Die Ärzte Zeitung online glaubt es zu wissen: Am 6. November 2018 schrieb sie in dem Artikel »Berufspendler: Psychisch stärker belastet, aber weniger krankgeschrieben«, das Pendeln mache zwar nicht krank, nerve aber gewaltig. Die Zeitung stützt sich auf den aktuellen Bericht »Mobilität in der Arbeitswelt« der Techniker Krankenkasse (TK), der sich wiederum auf den jährlichen Gesundheitsreport mit Auswertungen der Krankschreibungen und Arzneimittelverordnungen von 3,6 bis 4,8 Millionen Beschäftigten in den Jahren 2011 bis 2017 bezieht.
Für das Jahr 2017 zählte die TK für Pendler mehr Fehltage, die psychischen Leiden wie Depressionen, Angststörungen und anderen psychischen Erkrankungen zugeordnet wurden, als für Kolleginnen und Kollegen mit kürzeren Anreisen. Dass Pendler aber statistisch einen halben Tag kürzer krankgeschrieben wurden als Kolleginnen und Kollegen mit kurzem Arbeitsweg, erklärt die Kasse mit dem »Healthy-Worker-Effekt«: Längere Anfahrtswege würden eher von Menschen mit besserer Gesundheit akzeptiert. Dafür, dass Pendler psychisch stärker beansprucht wurden, macht die Krankenkasse den Straßenverkehr als einen Hauptstressor von Erwerbstätigen verantwortlich. Dieser Faktor beanspruche Menschen in ähnlicher Weise wie unsere ständige Erreichbarkeit in der Welt der neuen Medien.
Dies mag so eindeutig sein – oder auch nicht. Die Wissenschaft geht von deutlich komplexeren Ursachen aus. Tatsächlich stellen uns Studien dazu, wie positiver und negativer Stress, Gesundheit und Krankheit zusammenhängen, vor große Herausforderungen. Dass Straßenverkehr Hauptstressursache für Pendler sein soll, wird der Komplexität von Stress nicht notwendigerweise gerecht. Inwieweit kann Pendeln zum Beispiel ein Indikator für Arbeitsplatzunsicherheit und »Präsentismus« sein? Möglich wäre, dass längere Anfahrtswege eher von Menschen mit schlechter Jobperspektive in Kauf genommen werden. Das würde bedeuten, dass belastende Arbeitsplatzbedingungen möglicherweise stärker als längere Arbeitswege zu psychischen Erkrankungen beitragen.