Tumorzellen dauerhaft in Schach halten
Bestrahlung, Chemotherapie, Operation: die klassischen Behandlungsansätze bei Krebs gehören nach wie vor zum Standard. Doch Forschung weltweit nimmt immer neue therapeutische Hebel in den Blick. Ein Kölner Team will den Krebs mithilfe unseres eigenen Immunsystems besiegen.
Von Anna Euteneuer
Kraftlos, untergewichtig mit eingefallenem Gesicht und ausgefallenen Haaren. So sehen oft Menschen aus, die gegen Krebs kämpfen. Jeder zweite in Deutschland wird in seinem Leben einmal an Krebs erkranken. Die Krebssterberaten insgesamt sind allerdings in den letzten zwanzig Jahren durchgehend gesunken. »Ein Grund dafür sind die Fortschritte in der Forschung und der Behandlung«, sagt Henning Walczak. Dennoch sind viele Krebsarten noch immer schlecht bis gar nicht behandelbar.
Walczak ist Alexander von Humboldt- Professor am Zentrum für Biochemie der Medizinischen Fakultät. Er ist überzeugt, dass wir unseren Körper zunächst besser verstehen müssen, um Ansatzpunkte für Krebstherapien zu finden. Der Fokus seiner Forschung liegt dabei nicht in erster Linie auf der Krebszelle selbst, sondern auf den Zellen des Körpers, die sich in der unmittelbaren Umgebung der Erkrankung befinden. Der Schlüssel zum Erfolg in der Krebsbehandlung liegt in seinen Augen in der gezielten Aktivierung des Immunsystems.
Eine Meisterin der Verkleidung
Noch bevor Tumore mit Operation, Chemo- oder Strahlentherapie behandelt werden, ist die erste Hürde für den Krebs unser Immunsystem. Denn jeden Tag entstehen in unserem Körper Erbgutfehler, die sich zu einer Krebserkrankung auswachsen könnten. Krebszellen, die sich unkontrolliert teilen, erkennt und eliminiert das Immunsystem. Bei der alltäglichen Entstehung von frühen Krebszellen in unserem Körper ist der Immunprozess sehr effektiv, doch er stößt ab einem gewissen Punkt an seine Grenzen. Denn: Krebszellen können sich ›verkleiden‹ – sie können vorgeben etwas zu sein, was sie nicht sind. Sie führen das Immunsystem hinters Licht. Walczak und sein Team möchten die körpereigenen Abwehrkräfte bei Krebspatient*innen wieder aktivieren, um die Krankheit zu bekämpfen.
Obwohl das Immunsystem Mechanismen hat, um gesunde von schädlichen Zellen zu unterscheiden, können Krebszellen diese Erkennung umgehen. Beispielsweise durch sogenannte Checkpoint-Proteine auf ihrer Oberfläche. Diese Proteine interagieren mit passenden Rezeptoren auf T-Zellen, einer Art von Immunzellen, und hemmen deren Fähigkeit, die Krebszellen anzugreifen. Sie suggerieren »hier ist alles in Ordnung und normal«. Medikamente wie Immun-Checkpoint-Inhibitoren blockieren diese Wechselwirkung und ermöglichen es den T-Zellen, die Krebszellen wieder zu erkennen und anzugreifen. Das verstärkt die Immunantwort gegen den Tumor. Voraussetzung für die Therapie ist jedoch, dass bekannt ist, dass der Tumor diese Verkleidung gewählt hat.
