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Siebzehn Jahre nach Bologna

Lehre an der Universität ist nicht bloß Schule für eine ältere Zielgruppe. Doch Kritiker der Bologna-Reform haben gerade die „Verschulung“ der Hochschulen oft kritisiert. Die Rahmenbedingungen haben sich in den vergangenen Jahren zweifelsohne verändert. Was macht gelungene Lehre heute aus?

Eine Klausur jagt die nächste, Wissen wird auf Biegen und Brechen in Module gestopft, die Persönlichkeitsbildung junger Menschen weicht einer Jagd nach Credit Points. Vor siebzehn Jahren sorgte die Bologna-Reform, die die Harmonisierung der europäischen Hochschulsysteme zum Ziel hatte, für heftige Kontroversen. Doch heute ist die Zufriedenheit der Studierenden hoch. Anfängliche Schwierigkeiten konnten behoben, der Niedergang des deutschen Bildungswesens abgewendet werden. Nach wie vor fassen Kritiker der Reform unter dem Schlagwort „Verschulung“ jedoch Vieles zusammen, was das Studium und Lehrangebot in irgendeiner Art strukturiert. Gründe für eine solche Strukturierung gibt es durchaus. „Das Lehrangebot muss zu dem Ziel eines bestimmten Studiengangs passen. Es kann sich nicht allein aus seinem Inhalt rechtfertigen“, meint Professor Stefan Herzig, der Prorektor für Lehre und Studium der Uni Köln. 

Doch wie wichtig ist die Hochschullehre? Bei der Berufung auf eine Professur spielt die individuelle Forschungsbiographie die Hauptrolle, doch zunehmend wird auch ein Lehrportfolio verlangt. Über eine umfassende didaktische Ausbildung verfügen die meisten Hochschullehrer jedoch nicht. Um ihnen trotzdem ein gutes Handwerkszeug für ihre Lehre zu vermitteln, hat die Humanwissenschaftliche Fakultät 2007 das Zentrum für Hochschuldidaktik gegründet. „Seit 2014 gibt es ein gestiegenes Bewusstsein für die Wichtigkeit von Hochschuldidaktik“, sagt Eva-Maria Rottlaender, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum. „Das Thema wurde in die Zielvereinbarung der Fakultäten mit dem Rektorat aufgenommen, was auch für den Akkreditierungsprozess entscheidend war.“ 

In seinem Workshop-Programm bietet das Zentrum Fortbildungen zu handfesten Dingen wie „Abschlussarbeiten betreuen“ und „Lehrveranstaltungen planen“ an, aber auch zu innovativen Themen wie „Digitale Medien“ und der „Flipped Classroom Me thode“. Mittlerweile hat das Zentrum Kooperationsverträge mit allen Fakultäten geschlossen. „Das hat es uns erlaubt, die Anzahl unserer Workshops pro Jahr zu verdreifachen“, freut sich Rottlaender. Viele Workshops in diesem Kalenderjahr sind bereits ausgebucht. Professor Herzig führt das auch auf neue Anforderungen an die Lehre zurück: „Das Rollenbild von Lehrenden hat sich in den vergangenen Jahren stark erweitert.“ 

Neue Strukturen

Eine Voraussetzung für neue Entwicklungen in der Lehre ist der Wandel in der Organisation des Studiums. Die Akkreditierung von Studiengängen ist in vielen Bundesländern, darunter in Nordrhein-Westfalen, mittlerweile im Hochschulgesetz verankert. Das Akkreditierungssystem hat die ältere Vorgabe der Genehmigung der Studiengänge durch die Landesministerien ersetzt. Damit stärkt es also im Grunde die Freiheit und Autonomie der Hochschulen. Doch wie einst die Bologna-Reform steht auch diese Veränderung aktuell in der Kritik und muss auf eine neue rechtliche Grundlage gestellt werden. 

Grundsätzlich gibt es die Programmakkreditierung, bei der jeder einzelne Studiengang einer Hochschule bewertet wird, und die Systemakkreditierung, bei der das interne Qualitätssicherungssystem der Hoch - schule akkreditiert wird. Vor diesem Hintergrund hat die Uni Köln das Prinzip der Modellakkreditierung entwickelt, das in Deutschland bislang einzigartig ist. Formell eine Programmakkreditierung, hat die Uni Köln mit „Studieren in Köln“ dennoch ein eigenes Modell entwickelt, in dem die Fakultäten übergreifende Standards in der Struktur der Bachelor- und Master-Studiengänge und in den Prüfungsordnungen festlegen. Von dieser Harmonisierung profitieren beispielsweise Studierende, die fakultätsübergreifend studieren. Im neuen Modell – auch unter „Studium im Fokus“ bekannt – greifen die Module besser ineinander und es ist nicht mehr so schwierig, zwischen den verschiedenen Strukturen und Regularien hin und her zu wechseln. Mit der Modellakkreditierung geht auch die Einführung des neuen Campusmanagementsystems KLIPS 2.0 einher. 

