Ob vor Gericht, beim Sport oder in der Liebe – wer sich in der Antike einen unfairen Vorteil verschaffen wollte, konnte sich an Spezialisten wenden: Magier. Sie ritzten Flüche in Bleitafeln, die sie an Orten magischer Kraft ablegten. Dr. Robert Daniel von der Papyrussammlung der Uni Köln nutzt nun eine neue Technologie, um bisher unleserliche Texte lesbar zu machen.
»Iao Sabaoth Adonaie Eloaie!« Leise murmelt der Magier, während er eine Beschwörung mit geübter Hand in das Blei ritzt. »Ablanathananalba Akramachamarei pephtha, Sesengenpharanges«, die fremden Silben gehen ihm flüssig von den Lippen, »mächtigster Gott. Erhöre mich, Herr Abrasseilloa Abrasax pekaphy.« Im Auftrag einer Kundin ruft der Kundige die Götter der Unterwelt an, finstere Götter des Todes und der Hexerei, allmächtige und unbekannte Götter, deren Namen man nicht nennen darf. Er bittet sie um ihre Gunst für Irene, seine Kundin. »Ja, Ihr Herren Götter, unterwerft mir, Irene, die auch Flavia genannt wird, den gesamten Haushalt des Lamyros; Sklaven und Freie und alle, die schon genannt wurden, aber insbesondere meinen Ehemann, Lamyros selbst. Ja, Ihr Herren Götter, Phreu Bel ou Bel tepiachameneus, mächtigster Gott.«
Irene hat ein Problem: Ihr Mann will sie vor Gericht verklagen. Und noch schlimmer, er hat leider gut 40 Zeugen auf seiner Seite, die Irene zum Schweigen bringen müsste, damit sie den Prozess noch gewinnt. Da kann nur noch Höheres helfen. Irene sucht einen Magier auf, der sie beim Entwurf eines wirksamen Fluches berät und nun die Zeilen in ein Bleitäfelchen ritzt. Nachts wird Irene dann das zusammengerollte Täfelchen auf den einsamen Friedhof vor ihrer Stadt tragen und den Fluch in einem der Felsengräber deponieren. Dort, in der Nähe der Totendämonen und der unterirdischen Gottheiten, kann der Fluch seine Wirksamkeit entfalten. Die Botschaft ist überbracht und Irene darf hoffen.
40 Jahre in Sachen antiker Magie
Was vor gut 1.800 Jahren im jordanischen Gerasa, dem heutigen Jerasch geschah, mutet aus der Jetztperspektive bizarr an: Hexerei, Unterweltsgottheiten, finstere Rituale. Doch Archäologen finden immer wieder bei Ausgrabungen zusammengerollte Täfelchen aus Blei auf dem gesamten Gebiet des Römischen Reiches. Gut 1.600 Stück der sogenannten Fluchtafeln sind bis jetzt bekannt, viele davon sind aber nicht mehr lesbar. Der Zahn der Zeit hat die Buchstabenritzungen in Altgriechisch oder Latein erodieren lassen.
Die Fluchtafel (griechisch katádesmos, lateinisch defixio ) war ein in der Antike weit verbreiteter Schadenzauber. Sie ist ein dünnes Bleistück mit eingeritzten Inschriften, die Personen oder (in dem Fall von Rennbahnflüchen) Pferde mit magischen Mitteln in ihrem Handeln beeinflussen sollte. Die Tafeln wurden in einem Akt der Magie häufig gerollt, gefaltet, zusammengebunden und durchbohrt, um den Verfluchten magisch zu zwingen. Danach wurden die Tafeln an Orten abgelegt, die mit der Unterwelt (z. B. Gräber oder Brunnen) eine Verbindung hatten oder in der Nähe der Opfer (z. B. Wendeposten eines Hippodroms) lagen.
Um eine größere Gruppe solcher Täfelchen aus der antiken Levante, also dem Küstengebiet von Kleinasien bis Palästina, kümmert sich nun Dr. Robert Daniel von der Papyrussammlung des Instituts für Altertumskunde. Der Altphilologe ist seit gut 40 Jahren in Sachen antiker Magie unterwegs und ist international angesehener Fachmann für die antike Zauberei. Der Fall der Irene gibt dem Fachmann aus Köln eine Fülle neuer Informationen direkt aus dem Leben der Spätantike: Sprache, Sitten, Glaubensvorstellungen zeigen sich in dieser Tafel, aber auch rechtliche Fragen und Alltägliches.
Texte erscheinen wie von Zauberhand
Antike Magie begleitet den 67-Jährigen seit dem Anfang seiner Karriere. Nun betreut er das Projekt »Magica Levantina«, bei dem Fluchtafeln aus der Türkei, Syrien, Jordanien und Israel mit neuen Technologien entziffert werden.
»2002 wurde ich nach Jerusalem eingeladen, um Bleitafeln zu begutachten, Aber im Laufe der darauffolgenden zehn Jahre änderte sich das. Immer mehr unleserliche Tafeln wurden entdeckt. Und: Eine neue Technologie, das Reflectance Transformation Imaging (RTI), war entwickelt worden. Mit ihr konnte man nun die eingeritzten Texte aus verschiedenen Richtungen ausleuchten und danach am Computer jeweils im besten Beleuchtungswinkel und unter verschiedenen Filtern lesen.
