Vor allem in Westdeutschland sind die langfristigen Lohneinbußen von Frauen nach einer Geburt erheblich. Doch auch hier kann der »Wind of Change« wehen, wenn Westdeutsche die Vereinbarkeit von Familie und Beruf von Ostdeutschen lernen.
Von Carolin Jackermeier
Der improvisierte Homeoffice- Arbeitsplatz steht im Kinderzimmer mit halb aufgebauten Möbeln, im Hintergrund des Zoom-Calls ist das Babyschreien aus dem Nebenzimmer zu hören: Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen, stellt die Kölner Ökonomin Barbara Boelmann im Alltag regelmäßig vor Herausforderungen – gerade in Zeiten von Corona. Doch sie hat sich trotzdem dafür entschieden, ein paar Monate nach der Geburt direkt wieder einzusteigen. Neben Stillen und Windeln wechseln, arbeitete sie aus der Ferne an ihrer Promotion in London und wechselte parallel als Wissenschaftliche Mitarbeiterin an die Universität zu Köln.
Die Ökonomin steht nicht nur privat im Spannungsfeld zwischen Familie und Karriere, sondern beschäftigt sich genau damit auch beruflich. Boelmann forscht als Postdoktorandin an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät und beim Exzellenzcluster ECONtribute der Universitäten Köln und Bonn im Bereich Gender Economics. Gemeinsam mit Anna Raute (Queen Mary University of London) und Uta Schönberg (University College London) hat sie das Erwerbsverhalten und die damit einhergehenden Lohnentwicklungen von Müttern in Deutschland nach einer Geburt ausgewertet. Boelmann interessierte dabei vor allem, wie sich das soziale Umfeld auf die Berufstätigkeit von Müttern auswirkt.
Gender Economics – Der Forschungsbereich untersucht, wie das Geschlecht wirtschaftliche Entscheidungen beeinflusst und beleuchtet Gender Gaps am Arbeitsmarkt sowie die Auswirkungen von Politikmaßnahmen (zum Beispiel Elterngeld oder Ehegattensplitting) auf geschlechterspezifische Ungleichheit im Erwerbsleben. Themen sind etwa unterschiedliche Löhne von Frauen und Männern oder mangelnde Repräsentation von Frauen in leitenden Positionen.
Obwohl 2019 die Hälfte aller Hochschulabsolventen weiblich sind, verdienen Frauen in Deutschland laut Statistischem Bundesamt durchschnittlich noch immer 20 Prozent weniger als Männer. Nach Ausbildung oder Studium entwickeln sich die Löhne zunächst relativ ähnlich, die Schere geht ab dem Alter von etwa 30 Jahren auseinander – der Zeitpunkt, zu dem viele Frauen ihr erstes Kind bekommen. »Mit der Geburt des Kindes gibt es langfristig einen starken Lohnrückgang für Frauen – für Männer hingegen sieht man nicht mal einen kleinen Effekt«, sagt Boelmann. Wie viel Einkommen Frauen wegen einer Mutterschaft verlieren, variiert international stark und scheint Studien zufolge in Ländern mit traditionelleren Rollenbildern am höchsten zu sein.
Rollenbilder beeinflussen Berufseinstieg nach der Geburt
Die Wissenschaftlerinnen verglichen in ihrer Studie das Erwerbsverhalten von ost- und westdeutschen Müttern auf beiden Seiten der ehemaligen innerdeutschen Grenze. In der DDR wurden Frauen, wie Männer, als vollwertige Arbeitskräfte angesehen. In der BRD hingegen dominierte das traditionelle Bild des Vaters, der die Familie ernährt und der Mutter, die zuhause am Herd steht. Während Hausfrauen im Osten eher kritisch beäugt wurden, galten voll berufstätige Frauen im Westen schnell als Rabenmütter. Mit der Wiedervereinigung vermischten sich die beiden Rollenbilder. Doch die Autorinnen stellten fest: Auch viele Jahre später steigen Mütter, die in Ostdeutschland aufgewachsen sind, früher wieder in den Beruf ein als Mütter aus Westdeutschland.
Ostdeutsche Mütter verlieren weniger Einkommen
Die Ökonominnen verglichen das Rückkehrverhalten in den Beruf von ost- und westdeutschen Müttern, die zwischen 2003 und 2006 ihr erstes Kind bekommen haben. Die Elternzeit endete wie heute nach spätestens drei Jahren, allerdings gab es statt des einjährigen Elterngeldes zwei Jahre lang Erziehungsgeld. Während westdeutsche Mütter die Spanne der Elternzeit voll ausnutzen, kehrten ostdeutsche Mütter oft schon nach einem Jahr in den Beruf zurück. Das entspricht der Norm der ehemaligen DDR, in der ein vollbezahltes Babyjahr gewährt wurde. »Die Unterschiede in West- und Ostdeutschland bestehen weiterhin so stark, obwohl viele der Bildungs- und Arbeitsmarktentscheidungen dieser Generation im vereinigten Deutschland getroffen wurden«, sagt Boelmann.
