zum Inhalt springen

Märkte verstehen, Märkte gestalten, Märkte zähmen

Finanzkrisen oder die Macht einiger internetbasierter Firmen sind neue Herausforderungen für das Zusammenspiel von Märkten und Politik. Und sie stellen neue Fragen an die Wirtschaftswissenschaften. Das Exzellenzcluster ECONtribute sucht im Austausch mit der Politik nach neuen Lösungen.

»Was ist ein Dietrich gegen eine Aktie? Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?« fragt sich Macheath, genannt Mackie Messer, der Anti-Held und Verbrecher ohne jede Chance auf Aufstieg. Auch neunzig Jahre nach der Uraufführung von Bertolt Brechts »Dreigroschenoper « hat sich die Schere zwischen Arm und Reich nicht geschlossen, sie ist weiter auseinandergegangen. Systematisch. Zugleich fehlt Bürgerinnen und Bürgern nach wie vor das Verständnis für die abstrakte Wirkmacht von Banken. Mit milliardenschweren Rettungsaktionen etwa nach der globalen Finanzkrise 2007 kann man kaum Wählerinnen und Wähler gewinnen.
 
Wo es Angebot und Nachfrage gibt und wo mit einem Tauschmittel wie Geld gehandelt wird, entstehen Märkte. Dass diese Handlungsräume – vom Finanzmarkt über den Arbeitsmarkt bis zum Supermarkt – mit der Politik zusammenhängen und besser von ihr gestaltet werden können, ist Thema eines neuen wirtschaftswissenschaftlichen Exzellenzclusters »ECONtribute – Märkte & Public Policy« der Universitäten Köln und Bonn.

ECONtribute – Märkte & Public Policy — Von 2019 bis zunächst 2025 werden die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von ECONtribute an den Standorten Köln und Bonn forschen. Neben Professor Dr. Felix Bierbrauer von der Uni Köln ist Professorin Dr. Isabel Schnabel von der Bonner Universität Sprecherin des Clusters. Das Cluster ist organisatorisch an das von beiden Universitäten gegründete Reinhard-Selten-Institut angegliedert.


Als Beispiele nennt der Kölner Sprecher Professor Dr. Felix Bierbrauer eine Reihe an aktuellen Themenkomplexen, denen sich der Cluster widmet: Wie reagiert die Politik auf die Marktmacht von internetbasierten Firmen wie Apple, Facebook und Google? Wie reagiert sie auf die sich verschärfende Ungleichheit von Einkommen und Vermögen?

Die Politik steht vor neuen Verteilungsfragen

Egal, welchen Markt man sich anschaut, die Regierung sitzt stets mit im Boot, indem sie die Regeln setzt und eine marktwirtschaftliche Ordnung herstellt. Felix Bierbrauer, der eine Professur für Public Economics an der Universität zu Köln innehat, verdeutlicht: »Die Regierung kann auch selbst in die Märkte eingreifen. Das sehen wir zum Beispiel am Wohnungsmarkt, wo sie Wohnungsgeld gibt oder den Sozialen Wohnungsbau fördert, damit auch Menschen mit niedrigen Einkommen die Chance erhalten, in attraktiven Vierteln zu wohnen.«

Den rund 70 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern im Cluster geht es auch darum, wie die Politik ihre Möglichkeiten bislang nutzt und künftig nutzen könnte, um zu effizienten und sozial akzeptierten Marktergebnissen beizutragen. »Public Policy« nennt sich dieses Feld. Zu den wichtigsten Forschungsgebieten gehören Grundlagenforschung in den Bereichen Verhaltensökonomie, theoretische Modellierung und politische Ökonomie, Forschung zum Design von Organisationen und Märkten, Forschung zur politischen Gestaltung von Märkten mit den Zielen Verbraucherschutz und Finanzstabilität, sowie nicht zuletzt die Analyse von Verteilungsfragen.

Bierbrauer erläutert, es gäbe grundsätzlich neue Fragen in manchen Bereichen des Marktsystems – etwa, wie man adäquat auf die Krise des Finanzsystems reagieren könne. »In gewisser Weise sind dies zwar klassische Fragen der Wirtschaftswissenschaften«, so Bierbrauer, »aber alte Antworten passen hier vielleicht nicht mehr auf die aktuelle Situation.«

Brückenschlag zur Politikberatung

Als Beispiel für ein »neues Problem« vergleicht Bierbrauer die Finanzkrise mit der Herausforderung des Klimawandels: »Wenn jemand CO2 in die Luft bläst, richtet er einen Schaden an. Damit der Verursacher den Schaden in seinen Entscheidungen stärker berücksichtigt, können wir in den Markt eingreifen und zum Beispiel eine Steuer auf CO2-Emissionen erheben. Das ist konzeptionell ein gut verstandenes Problem und die Lösungsmöglichkeit über eine korrigierende Steuer findet man in allen einschlägigen Lehrbüchern«, so Bierbrauer.

Diese Logik setze allerdings eine Welt voraus, in der man immer versteht und nachvollziehen kann, wer derjenige ist, der mit seinen Aktionen sozialen Schaden anrichtet. Bei der Finanzkrise verhalte es sich anders: »Zu entscheiden, ob ein bestimmtes Geschäft einer Bank ein positiver oder negativer Beitrag zur Stabilität des Finanzsystems ist, ist viel komplizierter. Eine einfache Lösung über korrigierende Steuern ist daher nicht möglich. Und so gibt es systemrelevante Banken, die wir nicht kaputtgehen lassen können – auch wenn man das vielleicht bedauert.« Die Regulierung des sogenannten systemischen Risikos im Finanzsystem ist eine fundamentale Herausforderung, sowohl für die Forschung als auch für die praktische Wirtschaftspolitik.