Reflectance Transformation Imaging (RTI) — Die Fluchtexte sind häufig schwer lesbar auf Blei eingeritzt. Das Entziffern der Texte war bisher, wenn überhaupt, nur mit Hilfe eines Mikroskops möglich. Herkömmliche Digitalbilder halfen in der Regel nicht weiter. Einen Durchbruch bedeutet das Reflectance Transformation Imaging (RTI), ein digitales Photoverfahren, durch das kleinste Unebenheiten einer Oberfläche unter verschiedenen Licht- einfällen erfasst werden. Die so entstehenden und digital amalgamierten Bilder lassen sich mit einer speziellen Software am Bildschirm in unterschiedlichsten Verarbeitungsstufen anzeigen. Schriftzüge, die am Original unter statischem Lichteinfall kaum oder gar nicht sichtbar sind, werden auf diese Weise lesbar.
Mit bloßem Auge unlesbar, erscheinen die Buchstaben durch die Ausleuchtung wie von Zauberhand. »Die RTI-Technik revolutioniert das Lesen der Bleitafeln«, so Daniel. Gut 60 Texte will der Kölner Wissenschaftler auf diese Weise digitalisieren, entziffern, transkribieren und übersetzen. die amerikanische Archäologen 1995 ausgegraben hatten«, erinnert sich der Philologe. Eine davon war schwer lesbar, bei den anderen war gar nichts mehr zu erkennen. »Für ein Forschungsprojekt war das zu wenig.«
Wo Ben Hur wendete
Die Flüche erstrecken sich vom Gerichtsverfahren bis zum Sport. Wagenrennen etwa zogen in der Antike die Massen in den Circus, die Rennbahn. Tausende von Fans feuerten ihre Mannschaften an und wetteten auf den Sieg oder Niederlage der Teams.
So zum Beispiel in der palästinensischen Küstenstadt Cäsarea, wo man in einem Brunnen im Hofe des Gouverneurspalastes eine Reihe von Fluchtafeln gefunden hat, von denen viele Täfelchen gegnerische Teams verfluchten. In einer Tafel liest man nach Daniels Übersetzung: »Oh mächtigste Cherubim, erniedrige die Pferde der grünen Fraktion. Oh mächtigste Cherubim, ich rufe den unsichtbaren und unbefleckten Gott an, den einen und einzigen Gott… Bindet für mich die Pferde der grünen Fraktion, deren Namen auf diesen Tafeln geschrieben sind.« Bei dem Bleiplättchen fand die Kölner Konservatorin Sophie Breternitz Reste von Salbei. Was hat das Kraut mit dem magischen Fluch zu tun? »Salbei heißt auf Altgriechisch Sphakelos«, erklärt Daniel. »Das Wort ist mit Sphakos verwandt, das ›Zuckungen‹ bedeutet. Sphakelismos ist ein Fachwort aus der antiken Pferdemedizin – Epilepsie bei Pferden. Der Magier wollte durch den Wortzauber Symptome bei den gegnerischen Pferden hervorrufen, die denen eines epileptischen Anfalles ähnelten.«
Besonders wirksam sollten die Flüche werden, wenn man das Täfelchen möglichst nahe an das verfluchte Objekt bringt. So fanden Archäologen die Tafeln an den beiden Wendepfosten einer der zwei Rennbahnen in Cäsarea. Dort, wo Ben Hur im Hollywood-Klassiker in die Kurve ging, kam es tatsächlich häufig zu Unfällen. Angebunden an den Fluch war diesmal eine Raupe. »Wendepfosten und Raupe: Das ist wieder ein Sprachspiel «, so Daniel. »Das Wort für Raupe heißt im Altgriechischen Kampe, das bedeutet ›sich wenden‹. Auch die Pfosten hießen Kampai. Außerdem gab es eine Raupengöttin Kampe, eine grausame Unterweltsgöttin. Die Pferde sollten in Panik geraten, wenn die Göttin ihnen beim Wendeposten erscheint.«
Heidnische Flüche im Heiligen Land
Für den Wissenschaftler sind die Tafeln vor allem eine Fundgrube für Sprache und Gesellschaft der Spätantike. Heidnische und jüdische Religion mischen sich in ihnen, die Welt des Circus offenbart sich, neue unbekannte Worte tauchen auf. »Man lernt zum Beispiel, dass ein Manager einer Faktion wie ein General beim Militär ›Strategos‹ hieß«, so Daniel. Beim Verfluchen von Pferden schrieb der Magier auch manchmal »Kopf runter!« oder »Hinterteil hoch!«, berichtet Daniel: »So wie es die Zuschauer wahrscheinlich schrien, die gerne einen Unfall auf der Rennbahn sehen wollten.«
Ob der umfangreiche Fluch der Ehefrau Irene aus dem spätantiken Gerasa, geritzt in ein Bleitäfelchen und deponiert am Felsengrab, ihr in ihrer Not geholfen hat, lässt sich heute nicht mehr ermitteln. Untypisch war der Gang zum Magier aber nicht, erzählt Dr. Robert Daniel: »Flüche mit einem juristischen Hintergrund sind sehr häufig. Als ich aber gelesen habe, dass Irene ihren eigenen Mann erst nach etwa 40 Namen seiner Sklaven und Mitarbeiter, also als letztes nannte, musste ich doch etwas lächeln.«