheidung über die Versicherung jetzt sofort treffen muss? Kann ich unabhängige und verlässliche Informationen einholen?

Auch die Wahl der Zahlungsweise scheint unsere Entscheidungen zu beeinflussen. Psychologische Forschungen legen nahe, dass Personen bei bargeldlosen Formen wie Kreditkarten zu höheren Ausgaben bereit sind. Bei bargeldloser Zahlung werden teilweise auch qualitativ andere Produkte eingekauft – etwa weniger essentielle oder gesunde Produkte. Und schließlich scheint man bargeldlose Ausgaben leichter zu vergessen. In einer Studie wurden Studierende kurz nach dem Kauf in der Cafeteria gefragt, wie viel sie gerade ausgegeben hatten. Die Antworten wurden mit den tatsächlichen Preisen der gekauften Produkte verglichen. Wenn bar bezahlt wurde, lagen die Erinnerungsfehler bei etwa 2 Prozent des Preises. Bei einer Zahlung mit Karte stieg dieser Wert auf 6 Prozent. Um sich der Ausgaben im Supermarkt bewusst zu bleiben, scheint es also ratsam, eher auf Bargeld zu setzen.

Auch weitreichende Kaufentscheidungen sind fehlerbehaftet

Ökonomische Entscheidungen betreffen natürlich nicht nur unseren Alltag, etwa die schnelle Kaufentscheidung vor dem Supermarktregal, sondern auch weiterreichende ökonomische Entscheidungen, zum Beispiel beim Kauf eines Hauses. Für die Forschung sind das unterschiedliche Kategorien. Zum einen gibt es Unterschiede im Ausmaß und der Art der Informationsverarbeitung – im Supermarkt treffen wir viele Entscheidungen mit geringer Informationsverarbeitung, weil wir entweder entsprechend unserer Gewohnheiten kaufen oder nur auf einen bestimmten Hinweisreiz reagieren, etwa ein Sonderangebot. »Oft haben wir ein klares Schema für solche Einkäufe – wir wissen, worauf wir achten sollen und welche Aspekte relevant sind«, sagt Hölzl »Doch beim Hauskauf laufen Entscheidungen klarerweise mit mehr Informationsverarbeitung und wir haben für solche seltenen Fälle kein Schema.« Empirisch zeige sich allerdings, dass auch solche weitreichenden Entscheidungen fehlerbehaftet sind – beispielsweise werden für Kredite eher wenige Vergleichsangebote eingeholt.

Ob beim Autokauf, bei Krediten oder vor dem Supermarktregal: Was hilft uns am Ende, gute Entscheidungen zu treffen? Das Bewusstsein für Tricks und Fallstricke ist in jedem Fall ein guter Anfang, meint Professor Hölzl. Es gibt aber auch noch viele unerforschte Aspekte ökonomischer Entscheidungen. Unser Konsumverhalten verändert sich, digitale Produkte und bargeldloser Einkauf nehmen zu – viel Stoff für weitere Forschungen. 

 

Professor Dr. Erik Hölzl hat einen Lehrstuhl für Wirtschafts- und Sozialpsychologie an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln inne. Seine Forschungsschwerpunkte umfassen Wirtschaftspsychologie, Entscheidungsprozesse von Konsumenten und Investorinnen sowie soziale Einflüsse auf Entscheidungen
Weitere Informationen: https://iss-wiso.uni-koeln.de/de/institut/professuren/wirtschafts-und-sozialpsychologie-prof-dr-erik-hoelzl