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Meine Rosettasteintasse

Prof. Klaus von Heusinger, Germanistische Linguistik, über eine Tasse, die für ihn eine besondere Bedeutung hat

Jeder kennt sie, jeder hat sie. Dinge, die unter den vielen Gegenständen, die sich im Laufe der Zeit in der Wohnung oder im Büro angesammelt haben, einen besonderen Stellenwert haben. Wir verbinden sie mit einer Person, einer Begegnung oder einem besonderen Augenblick im Leben, der uns in Erinnerung bleibt. Klaus von Heusinger, Professor für Germanistische Linguistik, über eine Tasse, die für ihn eine besondere Bedeutung hat.
 

Ein Freund hat sie mir geschenkt – den Freund habe ich schon lange nicht mehr, aber die Tasse hat mich treu von Arbeitsplatz zu Arbeitsplatz bis nach Köln begleitet. Dort steht sie zwischen dem Computer und meinen sprachwissenschaftlichen Büchern. Sie erzählt eine faszinierende Geschichte von geheimnisvollen Schriften und deren Entzifferung sowie von den Vorstellungen, die diese Entzifferung so lange verhindert haben.

Auf der Tasse sind Ausschnitte des Rosettasteins abgebildet, der selbst Teil einer ursprünglich größeren Stele war, auf der in drei unterschiedlichen Schriften ein und dasselbe Dekret verkündet worden war: Zuoberst in altägyptischen Hieroglyphen, darunter auf Demotisch, einer auf den Hieroglyphen beruhenden Gebrauchsschrift, und schließlich auf Altgriechisch. Der Stein wurde 1799 auf der ägyptischen Expedition Napoleons gefunden – zu diesem Zeitpunkt hatte noch niemand die altägyptischen Hieroglyphen entziffern können. Er wurde 1822 der zentrale Schlüssel, um diese geheimnisvolle Schrift zu verstehen. Gleichzeitig konnte auch Demotisch durch den Abgleich des bekannten Griechisch mit den entsprechenden Hieroglyphen entschlüsselt werden.

Die Dechiffrierung der Hieroglyphen war eine große kulturelle Leistung, doch gleichzeitig überrascht es, dass das so lange gedauerte hat. Seit hellenistischer Zeit gab es die falsche Annahme, dass Hieroglyphen nicht Buchstaben mit einem Lautwert sind, wie das für die lateinische, griechische oder arabische Schrift gilt, sondern dass eine jede Hieroglyphe für ein ganzes Wort oder Konzept, oder gar für magische Bilder steht. Erst die (späte) Einsicht, dass auch Hieroglyphen einzelne Lautwerte anzeigen, machte den Weg zu deren Entzifferung frei. So erinnert mich diese Tasse daran, dass großartige Entdeckungen erst möglich sind, wenn lang tradierte Annahmen und Meinungen kritisch hinterfragt werden. Ich habe es zwar nie geschafft, eine geheimnisvolle Schrift zu entziffern, doch hat mich die Faszination für Sprachen und deren Struktur nicht verlassen, und so beschäftige ich mich bis heute mit großer Begeisterung für andere ungeklärte sprachliche Wunder.