Kölner Archäologen zeigen mit einem Blick in die Altsteinzeit: Die Gegenwart und das Handeln von Menschen kann die Biodiversität eines Ökosystems erhöhen – unter bestimmten Bedingungen.
Die heutige Krise der biologischen Vielfalt bedroht grundlegend die Bewohnbarkeit des Planeten und zählt damit zu den wichtigsten Herausforderungen unserer Zeit. Die Wurzeln dieses Problems liegen weit in der Vergangenheit. Nachdem der moderne Mensch Homo sapiens vor etwa 100.000 Jahren den afrikanischen Kontinent verlassen hatte, folgten ihm die großen Aussterbeereignisse auf seinem Weg rund um den Globus. Insbesondere die sogenannte Megafauna – wie Mammut, Wollnashorn, Riesenbeutler und Riesenhirsch – verschwanden langsam, aber sicher, wo der Mensch auftauchte. Auch die großen Raubtiere wie Höhlenlöwe oder Riesenhyäne starben am Ende der letzten Eiszeit aus.
Inwieweit nur der Mensch oder auch der Klimawandel von Kalt- zu Warmzeiten das Massenaussterben am Ende des Weltzeitalters des Pleistozäns bis vor 10.000 Jahren auslöste, ist Gegenstand wissenschaftlichen Disputs. Der »anthropozäne Biodiversitätsverlust«, die Verringerung der Arten im Zeitalter des Menschen, ist hingegen weitgehend akzeptiert. Die Frage ist: Ist das wirklich immer so? Und wie destruktiv ist der Mensch für die Umwelt?
Der Blick in die Frühzeit
Der Archäologe Dr. Shumon T. Hussain vom Kölner Forschnungshub MESH (Multidisciplinary Environmental Studies in the Humanities) geht genau dieser Frage in seinen Forschungen nach. Das geisteswissenschaftliche Forschungszentrum befasst sich mit den sozialen, kulturellen und ethischen Dimensionen des globalen Umweltwandels und den damit verbundenen ökologischen, klimatischen und gesundheitlichen Krisen.
Anhand von Fallstudien untersucht der Archäologe zusammen mit seinem Tübinger Kollegen Dr. Chris Baumann die Interaktion des Menschen mit verschiedenen anderen Arten. Es stehen sich zwei extreme Meinungen gegenüber: Seit seiner Entstehung vor 300.000 Jahren in Afrika habe der Homo sapiens unausweichlich andere Spezies ausgerottet, zumindest aber in ihrem Bestand bedroht. Dieser »Killerhypothese« steht das Bild des »guten« Naturmenschen gegenüber: Noch in der Altsteinzeit habe er in paradiesischer Harmonie mit seiner Umwelt gelebt.
Die Wirklichkeit ist viel komplexer, so Hussain. »Die Idee, Menschen hätten als Jäger-Sammler im Einklang mit der Natur gelebt, charakterisiert das Grundproblem der menschlichen Interaktion mit Ökosystemen falsch«, erklärt der Wissenschaftler, der sich seit Jahren mit den Auswirkungen steinzeitlicher Interaktion von Menschen und anderen Spezies beschäftigt. »Ebenso irreführend ist, wenn man sich ausschließlich auf die in jüngerer Vergangenheit stattgefundenen Aussterbeereignisse, den sogenannten anthropozänen Biodiversitätsverlust, konzentriert und nachzuweisen versucht, dass Menschen im Rückschluss schon vor mehr als 10.000 Jahren aktiv in ihr Ökosystem vor allem mit negativen Konsequenzen eingegriffen haben.«
Rabe, Maus und Fuchs als Nutznießer Das Verhältnis von Menschen und Ökosystemen war schon immer sehr viel komplizierter und vielschichtiger: Neben negativen verzeichnen die Wissenschaftler auch regelhaft positive Biodiversitätseffekte menschlicher Präsenz in Ökosystemen. »In der Regel kann sogar gesagt werden, dass es durch menschliche Aktivität zwar lokal oftmals zu Biodiversitätsverlusten kommt, an anderer Stelle Biodiversität aber auch unterschiedlich stark gefördert wird, und diese Dynamiken daher in einen größeren Zusammenhang gestellt werden müssen«, so Hussain. Diese Rückkopplungssysteme zwischen Mensch und Umwelt mit wichtigen Auswirkungen auf die biologische Vielfalt sind wahrscheinlich sogar ein wiederkehrendes Merkmal des Spätpleistozäns (der letzte Abschnitt der Eiszeit, die vor knapp 11.000 Jahren endete).
So zeigt eine kürzlich erschienene Studie von Hussain und Baumann zu eiszeitlichen Raben, dass diese Vögel schon vor circa 30.000 Jahren von Menschen als Nachbarn profitiert haben – vor allem von Nahrungsangeboten, die Jäger-Sammler in der Umwelt für diese Tiere geschaffen haben. Weitere Spezies, die vom Menschen profitierten, waren Füchse, Wölfe und Wildschweine, die als Opportunisten am Jagderfolg der Menschen in Form von Aasfressern teilhatten. Aber auch Mäuse, Spatzen oder Ratten profitierten in unterschiedlichen Kontexten von der Anwesenheit des Menschen.
Die Archäologen stützten sich bei ihren Untersuchungen unter anderem auf die Ergebnisse von archäozoologischen und sogenannten stabilen Isotopen-Untersuchungen, die insbesondere im Fall der Raben zu Anwendung kamen. Diese und andere bereits publizierte archäologische Kontextinformationen wurden zusammengeführt um zu zeigen, dass solche Prozesse lokal zu einer Erhöhung der Biodiversität führen können, weil bestimmte Tiere vom menschlichen Einfluss profitieren und andere, die vom Menschen lokal ausgeschlossen werden, wie zum Beispiel größere Raubtiere, auf andere Regionen ausweichen. Insgesamt kann das in der Folge die Heterogenität und Komplexität der betroffenen Ökosysteme erhöhen und wirkt sich somit oft positiv auf die Gesamtbiodiversität in vom Menschen bewohnten Landschaften aus.
Homogenisierung statt Vielfalt
Die Ergebnisse der Forschungen weisen auch auf die Bedeutung der spezifischen Kultur und Wirtschaftsweise von menschlichen Gesellschaften als formendes Element für die Ökosysteme und deren Zusammensetzung hin. Der Mensch sei »Ordner« seiner eigenen ökologischen Nische, die er bewirtschaftet. Vielfältige Nutzungsformen der Umwelt und menschliche Lebensweisen können so ein vielfältiges und stabiles Ökosystem fördern, so der Wissenschaftler: »Wir versuchen letztlich zu argumentieren, dass Biodiversitätsregime nicht vom menschlichen Einwirken getrennt werden können und nicht alle diese Einflüsse immer nur negativ sind«, erklärt Shumon Hussain. So werfen die Untersuchungen zur Altsteinzeit auch ein Licht auf gegenwärtige Probleme: »Daraus folgt auch, dass kulturelle Diversität sich vermutlich insgesamt positiv auf die Biodiversität auswirkt und ein entscheidender Motor der anthropozänen Biodiversitätskrise daher auch die Homogenisierung des menschlichen Lebens in und mit der Natur ist.«
Die Archäologen empfehlen daher, den komplexen Beziehungen zwischen biologischer und kultureller Vielfalt mehr Aufmerksamkeit zu schenken und die Rolle des Menschen als Ordner seiner Öko-Nische genauer zu betrachten und durch die Zeit besser zu verstehen. Hussain: »Die Förderung der biologischen Vielfalt hängt vermutlich auch von der Förderung der kulturellen Vielfalt ab.«