Das übergeordnete Ziel dieses Großprojekts ist es, in einem kontinuierlichen Prozess Qualität in der Lehre und in den Studiengängen zu sichern. Schränkt das die akademische Freiheit über Gebühr ein? Es entsteht sicherlich für niemanden ein Nachteil, wenn Inhalte und Strukturen besser aufeinander abgestimmt sind, es nicht mehr zu Studienverzögerungen aufgrund von mangelnder Organisation kommt und Studienleistungen einfacher angerechnet werden können. „Wir haben viele Veränderungen hinter uns, die die Beteiligten grundsätzlich als positiv wahrnehmen“, sagt Stefan Herzig. „Die nächsten Jahre werden wir nutzen, um die Detailfehler zu identifizieren und zu beseitigen.“ 

Rückmeldungen sind wichtig

Die Stimmungslage von Studierenden und Lehrenden hat das Prorektorat für Lehre und Studium in den vergangenen Jahren mit der „Campus im Dialog“-Umfrage gemessen. Die Befragung ist mittlerweile abgeschlossen, ihre Auswertung dauert jedoch noch an. Die Schwerpunkte bildeten Forschungsund Praxisbezug, Internationalisierung des Studiums, Beratung und Betreuung sowie Qualität der Lehre. Zuletzt wurde ein Bericht zum Thema Internationalisierung vorgelegt. Daraus geht unter anderem hervor, dass viele Studierende bei der Internationalität mehr Wert auf ein gutes Angebot an Auslandsaufenthalten und Sprachkursen legen als auf internationale Inhalte im Studium. Die Umfrage dient also auch der Klärung abstrakter Begriffe wie „Internationalität“ oder „Qualität“. 

Ein Zwischenbericht der Umfrage zum Thema Qualität der Lehre aus dem Jahr 2014 skizziert, worin für Studierende didaktisch gute Hochschullehre besteht. Neben Aspekten wie Praxisbezug, Verständlichkeit und Methodenvielfalt betonen sie immer wieder auch die Person des Lehrenden. Dozentinnen und Dozenten müssen für ihr Thema brennen und Leidenschaft an den Tag legen. Diese Frage beschäftigt auch den Prorektor für Lehre und Studium: „Wir stellen immer wieder fest, dass die Lehrperson wichtig ist. Deshalb wollen wir eben diejenigen untersuchen, deren Lehre als gut bewertet wird. Worin liegt ihr Rezept?“ 

Im Verlauf von Hochschulkarrieren hat die Lehre leider noch nicht den Stellenwert, den sie verdient hätte. „Es kommt viel stärker auf die Anzahl der Veröffentlichungen und die eingeworbenen Drittmittel an“, meint Eva-Maria Rottlaender vom Zentrum für Hochschuldidaktik. „Das stellt Lehrende vor ein schwieriges Spannungsfeld: auf der einen Seite möchten sie ihren Studierenden gerecht werden und gute Lehre machen, auf der anderen Seite sind sie auch an ihrer eigenen Karriere und Forschung interessiert.“ Die Anerkennung guter Lehre bedarf noch eines Umdenkens im gesamten Hochschulsystem. 

Mehr Praxisnähe

Erfolgreiche Lehre ist oft unkonventionell. Methoden des Integrierten Lernens (blended learning) haben in Zeiten Konjunktur, in denen Sinn und Unsinn der Präsenzpflicht heiß diskutiert werden. Dazu gehören unterschiedliche Kombinationen von E-Learning mit etablierten Vorlesungs- oder Seminarformaten, aber auch die Methode des umgedrehten Unterrichts (flipped classroom), bei dem Studierende sich die Lerninhalte zuhause selbst erarbeiten und die Zeit im Seminarraum nutzen, um das Erlernte praktisch anzuwenden. 

Die Angebote des ProfessionalCenter der Uni Köln richten sich an Studierende, die einen Einblick in die Berufspraxis erlangen und praktische Kompetenz erwerben möchten. Das Service Learning zum Beispiel ermöglicht es Studierenden, praktisches Lernen mit sozialem Engagement zu verbinden. Sie können ein Projekt für Kinder filmisch begleiten, eine Sportveranstaltung organisieren oder die Nahversorgung in einer dörflichen Gemeinde untersuchen. Dadurch erwerben die Studierenden auch Credit Points, aber die vermeintliche Jagd nach der „Bildungswährung“ ist nicht das Wichtigste; vielmehr sind es die Einblicke in mögliche spätere Berufsfelder und die persönliche Bereicherung, die das Service Learning ermöglicht. 

Das Studium gut zu strukturieren und Freiräume für aktives, eigenverantwortliches Lernen zu schaffen, muss kein Widerspruch sein. Engagierte, praxisnahe Lehre, in Kombination mit guter Betreuung und transparenten Bewertungsstandards, nutzt allen. Nicht zuletzt bietet sie Hochschullehrerinnen und -lehrern die Möglichkeit, ihre eigene Praxis immer wieder zu überdenken und zu verbessern. Wo, wenn nicht an Universitäten, sollte die Maxime des lebenslangen Lernens gelten?