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Kleine Zelle, großer Schaden

Dr. Silvia von Karstedt vom Excellenzcluster CECAD forscht zum kleinzelligen Lungenkrebs

Dr. Silvia von Karstedt erforscht in ihrem Labor am Exzellenzcluster CECAD das kleinzellige Lungenkarzinom (Foto: Peter Kohl).

Jedes Jahr erkranken knapp 60.000 Menschen in Deutschland an Lungenkrebs. Die Biologin Dr. Silvia von Karstedt untersucht am Exzellenzcluster für Alternsforschung CECAD die molekularen Hintergründe dieser Erkrankung – und wie man dem Krebs zu Leibe rücken kann. Neben Chemotherapie und Bestrahlung setzt ihre Forschung auf eine andere Waffe: unsere eigenen Abwehrkräfte.

Text von Peter Kohl

Jeden Tag bekommen wir alle Krebs. Mehrfach wahrscheinlich. Zumindest geht die Forschung davon aus, denn Krebs ist zunächst einmal nichts anderes als eine Zelle, deren genetischer Code beschädigt ist die sich zu schnell und unkontrolliert teilt und nicht mehr stirbt. Dennoch ist in Deutschland im Jahr »nur« von rund einer halben Million neuer Krebserkrankungen die Rede. In aller Regel kann unser Immunsystem die außer Kontrolle geratene Zelle enttarnen, erkennen und entsorgen, bevor sich der Krebs dauerhaft im Körper einnistet.

Das Immunsystem bekämpft den Krebs – und macht ihn stärker

Glücklicherweise führt also nicht jede fehlerhafte Zelle zur Entstehung von Krebs – schon längst wäre die Menschheit sonst ausgestorben. Damit das Immunsystem die Zellen bekämpfen kann, bevor sie sich als Krebs festsetzen können, muss es aber in der Lage sein, die defekten Zellen als schädlich zu erkennen. Dr. Silvia von Karstedt erforscht in ihrem Labor am Exzellenzcluster CECAD das kleinzellige Lungenkarzinom (small cell lung cancer, SCLC).

Besonders beschäftigt sie die Frage, wie das Immunsystem dazu gebracht werden kann, auch die Krebszellen zu erkennen, die ihm durch die Lappen gehen. »Durch die Mutation haben Krebszellen andersaussehende Proteine auf ihrer Oberfläche. Das Immunsystem erkennt diese andersartigen Proteine und die Zelle wird in den Selbstmord getrieben – meist durch die sogenannte Apoptose, einen regulierten Zelltod,« sagt von Karstedt.

Doch genau dieser Erkennungsprozess des Immunsystems ist anfällig für Fehler und trägt dazu bei, die Erkrankung erst recht gefährlich zu machen. Zellen, die die Körperabwehr erkennt, werden eliminiert. Doch einige entkommen dem System unerkannt und werden daher nicht eliminiert. Damit findet eine Selektion auf Zellen statt, die sich vor dem Immunsystem verstecken können. Genau hier setzt die Forschung von Silvia von Karstedt an. Dabei arbeitet sie mit dem Modellorganismus Maus. Als Wirbeltier mit adaptivem Immunsystem ähnelt die Maus dem Menschen in vielerlei Hinsicht und besitzt, wie wir, ein Protein von zentraler Bedeutung: p53.

Schon lange ist in der Wissenschaft bekannt, dass dieses Protein die Bildung von Tumoren unterdrückt, daher wird es auch Tumorsupressor genannt. Verliert das Protein durch eine Mutation seine Funktion, ist meist Krebs die Folge. »Es ist wie beim Auto: p53 ist die Bremse. Aber den Fuß von der Bremse zu nehmen reicht nicht, damit sich etwas bewegt – Sie müssen auch Gas geben,« erklärt die Biologin. Bei der Krebsentstehung ist neben der gelösten Bremse auch ein sogenanntes aktivierendes Onkogen nötig, zumindest bei den meisten Tumoren. Aktivierende Onkogene oder Krebsgene sind Teile des Erbguts einer Zelle, die bei übermäßiger Aktivierung Tumorwachstum fördern. »Der kleinzellige Lungenkrebs ist hier allerdings anders und daher so spannend«, sagt von Karstedt. »Gewissermaßen sind hier zwei wichtige Bremsen gelöst, aber es wird kein Gas gegeben. Trotzdem kommt es zu Tumoren.«

Lungenkrebs hat eine schlechte Prognose – besonders das kleinzellige Karzinom

Von 60.000 Lungenkrebserkrankungen in Deutschland pro Jahr entfallen rund 10.000 auf das kleinzellige Lungenkarzinom. Als Hauptrisikofaktor gilt Rauchen, bei Männern sind 90 Prozent der Erkrankungen darauf zurückzuführen, bei Frauen 60 Prozent. Wegen der frühen Neigung, neue Krebsherde auszubilden, hat das kleinzellige Lungenkarzinom eine vergleichsweise schlechte Prognose: Unbehandelt führt die Erkrankung in zwei bis vier Monaten zum Tod, mit Chemotherapie überleben nur wenige Patienten länger als ein Jahr.

Typischerweise beginnt eine Therapie mit den Wirkstoffen Cisplatin und Etoposid, die in den Stoffwechsel der Zelle eingreifen und die Vervielfältigung der DNA stören. »Im ersten halben Jahr funktioniert die Chemotherapie meist sehr gut«, sagt Silvia von Karstedt. »Leider kommt es danach typischerweise zu Rückfällen und der Tumor spricht nicht mehr auf die Medikamente an.« Genau auf diesen Punkt in der Behandlung konzentriert sich die Forschung der Biologin.

