Die Ablösung des Latein als universelle Wissenschaftssprache hatte unbestreitbar große Vorteile: Sie führte seit der Renaissance zu einer Öffnung der Wissenschaften. Theologische, naturwissenschaftliche und philosophische Texte wurden nun breiteren Kreisen der Gesellschaft zugänglich. Heute ist Englisch die neue Lingua franca. Ist die Wissenschaft der Zukunft damit nur noch Teilöffentlichkeiten zugänglich? Der Arbeitskreis für Deutsch als Wissenschaftssprache (ADAWIS) befürchtet, dass der Trend zu immer mehr Englisch in Forschung und Lehre die Vielfalt der akademischen Kulturen erneut einschränkt und das demokratische Grundprinzip der Wissenschaft infrage stellt. Eine Biomedizinerin und ein Soziologe der Uni Köln zeigen, wie die Wahl der Sprache Verständigung ermöglichen, Menschen aber auch vom wissenschaftlichen Diskurs ausschließen kann.
Lecture Hall, Mentoring, Family Support und Keynote – an deutschen Universitäten wimmelt es nur so von Anglizismen und als Denglisch gebrandmarkten Wörtern. Es gibt Fachbereiche deren Internetseiten nur noch in Englisch verfügbar sind. Und öffentliche Tagungen finden in Englisch statt, obwohl weder die Redner noch das Publikum aus dem englischen Sprachraum kommen. Ist das sinnvoll oder doch ein Zeichen mangelnden Selbstbewusstseins?
Luca Pacioli, ein Pionier der modernen Mathematik und des Rechnungswesens, verabschiedete sich vor rund 500 Jahren von der damaligen Wissenschaftssprache Latein. Einhundert Jahre später tat das auch der italienische Universalgelehrte Galileo Galilei. Sie schrieben fortan auf Italienisch, und ein Großteil ihrer Arbeit bestand darin, in der Landessprache erst einmal Begriffe für die neuen Ideen zu schaffen. Der Zugang zum Wissen sollte jedem offenstehen.
Heute unterhalten sich Wissenschaftler aus der ganzen Welt auf Englisch. Keine Frage: Internationalität ist für Universitäten eine große Bereicherung. Spitzenforschung profitiert von der Zusammenarbeit zwischen Experten aus unterschiedlichen Ländern, die die gleichen Fachbegriffe nutzen und verstehen. Das hat die Wissenschaft erheblich beschleunigt. Und für viele junge Menschen sind die internationalen Begegnungen während des Studiums nicht nur eine wichtige Lebenserfahrung. Sie stärken auch ein für das Berufsleben nützliches Netzwerk. In der akademischen Praxis ist Internationalisierung jedoch oft gleichbedeutend mit einer Hinwendung zur englischen Sprache und zur anglo-amerikanischen Wissenschaftskultur, kritisiert der Arbeitskreis Deutsch als Wissenschaftssprache (ADAWIS).
Wer als Doktorand oder Postdoktorand nicht in den einschlägigen englischsprachigen Fachzeitschriften publiziert hat, hat kaum eine Chance auf dem Wissenschaftsmarkt. Manche dieser Zeitschriften verbieten sogar das Zitieren anderssprachiger Bücher oder Aufsätze. Dem Biowissenschaftler und Vorsitzenden des ADAWIS Ralph Mocikat zufolge führt diese Entwicklung dazu, dass Forschungsprojekte teilweise neu aufgelegt werden, weil nicht englischsprachige Publikationen zu demselben Thema ignoriert wurden. Außerdem beschränke sich die Wahrnehmung vieler Forscher dadurch auf die angloamerikanische Tradition. Dem Arbeitskreis geht es nicht allein um den Erhalt der deutschen Wissenschaftssprache, sondern um die Pflege unterschiedlicher Wissenschaftskulturen. Denn Sprache sei kein neutrales, austauschbares Vehikel, sondern stets mit einer bestimmten Geistestradition, mit bestimmten Denk- und Argumentationsmustern verbunden. Schwindet die sprachliche Vielfalt, so schwindet auch die Vielfalt der Ideen.
Sprache kann Zugänge schaffen und ausgrenzen
Dass Englisch in vielen Disziplinen längst die dominante Sprache der Forschung geworden ist, sei eine Realität, der man pragmatisch ins Auge blicken müsse, meint die CECAD-Forscherin Carien Niessen. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse in der Biomedizin seien nicht an einzelne Länder gebunden, sondern für ein globales Publikum relevant. Aus diesem Grund sollten sie auch so publiziert werden, dass sie einer breiten internationalen Öffentlichkeit zugänglich sind. »Eine Beschränkung auf die deutsche Sprache würde in meinem Fach bedeuten, dass man international abgehängt wird. Also haben wir auch eine Pflicht gegenüber unseren Studierenden, sie in der englischen Kommunikation zu trainieren «, sagt die Alternsforscherin. Auch Spitzentalente aus dem Ausland könne man nur mit englischsprachiger Kommunikation im Labor gewinnen.
