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Mit Beeinträchtigungen an der Uni arbeiten

Ein Projekt schildert die Erfahrungen von Menschen mit Behinderung an der Uni

Inklusion findet nicht nur in den Strukturen der Hochschule statt, sondern auch in den Köpfen der Menschen. Das Projekt »Den Menschen eine Stimme geben« schildert die Erfahrungen von Menschen mit Behinderung an der Uni Köln.

Von Robert Hahn

Karin B.* sitzt in ihrem Büro irgendwo an der Universität. Die wissenschaftliche Angestellte arbeitet gerne an ihrem Lehrstuhl: Die Arbeit ist interessant und vielfältig, die Kolleginnen und Kollegen sind nett. Eine optimale Arbeitssituation. Doch manchmal ist Karin schneller erschöpft als andere. Alle sechs Wochen hat sie einen Infusionstag, um ihre Medikamente zu erhalten. Sie muss auf einen gesunden Lebensstil und einen geregelten Tagesablauf achten, sonst drängt ihre Krankheit mit Macht zurück an die Oberfläche. Karin lebt mit Multiple Sklerose.

Die Krankheit, die sie seit Jahren begleitet, kommt mit Einschränkungen, sie bedeutet, dass Karin nicht so flexibel reagieren kann, wenn viel Arbeit zu bewältigen ist. Als wissenschaftliche Angestellte in der Uni ist das nicht einfach. Sie muss ihre Arbeit gut planen und aufteilen, damit sie genug Ruhephasen hat. „Ich bin durch die Erkrankung eine stetige Arbeiterin geworden“, sagt sie.

Man sieht Karin B. ihre Erkrankung nicht an. Wie viele Menschen ist sie von einer chronischen Krankheit betroffen, die ihr Leben manchmal erschwert und sie zu einer bestimmten Lebensweise zwingt, häufig ohne dass die Kollegen es wissen.

Karin B. geht in ihrem Arbeitsumfeld offen mit ihrer Erkrankung um, nur ihren Namen will sie nicht über Google finden lassen. Sie nimmt an dem Projekt »Den Menschen eine Stimme geben« teil, in dem Menschen mit Behinderungen oder gesundheitlichen Beeinträchtigungen von ihren Erfahrungen in der Arbeitswelt Universität berichten. Das Projekt hat sich als eine Maßnahme aus dem Aktionsplan Inklusion der Uni Köln entwickelt und möchte betroffenen Studierenden, Lehrenden und Mitarbeitenden ein Forum bieten und zur Sensibilisierung beitragen.


Kündigung in der Probezeit


Aufgrund der Krankheit, die Karin B. seit Jahren begleitet, kann sie nicht so flexibel reagieren, wenn viel Arbeit zu bewältigen ist. Als wissenschaftliche Angestellte an der Uni ist das nicht einfach. Sie muss ihre Arbeit gut planen und aufteilen, damit sie genug Ruhephasen hat. »Ich bin durch die Erkrankung ein stetiger Arbeiter geworden«, sagt die junge Wissenschaftlerin. »Momentan fühle ich mich sehr gut. Ich habe wirksame Medikamente, sodass ich seit einiger Zeit mehr oder weniger schubfrei bin. Auch mein Lehrstuhl hat sich darauf eingestellt. Insofern kann ich mit dieser Erkrankung sehr gut leben.«

Die glücklichen Umstände, unter denen sie jetzt arbeitet, sind nicht selbstverständlich. Mit einer MS-Erkrankung zu leben, bedeutet auch Einschränkungen, die bei einer früheren Anstellung in der Privatwirtschaft zu einer vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch ihren Arbeitgeber führten. „Das war ein Desaster. Ich wurde innerhalb der Probezeit gekündigt“, erinnert sich die Angestellte. Zwei Krankenhausaufenthalte hatten sie entbehrlich gemacht. Karin hat für sich Konsequenzen daraus gezogen und geht nun von Anfang an offen mit ihrer Erkrankung um.