Mit seinen »neuen Antworten« wird das von Bund und Ländern in der Exzellenzstrategie geförderte Prestigeprojekt ungewöhnliche Wege gehen, denn es wagt ganz explizit den Brückenschlag zur Politikberatung. »Das Exzellenzcluster gibt uns den idealen Rahmen, um zu neuen Einsichten zu gelangen und diese dann an die Politik weiterzugeben«, so Bierbrauer.

Politik — Die Kommunikation mit Politik und Öffentlichkeit ist ein integraler Bestandteil von »ECONtribute – Märkte & Public Policy«. Das Cluster wird ein »ECONtribute Netzwerk» zur Förderung des Austauschs zwischen Wissenschaft und Politik aufbauen – auf Foren, bei Fachvorträgen und in Workshops. Zur Vernetzung beitragen sollen auch ein Newsletter, ein Policy-Blog und eine öffentliche Ringvorlesung.

Geplant ist es, ein ECONtribute-Netzwerk aufzubauen, in das Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger eingeladen werden und brandaktuelle Erkenntnisse aus erster Hand erhalten.

Neue Aufgaben für die Wissenschaft

Passt ein solcher Austausch zwischen Forschung und politischen Institutionen überhaupt in ein Exzellenzcluster, das zuallererst auf Exzellenz in der Grundlagenforschung zielt? Der Titel von »ECONtribute« setzt sich aus »economics« (Wirtschaftswissenschaften) und »to contribute« (etwas beitragen) zusammen. Darin wird offenbar, dass Bierbrauer und seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter – zu denen von Seiten der Kölner Universität Wirtschafts- und Gesundheitsexperten wie Axel Ockenfels, Christiane Woopen, Bettina Rockenbach und Matthias Sutter zählen – die gesellschaftliche Dimension ihrer Arbeit ernst nehmen und sich gerne beteiligen wollen. Auch sehen sie ihre Arbeit als Beitrag zur sogenannten »Third Mission« der Universität.

Third Mission — Die Hochschule engagiert sich neben den zwei Säulen der Forschung und der Lehre als dritte Kernaufgabe auch für die Beziehungen zwischen Wissenschaft und Gesellschaft.

Doch es ist ja nicht so, als ließe sich die Bundesregierung in Deutschland bislang nicht wissenschaftlich beraten. Die Bonner Co-Sprecherin von ECONtribute, Professorin Dr. Isabel Schnabel, ist Mitglied der sogenannten Wirtschaftsweisen, dem Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Und auch der 41-jährige Felix Bierbrauer ist in einen Wissenschaftlichen Beirat aufgenommen worden, mit dem er seit September 2018 Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) zu allen Fragen der Wirtschaftspolitik berät. »Was jedoch fehlt, ist ein systematischer Austausch auf der Grundlage aktueller Spitzenforschung«, sagt Bierbrauer. Diese Lücke fülle das ECONtribute-Netzwerk, das Forscher des Clusters systematisch mit Ökonomen und Entscheidern aus wirtschaftspolitischen Institutionen zusammenbringen will.

Wann ist ein Markt ein Markt?

Ein weiteres wichtiges Thema für die Forscherinnen und Forscher ist, wann ein Austausch zwischen Menschen in Form eines Marktes organisiert sein darf und wann nicht. Menschlichkeit, Fairness, Moral – diese Maßstäbe werfen die Frage auf, wann es eigentlich sozial akzeptiert ist, dass man etwas gegen Geld tauscht. Dies betrifft etwa die Vergabe von Studienplätzen oder von Spenderorganen. »Ob Organe oder Bildungschancen, hier würde der klassische ökonomische Verteilungsmechanismus im Sinne von ›Wer am meisten bietet, kriegt den Zuschlag‹ sofort auf heftigen Widerstand stoßen. Das will die Gesellschaft einfach nicht, es erscheint unfair«, beobachtet Bierbrauer.

Auch der Mindestlohn als Verteilungsmechanismus ist ein Thema von hoher gesellschaftlicher Bedeutung, das sich ECONtribute genauer anschauen wird. Erwerbstätigen Menschen sei nicht nur wichtig, wie viel Geld sie in der Tasche haben, sondern auch, woher das Geld kommt. Bierbrauer meint: »Es gibt eine weitverbreitete Wahrnehmung, dass jemand, der 40 Stunden arbeitet, von seinem Lohn auch leben können soll. Und dass er sein Geld von seinem Arbeitgeber, nicht vom Staat bekommen soll. Hier zeigt sich ein Wunsch nach prozeduraler Fairness, für den der Mindestlohn als Symbol steht.« Dabei gäbe es auch Alternativen zum Mindestlohn, die nicht das Preissystem der Ökonomie störten, zum Beispiel eine negative Einkommenssteuer (»Wer wenig verdient, bekommt Steuern zurück«).

Wieso der Mindestlohn für Viele als die fairste Regelung erscheint, ist etwas, das die Forschung noch nicht verstanden hat, sagt Bierbrauer: »Hier müssen wir als Wissenschaftler vermutlich eher von der politischen Debatte lernen als anders herum.« ECONtribute wird Impulse aufnehmen und Impulse weitergeben – ein dynamisches Forschungsprojekt, das in den nächsten sieben Jahren interessante Ergebnisse verspricht.