Dagegen sieht Wolfgang Streeck den Trend zur Anglisierung in den Geistes- und Sozialwissenschaften kritisch. Er ist Mitglied des ADAWIS, hat viele Jahre in den USA gelebt und gearbeitet und mehr als die Hälfte seiner wissenschaftlichen Veröffentlichungen auf Englisch verfasst. »An deutschen Hochschulen nimmt der Gebrauch des Englischen schon fast absurde Züge an, wenn Besprechungen unter deutschen Wissenschaftlern auf Englisch abgehalten werden. Der Gebrauch des Englischen ist kein Wert an sich, und die Anglisierung sollte nicht zu einem Modernitätsfetisch werden.«
Streeck ist überzeugt, dass man in internationalen Kontexten grundsätzlich improvisieren muss. Bei einem internationalen Hegel-Kongress beispielsweise müsse man nicht darauf bestehen, dass alle Englisch sprechen. »Auf diesem Gebiet kann man zumindest ein passives Verständnis der deutschen Sprache voraussetzen.« In Deutschland würden die Sprachkenntnisse internationaler Gäste zudem oft unterschätzt – dass man ihnen offenbar von vornherein nicht zutraut, Deutsch zu verstehen, könne sogar als Beleidigung aufgefasst werden. In einem Punkt sind Niessen und Streeck sich einig: die Debatte um Sprachen in der Wissenschaft sollte pragmatisch geführt werden, nicht ideologisch. Auf den Kontext und auf das Fach komme es bei der Wahl der englischen oder einer anderen Sprache an. »In manchen Fächern, wie Medizin oder Jura, ist es sogar essentiell in der Landessprache zu kommunizieren,« sagt Carien Niessen. »Aber bei der biomedizinischen Forschung muss man nicht unbedingt Deutsch sprechen, um mitmachen zu können.« Grundsätzlich sollte die Wahl der Sprache möglichst niemanden ausschließen. Das kann in einem Fall den Gebrauch der Landessprache, in einem anderen den Gebrauch der neuen Lingua franca Englisch bedeuten. Wolfgang Streeck ist überzeugt, dass Studierende in ihrer Landessprache studieren sollten – wobei auch der Besuch von Lehrveranstaltungen in anderen Sprachen nicht schadet. Auf eine gute Mischung komme es an.
Mit der Sprachenfrage in der Lehre befassen sich mittlerweile auch hochschulpolitische Gremien. Eine aktuelle Stellungnahme der Hochschulrektorenkonferenz zur Internationalisierung der Curricula thematisiert das nicht ganz eindeutige Verhältnis zwischen Sprache und Internationalität: Fremdsprachige Lehre allein, so die Autoren, sei kein Garant für die erfolgreiche Vermittlung internationaler und interkultureller Kompetenzen. Die Internationalisierung der Curricula sollte nicht zu einer generellen Abkehr vom Deutschen führen.
Internationalität muss Vielfalt erhalten
Ein weiterer Kritikpunkt des ADAWIS ist, dass die zunehmende Anglisierung Barrieren zwischen der Forschung und ihrer gesellschaftlichen Anwendung errichtet. Dieses Problem könnten zwar Übersetzungen zumindest teilweise lösen. Doch auch hier sehen die Vertreter des Arbeitskreises ein Problem: Wenn Forschung fast ausschließlich auf Englisch stattfindet, steht langfristig in den Landessprachen kein Fundus an wissenschaftlichen Begriffen mehr zur Verfügung. Nur Forschungsaktivitäten in den jeweiligen Sprachen können den Erhalt der nationalen Wissenschaftssprachen sichern. Geht dieser Fundus verloren, können Forschungsergebnisse aus dem Englischen auch nicht mehr in diese Sprachen – und Gesellschaften – übertragen werden.
»Internationalisierung darf nicht heißen, dass wir alles einebnen«, resümiert Wolfgang Streeck. »Vielfalt – oder ›Diversity‹ – heißt ja, dass es tatsächlich auch Unterschiede geben muss.« Auch Streecks persönliche Erfahrung zeigt, dass die Anglisierung der Wissenschaft nicht der einzige Weg zur Internationalisierung ist. Sein Buch »Gekaufte Zeit« wurde in fünfzehn Sprachen übersetzt – ein Zeichen, dass Menschen Wissenschaft durchaus in ihrer Landessprache rezipieren möchten.
Carien Niessen kommt aus den Niederlanden. Für sie ist Englisch seit jeher die wichtigste Sprache in Forschung und Lehre. »In meinem Heimatland würde die Diskussion so nicht geführt werden. Dort ist die Pflege der Sprache auch ein großes Thema, aber es ist selbstverständlich, dass die biomedizinische Wissenschaft vom Englischen beherrscht wird.«
Initiativen zur Pflege nationaler Wissenschaftssprachen gibt es auch in anderen Ländern – nicht zuletzt in den englischsprachigen. Im Gegensatz zum Latein ist Englisch keine rein akademische Lingua franca, sondern selbst eine lebendige Alltags- und Wissenschaftssprache. Nicht nur Linguisten beobachten mit Sorge die Vereinfachung, Verflachung und teilweise auch die Verfälschung der Sprache, die mit ihrer Universalisierung einhergeht. Die Pflege von Mehrsprachigkeit in der Wissenschaft kommt also nicht zuletzt der englischen Sprache zugute.