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Kolonialbegeisterung an der Kölner Universität

Nach 1919 setzte sich die Begeisterung für die Kolonien auch an Unis fort.

Kriegsverbrecher als willkommene Redner in den Hörsälen, »Rassenkunde« an menschlichen Schädeln in den Seminarräumen. Auch nach dem formellen Ende der deutschen Kolonialzeit 1919 setzte sich die Begeisterung für die Kolonien fort – auch an Universitäten. Historikerinnen der Universität zu Köln schauen jetzt näher hin.

Das prestigeträchtige Berliner Humboldt- Forum, das ethnologische Sammlungen »aus aller Welt« ausstellen wird, löst Kontroversen aus, noch bevor es überhaupt eröffnet ist. Der Vorschlag des Forums beispielsweise, einen »Raum der Stille« zum Gedenken an die Opfer des Kolonialismus einzurichten, stieß bei etlichen Aktivisten, Wissenschaftlerinnen, Journalisten und anderen skeptischen Beobachterinnen auf Kritik. Ein solcher Raum grenze an Hohn, wenn das Humboldt-Forum nicht gleichzeitig die Umstände der Aneignung seiner Ausstellungsstücke thematisiere. Die Initiative »Humboldt 21« kritisierte: »Die Erkundung der Welt und ihrer Menschen durch europäische ›Forscher‹ war über Jahr hunderte hinweg ein koloniales Projekt und trägt bis heute zur Kontrolle und Ausbeutung des Globalen Südens bei.«

Neben Museen – vor allem Völkerkundemuseen – müssen sich auch Bildungsinstitutionen kritisch fragen, wie sie mit der eigenen Geschichte umgehen. Die Historikerinnen Professorin Dr. Ulrike Lindner und Bebero Lehmann beschäftigen sich mit der Geschichte des Kolonialrevisionismus – besonders an der Kölner Universität und in Kölner Unternehmen. Denn auch in Köln steht die Aufarbeitung dieses Kapitels bisher noch am Anfang. Im Mai 2019 debattierten sie deshalb bei der Podiumsdiskussion »Kein Platz an der Sonne – (Post)koloniale Universitäts- und Stadtgeschichte« über Kölns koloniales Erbe. An der Diskussion beteiligten sich auch die Afrikanistikprofessorin Marianne Bechhaus-Gerst und Dr. Anne-Kathrin Horstmann, die das Thema in ihrer Dissertation »Wissensproduktion und koloniale Herrschaftslegitimation an den Kölner Hochschulen« behandelt hat.

Kolonialrevisionismus – Der Kolonialrevisionismus bezeichnet die Bestrebung, die Herrschaftsbeziehung zwischen Kolonisierten und Kolonisierenden wiederherzustellen. Vor allem während der Weimarer Republik war der Wunsch weit verbreitet, die deutschen Kolonien »zurückzugewinnen«. Neben verschiedenen akademischen, sozioökonomischen und kulturellen Vereinigungen strebten die meisten politischen Parteien zu dieser Zeit eine Rückkehr in die Kolonien an. Die wichtigste kolonialrevisionistische Organisation war die Deutsche Kolonialgesellschaft (DKG).

Wissenschaft sollte den Kolonialismus legitimieren

Ab 1884 kolonialisierte das Deutsche Reich nach und nach Territorien und Menschen in West-, Südwest- und Ostafrika sowie in Nordostchina und im Pazifik. 1919 ging die Kölner Universität aus ihrer Vorläuferin, der Städtischen Handelshochschule, hervor. Im selben Jahr musste Deutschland die Kolonien im Zuge des Versailler Vertrages an die Siegermächte des Ersten Weltkriegs abtreten. Die Kolonialbegeisterung, die schon an der Handelshochschule weit verbreitet gewesen war, setzte sich jedoch trotz des Verlusts der Kolonien an der neu gegründeten Universität fort. Der Leiter der Handelshochschule, der Wirtschaftswissenschaftler Christian Eckert, wurde der erste Rektor der Universität zu Köln. »Eckert legte Wert darauf, dass koloniale Themen an der Universität Köln weiterhin eine große Rolle spielen«, sagt Bebero Lehmann, die kolonialkritische Stadtrundgänge in Köln anbietet.

Wissenschaft war von Anfang an wichtig für den Kolonialismus: »Rassentheorien« legten ein scheinbar sachlich begründetes Fundament für die Unterdrückung und Ausbeutung der Kolonialisierten und dienten dazu, das koloniale Projekt weiter voranzutreiben. »Forscher unterschiedlicher Disziplinen wollten praktisches Wissen darüber generieren, wie man die Kolonien besser beherrschen, besser ausbeuten oder – wie man das damals nannte – besser ›nutzbar‹ machen könne«, erklärt Lehmann.

Ein Beispiel dafür sind die Exkursionen des Geographen Franz Thorbecke, der zwischen 1907 und 1913 im Auftrag des Reichskolonialamtes und der Deutschen Kolonialgesellschaft mehrere Expeditionen nach Kamerun leitete. Der offizielle Auftrag war die geographische Erfassung des Gebiets und seines wirtschaftlichen Potenzials. Halboffizielles Ziel war hingegen, menschliche Schädel und Gebeine aus Kamerun ins Kaiserreich zu bringen. Und tatsächlich kehrte Thorbecke mit sieben menschlichen Schädeln und Gebeinen zurück, die er aus Gräbern in Kamerun entwendet hatte. »Damals war es üblich, daran rassistische Forschung zu betreiben«, sagt Lehmann.

