Zu Hause gehasst, in der Forschung geliebt: Die Fruchtfliege Drosophila ist Liebling und Haustier in vielen Laboren. Die Alternsforscherin Mirka Uhlirova vom Exzellenzcluster CECAD ist eine der Verehrerinnen und erklärt, was den kleinen Modellorganismus so besonders macht.
Die nur zwei bis drei Millimeter kleinen Viecher mit ihren leuchtend roten Augen stürzen sich nicht nur im Herbst auf faulendes Obst und Essensreste. Dabei verspeisen sie nicht das Obst an sich, sondern bevorzugen die Hefen, die die Frucht zersetzen. Jedes Weibchen kann täglich bis zu 40 Eier legen, aus denen binnen zehn Tagen neue Fruchtfliegen werden – ein Grund, warum die Fliegen so schnell zur Plage werden.
Mit anderen Augen betrachtet Professorin Dr. Mirka Uhlirova ihr Haustier – die Fruchtfliege mit dem lateinischen Namen Drosophila melanogaster. Uhlirova ist Alternsforscherin am Exzellenzcluster CECAD und strahlt, wenn sie auf die Fruchtfliege angesprochen wird: »Drosophila ist ein idealer Organismus für die Forschung. Die Tiere haben Flügel, Beine, Komplexaugen und innere Organe. Das Genom ist komplett entschlüsselt, wir kennen die Gene – und jede Änderung des Genoms kann irgendwo beobachtet werden.« Da ¬ rüber hinaus sind die Tiere sehr leicht zu halten. Wer schon einmal die Gelegenheit hatte eine Fliegenzucht zu besuchen, wird den Geruch sofort wieder in der Nase haben. Der Futterbrei besteht zu großen Teilen aus Hefe und erinnert geruchlich stark an eine Brauerei.
Der Durchbruch der Fruchtfliege als Forschungsobjekt begann im Jahr 1910, als sich der amerikanische Zoologe und Genetiker Thomas Hunt Morgan kein geringeres Ziel setzte als die Theorien von Charles Darwin zu widerlegen. Anders als Darwin glaubte er nicht an das Prinzip der natürlichen Selektion und das Durchsetzen des besser angepassten Organismus. Morgan züchtete Drosophila über unzählige Generationen in kompletter Dunkelheit und erwartete, dass sie dadurch ihren Instinkt verlieren von Licht angezogen zu werden. Nachdem diese Experimente scheiterten, setzte er die Fliegen verschiedenen Stressfaktoren wie Hitze oder Kälte aus und hoffte, so Mutationen erzwingen zu können. Seine Experimente scheiterten – brachten ihm im Jahr 1933 letztlich aber doch den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin ein. Morgan hatte während des Experiments auf einmal Drosophila mit weißen Augen entdeckt. Diese Mutation, white (w) genannt, war die erste Veränderung des Erbguts, die mit dem Geschlecht zu tun hatte, wie Morgan in weiteren Experimenten zeigen konnte.
Auch Fruchtfliegen leiden unter Schlaflosigkeit, Jetlag und Alkoholismus
»Es ist fast so, als sei die Fliege gemacht, um den Forschenden zu helfen«, sagte der Genetiker und Direktor des Instituts für Biologie am University College London, Steve Jones. Tatsächlich teilen sich Fruchtfliege und Menschen etwa 60 Prozent ihrer Gene, 77 Prozent der bekannten Gene für menschliche Erkrankungen haben ein Pendant in der Fliege. Vor langer, langer Zeit hat es einmal einen gemeinsamen Vorfahren gegeben. Wie der aussah, was er war, ist unklar – aber die Ähnlichkeit bleibt.
Es gibt Fliegen, die unter Schlaflosigkeit leiden, Alkoholismus kann auftreten und ebenso wie wir brauchen die Tiere Zeit, um sich nach einer Zeitumstellung wieder anzupassen. In ihrem Labor beschäftigt sich Mirka Uhlirova unter anderem mit der menschlichen Augenerkrankung Retinitis pigmentosa. Weltweit sind drei Millionen Menschen betroffen, in Deutschland vermutlich 30.000 bis 40.000. Die Erkrankung tritt meist im Jugendalter ein und beginnt mit zunehmender Nachtblindheit. Nach und nach werden die Photorezeptoren in der Netzhaut zerstört. Allmählich lässt die Sehkraft weiter nach, Tunnelblick und Erblindung sind im weiteren Verlauf die Folge. Bisher sind 45 Gene bekannt, die im Zusammenhang mit der Erkrankung stehen. Werden einzelne dieser Gene in der Fruchtfliege eingesetzt, entwickelt auch die Drosophila eine Augenerkrankung. Hier sucht die Forschung nach Wegen die Erkrankung zu stoppen oder rückgängig machen zu können.
Sogar in den Weltraum hat es die Fruchtfliege geschafft
Inzwischen hat es die Drosophila schon bis auf die Weltraumstation ISS geschafft. Nicht als Plagegeist, sondern als Forschungsobjekt in der Mikrogravitation. Über mehrere Generationen wurde untersucht, wie sich Schwerelosigkeit auf Muskelwachstum, den Alterungsprozess und das Immunsystem auswirken. Ähnlich wie bei Astronauten wurde festgestellt, dass die Körperabwehr unter den Weltraumbedingungen leidet.
Auch in der personalisierten Medizin spielen Fruchtfliegen eine zunehmend wichtige Rolle. Darmkrebs ist weltweit eine der häufigsten Krebsarten. Professor Ross Cagan (Leiter des Institus für personalisierte Krebstherapie, Icahn School of Medicine, Mount Sinai, New York) hat begonnen den genetischen Code der Tumoren seiner Patienten zu entschlüsseln und setzt dann Teile der Gene in Fruchtfliegen ein. Anschließend werden an den Tieren verschiedene Chemotherapien getestet und so ein individuell wirksames Medikament gefunden, welches eine höhere Erfolgswahrscheinlichkeit verspricht. »Das ist das Tolle an der Drosophila«, sagt Mirka Uhlirova, »man kann sie unheimlich schnell genetisch verändern und züchten. Es gibt kaum einen anderen Organismus, für den wir ein solches Repertoire an Werkzeugen haben, um ihn anzupassen.«
Sechs Nobelpreise gehen auf das Konto der Drosophila
Die Vielseitigkeit der Drosophila als Forschungsobjekt wird auch bei den Nobelpreisen sichtbar: Insgesamt sechs Nobelpreise gehen auf ihr Konto. Unter anderem erhielt die deutsche Forscherin Christiane Nüsslein Volhard 1995 den höchsten Forschungspreis. Loslassen kann sie die Forschung offenbar noch nicht: Trotz ihres Alters von 75 Jahren kommt sie noch immer täglich in ihr Büro am Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie in Tübingen.
Obwohl auch Uhlirova die Drosophila als Forschungsobjekt so schätzt, möchte sie zu Hause von ihnen lieber verschont bleiben und bastelt Fallen. Ihr Tipp: Ein Schälchen mit Rotwein und ein Tropfen Spülmittel, um die Oberflächenspannung des Wassers zu reduzieren. Eines kann sie aber nicht lassen: »Ich muss den Tieren einen Blick ins Auge werfen. Wer weiß, vielleicht sehe ich auf einmal ein weißes statt ein rotes.« Und vielleicht werden auch Sie, liebe Leserinnen und Leser, die »Plagegeister« ab sofort mit anderen Augen sehen.