Von Jan Voelkel
Pop-ups hier, Daumen hoch da, schnell noch allen Cookies zustimmen, dann wieder ab auf die nächste Seite. Irgendeinen Artikel bis zum Ende gelesen? Nee, keine Zeit. Worum ging es nochmal? Keine Ahnung, muss weiter surfen. Doppelklick, noch ein Tab. Wäre ich Kulturpessimist, würde ich der These etwas abgewinnen können, dass die ganze Reiz- und Informationsflut uns verblöden lässt. Manchmal glaube ich nämlich, das an mir selbst beobachten zu können.
Ich scheitere zum Beispiel an den einfachsten Rechenaufgaben. Oder ich habe das Ergebnis zwar im Kopf ausgerechnet, lasse aber zur Sicherheit den Online-Taschenrechner noch einmal nachprüfen. Zugegeben, das ist kein neues Phänomen. Als ich noch mit einem 56k-Modem durchs Netz gehumpelt bin, war ich auch nicht gerade ein Archimedes. Aber trotzdem, es ist gefühlt immer schlimmer geworden. Merken kann ich mir nämlich auch nichts mehr. Netflix-Serien fasse ich ungefähr so zusammen: »Megaspannend, hatte Ähnlichkeiten mit der anderen Serie. Wie heißt die noch? Mit der Schauspielerin, die auch in Dingsbums mitgespielt hat. Sag mal schnell.«
Seit kurzem weiß ich dank einer Studie, dass an meiner gefühlten Verblödung etwas dran ist, ich mir aber trotzdem keine allzu großen Sorgen machen muss. Eine Untersuchung von Juniorprofessorin Dr. Esther Kang vom Institut für Soziologie und Sozialpsychologie (ISS) der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät kommt zu dem Ergebnis, dass wir uns weniger an Details erinnern, wenn Informationen leicht zugänglich sind. Vielmehr erinnern wir uns daran, wo und wie diese Informationen zu finden sind. Dies ist darauf zurückzuführen, dass Menschen »kognitive Versager« sind – mit einer angeborenen Tendenz, die Menge an Informationen, die wir im Kopf behalten müssen, zu minimieren und die Mühe zu vermeiden, die es kostet, sich an Details zu erinnern.
Was meine Bereitschaft zu geistigen Anstrengungen angeht, bin ich also eine faule Socke. Aber jetzt die gute Nachricht: Das ist gerade bei Menschen mit hoher Arbeitsgedächtniskapazität der Fall. Das Arbeitsgedächtnis bezeichnet die Fähigkeit, sich viele Informationen kurzfristig merken und gedanklich damit weiterarbeiten zu können. (Diesen Begriff habe ich übrigens gegoogelt.) Langfristig bleibt dann vielleicht nicht viel hängen, aber kurzfristig kann man schnell Probleme lösen.
Die Studie kommt zu dem Ergebnis: »Kognitive Unzulänglichkeiten könnten somit möglicherweise vielfach nicht auf mangelnde kognitive Fähigkeiten der Nutzer zurückzuführen sein, sondern auf die Zugänglichkeit von Online-Informationen und die effiziente Nutzung von Aufmerksamkeitsressourcen.« Ich bin also nicht deppert, sondern betreibe kognitives Outsourcing. Ich erfahre immer mehr, merke mir aber nix, sondern lasse die Infos, wo sie sind: im Netz. Dabei nutze ich meine Kapazitäten äußerst geschickt. Das Internet und die leichte Zugänglichkeit zu Informationen erlaubt mir also im Grunde, so wenig zu wissen wie nie zuvor. Ist doch herrlich. Ich bleibe Kulturoptimist.