„Ich habe es hier direkt im Vorstellungsgespräch gesagt. Ich erlebe es so, dass das für mich eine sehr gute Strategie ist, weil ich das Gefühl habe, dass Menschen es nicht mögen, dass sie durch so etwas überrascht werden und dann meinen, sie wären „betrogen“ worden“, erklärt sie. „Meine Einstellung ist jetzt: Entweder die Menschen wollen mich mit dieser Erkrankung oder sie wollen mich nicht.“

Ihre Kolleginnen und Kollegen reagieren sehr gut auf ihre Erkrankung, wenn sie es erfahren, findet sie. »Ich habe da noch nie eine negative Reaktion erlebt. Das finde ich toll. Ich bin sehr dankbar für diese Erfahrungen«, sagt Karin B.


Einen Eisberg an die Oberfläche holen


Petra Stemmer vom Kuratorium Deutsche Altershilfe leitet die Arbeitsgruppe »Den Menschen eine Stimme geben« an der Universität in Kooperation mit dem Lehrstuhl für Sozialpolitik und Methoden der qualitativen Sozialforschung. Die Gruppe besteht aus Wissenschaftlerinnen, Wissenschaftlern, Studierenden und Angestellten der Kölner Uni. Stemmer beschäftigt sich in ihrer Forschung seit Jahren mit dem Thema Behinderung, auch in direkten empirischen Befragungen: »Ich habe großen Respekt vor den Leistungen gesundheitlich beeinträchtigter Menschen und möchte generell eine Inklusionsdebatte in der Hochschule voranbringen.«

Innerhalb der freiwilligen Mitarbeit bei der Arbeitsgruppe »Strategie und Struktur« zum Inklusionsplan war es ihre Idee, zu einer Sensibilisierung für das Thema an der Universität beizutragen. »Es geht darum, dass Inklusion in den Köpfen der Menschen stattfindet und nicht nur strukturell, sondern auch tatsächlich gelebt werden muss, dass sie in die Hochschulkultur verinnerlicht ist«, erklärt sie. »Das geschieht über den Austausch der Menschen untereinander und über Verstehen – und ganz stark durch Information und Thematisierung.«

Stemmer vergleicht das Thema mit einem Eisberg, der in das Bewusstsein der Menschen gehoben werden müsse. Auf der Projektwebseite sind deshalb die ersten sechs Erfahrungsberichte von Mitarbeiterinnen, Mitarbeitern und Studierenden veröffentlicht, die von ihrem Leben und Arbeiten mit Beeinträchtigung an der Kölner Uni erzählen. »Die Thematisierung verbessert die Wahrnehmung von Inklusion, weil die Hochschulmitglieder darüber in Austausch miteinander gehen und Unterstützung erfahren können sowie seitens der Hochschule in ihren Themen als wichtig empfunden werden«, sagt die Wissenschaftlerin.


Sich trauen, es zu sagen


Gerade Menschen, die noch nicht mit gesundheitlicher Beeinträchtigung zu tun hatten, werde so die Möglichkeit geboten, den Studien- und Arbeitsalltag von Menschen mit Beeinträchtigung zu teilen und die Anforderungen an, aber auch die besonderen Stärken dieser Menschen zu verstehen. Das Projekt will dazu beitragen, mögliche Berührungsängste und Vorurteile abzubauen.


»Das Thema ist nicht so fern, wie manche vielleicht denken«, sagt Stemmer. »Es kann jeden von uns betreffen.« Umfragen haben ergeben, dass etwa 25 Prozent der befragten Studierenden ihre Beeinträchtigung erst während des Studiums erworben haben.


Wenn sich mehr Menschen trauen, ihre Erkrankung offen zu legen, dann könnte das zu einem Umfeld führen, wo eine Behinderung mehr Normalität wird, findet auch Karin B. „Menschen, die eine Erkrankung nicht offen zeigen können, tun das häufig zu hohen Kosten, weil es dann manchmal schwerer ist, im Sinne der Gesundheit zu handeln. Außerdem leiden viele psychisch darunter, wenn sie sich verstellen müssen. Wenn man ein Stigma verbirgt, kann das zu Gefühlen wie Scham oder Schuld führen.“

Auch der Arbeitgeber habe die Chance, Anpassungen vorzunehmen, wenn er um die Erkrankung weiß, so Karin B. Deshalb geht sie mit ihrem Erfahrungsbericht an die Öffentlichkeit: „Je mehr Leute es sagen, desto mehr Leute trauen sich auch, es zu sagen.“

 

Weitere Informationen:
https://vielfalt.uni-koeln.de/inklusion/den-menschen-eine-stimme-geben


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*Name der Redaktion bekannt.