Immuntherapie und zielgerichtete Therapeutika, die bestimmte Proteine aktivieren oder hemmen, sind heute aus der Krebsbehandlung nicht mehr wegzudenken. »Wenn etwas schiefläuft, können wir heute in viele Prozesse eingreifen. Das setzt jedoch voraus, dass wir genau Bescheid wissen, was dort passiert«, sagt Walczak. Längst wird Patientinnen und Patienten bei Krebs nicht mehr nur ein Medikament verabreicht. Eine Kombination von Wirkstoffen soll zeitgleich verschiedene ›Verkleidungen‹ der Krebszelle lüften oder Immunzellen aktivieren. Walczak sucht nach Wegen, um die Tumorzellen empfänglich für die kraftvolle Wirkung des Immunsystems zu machen und die gewünschte tödliche Wirkung für die Krebszellen zu erzielen. Seine Forschungsgruppe testet derzeit mehrere Ansatzpunkte. Ihr Ziel: Signale zu finden, die zur Zerstörung der Krebszellen führen.
Immun-Checkpoint-Inhibitoren – Die Immunologen James Patrick Allison und Tasuku Honjo legten einst den Grundstein für die Entwicklung von Immun- Checkpoint-Inhibitoren, die das Immunsystem aktivieren, um Tumorzellen anzugreifen. Dafür erhielten sie 2018 den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin. Zunächst wollten sie nur verstehen, wie Immunzellen ticken und wie ihre Regulation funktioniert.
Todbringende Boten
Ein Ansatz sind die Todesliganden. Das sind körpereigene Proteine, die Zelltod auslösen können. Walczaks Team hat unter anderen den so genannten Todesliganden TRAIL (Tumor Necrosis Factor Related Apoptosis Inducing Ligand) als Angriffspunkt für die Krebstherapie identifiziert. TRAIL ist ein Molekül, das in unserem Körper vorkommt und eine wichtige Rolle bei der Kontrolle von Zellen spielt. Es wird normalerweise von unserem Immunsystem produziert, um kranke oder beschädigte Zellen im Körper zu erkennen und gesund zu erhalten. Trifft TRAIL auf einen TRAIL-Rezeptor auf der Oberfläche einer Zelle, signalisiert es der Zelle, dass sie sich selbst zerstören soll. Die betroffene Zelle folgt dem Signal und zerlegt sich in kleine Teile, die von anderen Zellen leicht und ohne Schaden anzurichten entsorgt werden können.
TRAIL ist nur einer unter verschiedenen Todesliganden, doch er hat einen entscheidenden Vorteil. Anders als bei dem sogenannten Tumornekrosefaktor (TNF) oder dem Fas-Liganden, ist die Gabe von TRAIL nicht giftig für den Körper. Auch wenn der Grund für die gute Verträglichkeit von TRAIL noch nicht verstanden ist, macht sie den Todesliganden besonders attraktiv als neuen Therapieansatz.
In einigen Fällen versucht Walczaks Team, einen Immunangriff auf den Tumor dadurch wieder zu ermöglichen, dass ein Todesligand blockiert wird. Dadurch kann erreicht werden, dass Immunzellen, die Tumorzellen spezifisch erkennen und töten können, überleben. »Unser Ziel ist es, das Wissen über Todesrezeptoren und Todesliganden und die damit verbundenen Signalprozesse bestmöglich in die Tumortherapie zu integrieren«, sagt der Forscher.
Ein wichtiger Aspekt der Arbeit von Walczaks Team ist es, den durch die Therapie ausgelösten Tod der Tumorzellen für das Immunsystem nutzbar zu machen: Die Immunzellen sollen für die Zukunft ›lernen‹, ähnliche Zellen zu erkennen und zu beseitigen. »Viele herkömmliche und auch neuere, zielgerichtete Therapien töten viele Tumorzellen ab, und das ist auch gut so. Aber einige Tumorzellen überleben diesen Angriff, vermehren sich anschließend, und der daraus resultierende Tumor ist meist resistent gegenüber der ursprünglichen Therapie. Wir müssen die Art, wie wir diese Tumorzellen töten, so gestalten, dass deren Tod dazu geeignet ist, die Immunzellen sozusagen ›abzurichten‹. So können dann die noch im Körper verbliebenen Tumorzellen gezielt aufgespürt und abgetötet werden«, so Walczak.