Thorbecke nahm 1916 einen Ruf nach Köln an. Nach 1919 veranstaltete er jedes Semester mehrere kolonialwissenschaftliche Vorlesungen und Kolloquien an der Neuen Kölner Universität. Ann-Kathrin Horstmann beschreibt in ihrer Dissertation, dass der Geograph beispielsweise im Wintersemester 1931/32 eine Vorlesung mit dem Titel »Afrika, Länder, Landschaften, Kolonialräume « hielt.

Museum und Universität in gemeinsamer Mission

Kolonialrassistische Lehre und Forschung fand in Köln auch über die Grenzen der Universität hinaus statt. Das Rautenstrauch Joest-Museum für Völkerkunde siedelte sich nicht ohne Grund 1904 am Ubierring in der Nähe der Handelshochschule an. Museumsleiter hielten zu dieser Zeit auch Lehrveranstaltungen zur Völkerkunde an der Hochschule. »Man wollte den Studenten die neu entstandenen Sammlungen für Forschungszwecke öffnen«, sagt Lehmann. »In der Zeit wurde offenbar in keiner Weise reflektiert, dass die Objekte in einem kolonialen Unrechtskontext an die Universität gekommen waren.«

Anne-Kathrin Horstmann zeichnet nach, wie sich die engen Verbindungen zwischen der Universität und dem Rautenstrauch- Joest-Museum insbesondere nach der nationalsozialistischen Machtergreifung fortsetzten. Überschneidungen gab es etwa in der Person von Martin Heydrich, einem überzeugten Nationalsozialisten, der das Museum von 1940 bis 1945 leitete und zugleich ab 1940 den ersten Lehrstuhl für Völkerkunde an der Universität übernahm. Heydrich hielt unter anderem das interdisziplinäre »Kolonialwissenschaftliche Kolloquium für Hörer aller Fakultäten«. Aufgrund seiner NSDAP-Mitgliedschaft verlor er diese Stellen nach dem Krieg vorerst, konnte jedoch schon 1948 wieder an die Universität und das Museum zurückkehren. Derartige Kontinuitäten hätten dazu geführt, dass die problematische Geschichte der Völkerkunde nicht aufgearbeitet wurde, berichtet Ulrike Linder, Professorin für die Geschichte Europas und des europäischen Kolonialismus. »Die Wissenschaftler konzentrierten sich seither einfach stärker auf die Kulturanthropologie und die englische und angloamerikanische Tradition, und orientierten sich weg von der eigenen Geschichte«, sagt die Historikerin.

Von der Verharmlosung zur Aufarbeitung

Bis in die 1990er Jahre galt die Kolonialzeit in der Forschungslandschaft an deutschen Universitäten als weitgehend uninteressant und unwichtig, meint Lindner. Dies habe unter anderem den Grund, dass die Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg im Zeichen der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus stand. »Deutschland hat nach dem Zweiten Weltkrieg keine Entkolonialisierungskriege wie etwa Frankreich in Algerien oder Neuchina geführt. Deutschland inszenierte sich mit der Erzählung, dass die deutsche Kolonialzeit im Vergleich zu anderen Kolonialmächten ja ›nicht so schlimm‹ gewesen sei«, sagt Lindner. Sie möchte den Blick auf dieses Kapitel jetzt schärfen – ein Anliegen, das derzeit im Kontext der »Black Lives Matter-Bewegung« weit über die Wissenschaft hinaus Aufwind erfährt.

Zu einer Aufarbeitung der deutschen Kolonialzeit tragen vor allem zivilgesellschaftliche Initiativen und postkoloniale Vereine bei. Bebero Lehmann bietet beispielsweise geführte Spaziergänge durch das Afrika- Viertel in Köln an. »Im deutschen Kontext hat die Afrodeutsche Bewegung in den 1980er Jahren einen enorm großen Beitrag zu einem kritischen Geschichtsbewusstsein geleistet. Es gab eine Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte und mit den Familiengeschichten Schwarzer Menschen in Deutschland, die bis in die Kolonialzeit zurückreichen«, sagt Lehmann. Die afrodeutschen Frauen Katharina Oguntoya, May Ayim und Dagmar Schultz gaben das Buch »Farbe bekennen« heraus und forschten in ihren Magisterarbeiten zu dem Thema.

Neben Universitäten haben mittlerweile auch viele Museen angefangen, ihre eigene Geschichte kritisch aufzuarbeiten und sich mit Fragen der Provenienz und Restitution von Exponaten zu beschäftigen. Darunter ist auch das Kölner Rautenstrach-Joest- Museum. Doch um die deutsche Kolonialgeschichte aufzuarbeiten, bleibt der Blick auf ihre Kontinuitäten unabdingbar. Bebero Lehmann resümiert: »Kolonialismus ist keine abgeschlossene, eigenständige historische Epoche. Weder das NS-Regime ist losgelöst von Rassentheorien und Kolonialismus zu betrachten, noch sind es die neokolonialen Machtverhältnisse in der Welt heute.«

Weiterlesen
Marianne Bechhaus-Gerst und Anne-Katrin Horstmann (Hg.) (2013): Köln und der deutsche Kolonialismus. Eine Spurensuche. Köln et al.: Böhlau Verlag

Weitergehen
Kolonialkritische Stadtrundgänge durch das »Afrika-Viertel« in Köln Nippes im Rahmen von Decolonize Cologne, geführt von Bebero Lehmann: www.instagram.com/decolonizecologne/ 

Weiterschauen
Das Global South Studies Center befasst sich auf unterschiedliche Weise mit den Themen Kolonialismus und Postkolonialismus. 2021 findet beispielsweise die Konferenz »African Futures« in Köln statt: gssc.uni-koeln. de/32882.html