Die beiden zusätzlichen Pausenjahre der Westdeutschen haben langfristige Auswirkungen: Sieben Jahre nach der Geburt verdienen ostdeutsche Mütter um die 70 Prozent ihres Einkommens vor der Geburt, vergleichbar mit Müttern in den USA und Schweden, während westdeutsche Mütter nur knapp 45 Prozent ihres Vorgeburtseinkommens erreichen.
Westdeutsche lernen von Ostdeutschen
Für die Rückkehrentscheidung nach der Geburt spielt nicht nur die Kultur, in der die Mütter aufgewachsen sind, eine Rolle, sondern auch das aktuelle Umfeld. Westdeutsche Mütter lassen sich jedoch stärker von einem ostdeutschen Umfeld beeinflussen, als andersherum. Ostdeutsche in Westdeutschland kehren früher nach der Geburt ihres Kindes in den Beruf zurück und arbeiten häufiger in Vollzeit als ihre westdeutschen Kolleginnen – selbst, wenn sie schon lange in der traditionelleren westdeutschen Kultur gelebt haben. Westdeutsche in Ostdeutschland passen sich in ihrem Rückkehrverhalten nach der Geburt hingegen fast komplett ihren ostdeutschen Kolleginnen an. »Westdeutsche lernen in Ostdeutschland etwas über die Vereinbarkeit von Familie und Beruf«, sagt die Wissenschaftlerin.
Dass Mütter früher in den Beruf zurückkehren, sei nicht auf institutionelle Faktoren, also zum Beispiel eine bessere Kinderbetreuung im Osten zurückzuführen. »Diesen Effekt können wir rausrechnen, indem wir betrachten, wie sich Ostdeutsche in Westdeutschland verhalten, wo es die bessere Kinderbetreuung ja nicht mehr gibt«, sagt Boelmann. Selbst in westdeutschen Firmen, in denen viele ostdeutsche Kolleginnen arbeiten, steigen die westdeutschen Mütter – so ein Ergebnis der Studie – früher wieder in den Beruf ein.
Die Ergebnisse legen nahe, dass die kindliche Prägung für Frauen, die in einer gleichberechtigteren Gesellschaft aufgewachsen sind, wichtiger ist als das aktuelle Umfeld. Frauen aus traditionelleren Kulturen werden jedoch im Erwachsenenalter stärker von ihrem weniger traditionellen Umfeld beeinflusst.
Selbstverständnis und Unterstützung für vollberufstätige Mütter fördern
Migration und das Zusammentreffen traditioneller und moderner Rollenbilder können Boelmann und ihren Kolleginnen zufolge einen früheren Berufseinstieg von Frauen nach einer Geburt positiv beeinflussen und im Schnitt ein langfristig höheres Lohnniveau sichern. »Natürlich gehört dazu aber auch eine generell familienfreundliche Einstellung der Unternehmen«, sagt Boelmann. Also etwa Eltern-Kind Büros, flexible Arbeitszeiten oder die Möglichkeit für Homeoffice. Die Ökonomin ergänzt: »Von 8 bis 18 Uhr im Büro sein zu müssen, das passt einfach nicht in den Lebensentwurf vieler Frauen.« Am Ende würden beide Seiten von mehr Flexibilität profitieren: Frauen können Familie und Karriere besser miteinander vereinbaren und Unternehmen sichern sich langfristig gute Arbeitskräfte.
Barbara Boelmann ist assoziiertes Mitglied bei ECONtribute. Sie studierte Volkswirtschaftslehre und Sinologie an der Ruhr-Universität Bochum und ist Promotionsstudentin am University College London sowie Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität zu Köln. Boelmann forscht zu den Gründen von Ungleichheiten am Arbeitsmarkt und untersucht Fragen im Spannungsfeld von sozialen und Geschlechternormen, familiärem Hintergrund und Chancengleichheit.
ECONtribute ist der einzige von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderte Exzellenzcluster in den Wirtschaftswissenschaften – getragen von den Universitäten Bonn und Köln. Der Cluster forscht zu Märkten im Spannungsfeld zwischen Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Ziel von ECONtribute ist es, Märkte besser zu verstehen und eine grundlegend neue Herangehensweise für die Analyse von Marktversagen zu finden, die den sozialen, technologischen und wirtschaftlichen Herausforderungen der heutigen Zeit, wie zunehmender Ungleichheit und politischer Polarisierung oder globalen Finanzkrisen, gerecht wird. Der Cluster setzt sich außerdem für die Förderung von Frauen in den Wirtschaftswissenschaften ein