Vom Labor in die Klinik
Die Kombination aus zielgerichteten Therapien und Immuntherapie wäre das ›Dreamteam‹ des Forschers gegen Krebs. Um dieses Ziel zu erreichen, braucht es Walczak zufolge neben neuen Immuntherapien, zu denen sein Team forscht, auch noch bessere zielgerichtete Therapien und deren Erprobung in der Klinik. Denn Patient*innen sollten schnellstmöglich von den Ergebnissen aus der onkologischen Grundlagenforschung profitieren.
Bei der Umsetzung helfen den Kölner Wissenschaftler*innen sowohl das CANTAR-Netzwerk als auch das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT). Die Forschenden können ihre Therapieansätze testen und gleichzeitig Patient*innendaten auswerten: Funktioniert der Ansatz? Und wenn ja: Bei welchen Patientinnen und Patienten wirkt er am besten, bei welchen weniger gut? Was wäre für die Gruppe mit solchen molekularen Merkmalen die noch bessere Therapie? Diese Fragen stellen sich die Wissenschaftler*innen, unter anderem auch in Walczaks Team. »Ich kann jeder und jedem mit einer Tumorerkrankung nur empfehlen, nach Möglichkeit an klinischen Studien teilzunehmen«, sagt Walczak. Denn diese ermöglichten den Zugang zu neuen Behandlungsmöglichkeiten, die möglicherweise wirksamer oder sicherer seien als bestehende Therapien und die Lebensqualität verbessern oder die Krankheit besser kontrollieren könnten. Darüber hinaus leisteten sie einen Beitrag zur medizinischen Forschung und zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung.
CANTAR – Das onkologische Forschungsnetzwerk CANcer TARgeting hat sich zum Ziel gesetzt, neue Substanzen zu entwickeln, um spezifische Antriebswege von Krebserkrankungen zu identifizieren und zu neutralisieren, und zu erforschen, wie Krebs dem Immunsystem ›entkommen‹ kann. CANTAR wird für den Förderzeitraum von August 2022 bis Juli 2026 mit insgesamt 19,4 Mio. Euro vom Land NRW gefördert. Der Anteil der Universität zu Köln beläuft sich auf 8,4 Mio. Euro.
Die bisherigen Erfolge der Immuntherapie und der zielgerichteten Therapien zeigen, dass dies für die Krebsforschung ein vielversprechender Weg ist. Henning Walczak resümiert: »Mein Team und ich sind überzeugt, dass kontinuierliche Forschung weitere Durchbrüche ermöglichen wird. Letztlich wollen wir das Immunsystem befähigen, Tumorzellen dauerhaft in Schach zu halten.«
DAS NCT WEST
Wenn die Biologie verstanden ist, muss das Wissen in die Anwendung, zu den Patienten kommen.
Hierbei hilft das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT). Seit Februar 2023 bilden die Unikliniken Köln und Essen den Standort NCT West und werden vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert.
Es bietet Wissenschaftler*innen die Gelegenheit, sogenannte ›Investigator Initiated Trials‹ schnell zu initiieren. Diese Art klinischer Studien wird von unabhängigen Forscher*innen oder Forschungseinrichtungen angestoßen und durchgeführt – im Gegensatz zu Industrie-finanzierten klinischen Studien, bei denen pharmazeutische Unternehmen die Hauptverantwortung tragen.
Am NCT West arbeiten Wissenschaftler*innen und Ärzt*innen gemeinsam daran, die Ergebnisse aus den Forschungslaboren in die Klinik und die Erkenntnisse daraus anschließend wieder zurück ins Labor zu tragen.
Dieses Netzwerk schließt die Lücke zwischen Laborentdeckungen und klinischen Studien und fördert die Umsetzung vielversprechender Ideen in der klinischen Praxis.
Weitere Informationen:
Webseite Prof. Dr. Henning Walczak
Alexander von Humboldt-Professur für Prof. Henning Walczak