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Skandal: Hornmilbenart lebt ohne Sex

Alle haben Sex. Wirklich alle? Nicht ganz.

Kann man ohne Partner wirklich glücklich werden? Man kann. Die Weibchen einer besonderen Hornmilbenart sind sich selbst genug – und schaffen es trotzdem, sich fortzupflanzen.

Von Hannah Reiter


Birds do it, bees do it, even educated fleas do it, komponierte Cole Porter bereits 1928 in einem weltberühmten Hit. Alle tun es. Alle haben Sex. Wirklich alle? Nicht ganz. Eine spezielle Gattung der Hornmilben tut »es« nicht: die Femme Fatal Oppiella nova. Ein »uralt asexueller Skandal« sozusagen, deren Titel nun auch offiziell durch die Wissenschaft bestätigt wurde.

Hornmilben sind winzige Spinnentiere, die bevorzugt im Wald leben und dort zum Beispiel die Laubstreu zersetzen. Klingt erst mal wenig spektakulär. Was macht diese Hornmilben also zum Fokus einer kürzlich in der Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) veröffentlichten Studie eines internationalen Forschungsteams aus Deutschland, der Schweiz und Frankreich? Nun ja, ... Sex! Beziehungsweise das Nichtvorhanden sein sexueller Fortpflanzung, zumindest bei dieser Art. Und zwar seit sehr, sehr langer Zeit, möglicherweise über Millionen von Jahren. Stattdessen produziert diese Art nur Weibchen, die sich durch Klonen vermehren.

Das Überleben einer Tierart über einen geologisch langen Zeitraum ganz ohne sexuelle Fortpflanzung ist der evolutionsbiologischen Theorie nach sehr unwahrscheinlich, wenn nicht gar unmöglich. »Oppiella nova zeigt sich hiervon herzlich unbeeindruckt«, sagt Dr. Jens Bast, Biologe und Emmy-Noether-Nachwuchsgruppenleiter am Institut für Zoologie.

Uralt asexuelle Arten wie O. nova bringen Evolutionsbiolog:innen somit in Erklärungsnot, denn asexuelle Fortpflanzung scheint auf lange Sicht sehr unvorteilhaft zu sein. Wie sonst könnte man erklären, dass sich fast alle Tierarten rein sexuell fortpflanzen? In der genetischen Vielfalt, die das Zusammentreffen zweier unterschiedlicher Genome durch ein Elternpaar bei den Nachkommen erzeugt, wurde bisher der große evolutionäre Vorteil der sexuellen Fortpflanzung gesehen. Bei Organismen mit zwei Chromosomensätzen, also zwei Kopien des Genoms in jeder Zelle, wie zum Beispiel bei Menschen und den sich sexuell fortpflanzenden Hornmilbenarten, sorgt Sex für eine konstante »Durchmischung« der beiden Kopien. So wird zwar genetische Vielfalt zwischen verschiedenen Individuen erzeugt, doch die beiden Erbgut-Kopien innerhalb eines Individuums bleiben sich im Durchschnitt sehr ähnlich.

Doch auch asexuell reproduzierenden Arten, die genetische Klone von sich selbst erzeugen, ist es möglich, genetische Varianz in ihr Erbgut zu bringen. Allerdings führt das Fehlen sexueller Fortpflanzung und damit der »Durchmischung « bei asexuellen Tierarten dazu, dass die beiden Genomkopien unabhängig voneinander Mutationen, also Veränderungen in der genetischen Information ansammeln und innerhalb ein und desselben Individuums immer unterschiedlicher werden. Die beiden Kopien evolvieren unabhängig voneinander.

Der sogenannte Meselson-Effekt beschreibt den Nachweis dieser Unterschiede in den Chromosomensätzen rein asexueller Arten. »Der Meselson-Effekt ist bei Tieren noch nie schlüssig gezeigt worden – bis jetzt«, sagt Professorin Dr. Tanja Schwander vom Department of Ecology and Evolution der Universität Lausanne.

Zu belegen, dass die uralt asexuellen Skandale sich auch wirklich, wie angenommen, ausschließlich asexuell fortpflanzen (und ob sie dies auch schon so lange tun), ist ein sehr komplexes Unterfangen. Denn »es könnte beispielsweise eine Art von ›kryptischem‹ sexuellem Austausch geben, den man nicht kennt. Oder noch nicht kennt«, erklärt Erstautor der Studie Dr. Alexander Brandt von der Universität Lausanne. Sehr selten könnte zum Beispiel doch mal ein fortpflanzungsfähiges Männchen produziert wird, möglicherweise sogar »aus Versehen«. Eine rein asexuelle Fortpflanzung hinterlässt jedoch – zumindest theoretisch – eine besonders charakteristische Spur im Erbgut, eben jenen Meselson-Effekt.

Für ihre Studie haben die Forscher:innen verschiedene Populationen von Oppiella nova und der mit ihnen nahe verwandten, sich aber sexuell reproduzierenden Schwesterart Oppiella subpectinata in Deutschland gesammelt und deren genetische Information sequenziert und analysiert. »Eine Sisyphos-Arbeit«, beschreibt Bast das Verfahren. »Die Milben sind nur ein Fünftel Millimeter groß und schwer zu identifizieren.« Zusätzlich erforderte die Analyse der Genomdaten eigens zu diesem Zweck geschriebene Computerprogramme. Das Team um Brandt, Schwander und Bast erweiterten der erfahrene Bodenkundler und Taxonom Dr. Christian Bluhm von der Forstwissenschaftlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden- Württemberg, Patrick Tran Van, ein auf das Fachgebiet der evolutionären Genomik spezialisierter Bioinformatiker, sowie der Göttinger Bodenökologe Professor Dr. Stefan Scheu.

Kummer und Schweiß wurden belohnt: Der Meselson-Effekt konnte tatsächlich belegt werden. »Dies zeigt eindeutig, dass O. nova ausschließlich asexuell reproduziert. Hornmilben könnten noch für die ein oder andere Überraschung sorgen, wenn es darum geht zu verstehen, wie Evolution ohne Sex funktioniert «, hält Bast fest. Die Ergebnisse zeigen: Das Überdauern einer Art ohne sexuelle Reproduktion ist zwar ziemlich selten, aber keine Unmöglichkeit. Die Wissenschaftler:innen der Studie sind nun dabei herauszufinden, was diese Hornmilben so speziell macht.