Durch das Immunsystem hat eine erste Selektion des Tumors stattgefunden, denn nur Zellen, die sich erfolgreich vor der Körperabwehr versteckt hielten, haben überlebt und konnten den Tumor bilden. Für eine zweite Selektion hat die Chemotherapie gesorgt: Tumorzellen sind gestorben – bis der Tumor resistent wurde. »Wenn wir es schaffen, im nächsten Schritt den Tumor wieder durch das Immunsystem bekämpfbar zu machen, wäre viel gewonnen«, sagt von Karstedt. Viele internationale Krebsforscher konzentrieren sich derzeit auf das menschliche Immunsystem.

Das zeigt auch das Beispiel der Checkpoint-Inhibitoren, die die Immunreaktion verstärken und einen Durchbruch in der Behandlung gewisser Haut- und Lungenkrebsarten bedeuteten. Bei dem kleinzelligen Lungenkarzinom kommen sie allerdings nicht infrage.Für Silvia von Karstedt ist eine besondere Form des Zelltods interessant: die Ferroptose. Hierbei handelt es sich um eine Form der eisenabhängigen Selbstzerstörung der Zelle.

Im Gegensatz zur Apoptose wird hier nicht die DNA in kleine Stücke »zerhackt«, erläutert die Forscherin. Durch eine Kettenreaktion, die sich wie ein Wildfeuer verbreitet, wird die Zellmembran destabilisiert – bis die Zelle platzt. »Ein kleines Protein, GPX4, versucht den Prozess zu verhindern. Das macht das Molekül potentiell interessant für die Krebstherapie, vielleicht auch für andere Krebsarten als das kleinzellige Lungenkarzinom. « Von der Grundlagenforschung bis zu erfolgreicher Anwendung ist es aber noch ein weiter Weg.

Wir leben länger – und bekommen daher häufiger Krebs

Krebsforschung wie die von Silvia von Karstedt ist heute wichtiger denn je, denn die Zahl der Neuerkrankungen steigt laut Krebsstatistik seit Jahren an und wird sich einer aktuellen Studie zufolge bis zum Jahr 2040 verdoppelt haben. Das liegt aber nicht so sehr an schlechteren Lebensbedingungen, Ernährung oder an schädlichen Umwelteinflüssen. Verantwortlich sei vielmehr unsere Langlebigkeit. »Heute stirbt man einfach nicht mehr, bevor man Krebs bekommt «, sagt von Karstedt.

»Dank besserer Diagnostik, Früherkennung, Behandlung und besserem Lebensstil werden Menschen älter. Daher ist die Wahrscheinlichkeit höher, an Krebs zu erkranken.« Weil ältere Menschen mehr Zellteilungen hinter sich haben, haben sich mehr Fehler eingeschlichen und das Risiko steigt, an Krebs zu erkranken. Natürlich kann eine ungesunde Lebensweise – Rauchen, zu viel Alkohol und Koffein – neben dem Alter das Risiko signifikant erhöhen.

Dennoch sollten wir uns auch mit fortschreitendem Alter nicht allzu viele Sorgen um unsere eigenwillige Zellteilung machen. Ein Punkt liegt Silvia von Karstedt am Herzen: »Man sollte nicht vergessen, dass Menschen manchmal Krebs bekommen können, obwohl sie nie etwas Schädliches gemacht haben. Ich finde daher, dass man durchaus auch einmal Fünfe gerade sein lassen kann. Vergessen Sie nicht, das Leben zu genießen!«

EXZELLENZCLUSTER CECAD
Das Exzellenzcluster CECAD (Cellular Stress Responses in Aging-Associated Diseases) ist eines von vier Exzellenzclustern an der Universität zu Köln. Hier untersuchen Forscherinnen und Forschern der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen und der Medizinischen Fakultät die Grundlagen unterschiedlicher alterns-assoziierter Erkrankungen wie Krebs, Alzheimer oder Diabetes. Ziel ist es, die gemeinsame Ursache dieser Krankheiten zu finden und eines Tages bekämpfen zu können.

Mehr Informationen:
https://cecad.uni-koeln.de 

Checkpoint-Inhibitoren – Einige Moleküle auf der Oberfläche von Zellen bewahren das Immunsystem vor einer Überreaktion. Checkpoint- Inhibitoren sind Antikörper, die die Bremse des Immunsystems lösen und damit den Kampf gegen Krebs verstärken. Für ihre Forschung an der neuartigen Therapie bekamen James P. Allison und Tasunko Honjo den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin im Jahr 2018.

Krebsstatistik – 2016 gab es in Deutschland insgesamt rund 492.000 Neuerkrankungen an Krebs. 2017 starben etwa 226.000 Menschen hierzulande an unterschiedlichen Krebsarten. Nicht jeder Krebs kann gleich gut behandelt werden, die Überlebenschancen steigen dank moderner Methoden aber an. Mehr als die Hälfte der erkrankten Personen lebt fünf Jahre nach der Diagnose noch. Die Seite www.krebsinformationsdienst.de des Deutschen Krebsforschungszentrums bietet einen Überblick.

adaptives Immunsystem – Unser Immunsystem funktioniert auf zweierlei Weisen. Das angeborene Immunsystem besteht zum Beispiel aus den weißen Blutkörperchen und den Riesenfresszellen, die unspezifische Eindringlinge unschädlich machen können. Wirbeltiere besitzen auch ein »lernfähiges« Immunsystem, welches sich neuen oder veränderten Krankheitserregern anpassen und sie wiedererkennen kann. Das ermöglicht eine schnellere und genauere Reaktion.