Betriebswirtschaftslehre, Jura, Informatik. Die Massenfächer an den Universitäten erfreuen sich seit Jahrzehnten großer Beliebtheit. Doch auch wer sich für altnordische Sprachen oder die Literatur des australischen Outback interessiert, wird an der Uni Köln glücklich. Denn hier profitieren die "Orchideenfächer" von den neuen Möglichkeiten der digitalen Lehre.
Das Institut für Skandinavistik/Fennistik ist klein. Ein Professor für Skandinavistik, eine Professorin für Fennistik, Lektorinnen für Schwedisch, Norwegisch und Finnisch, einige wissenschaftliche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sowie Lehrbeauftragte für Dänisch und Isländisch. Keine überfüllten Hörsäle, keine anonymen Klausuren. Man kennt sich, wenn man sich auf den Fluren des Philosophikums oder in der Bibliothek begegnet. In diesem Fach kann man auch an einer großen Universität wie Köln in einem familiären Umfeld studieren. Doch gerade dieser Umstand wurde vor fünf Jahren zu einem Problem: Die Zahl der Studierenden, die sich im Master einschrieben, erfüllten nicht die Erwartungen. Ein wirklich abwechslungsreiches Angebot in der Lehre konnte das kleine Institut nicht bieten. Zu wenig Nachfrage machte es noch schwerer, neue Stellen zu schaffen. Also ließ sich auch das Lehrangebot nicht erweitern – ein Teufelskreis.
E-Learning schafft Vielfalt
Viele sogenannte "Orchideenfächer" – Fächer mit vergleichsweise wenigen Studierenden und vermeintlich geringem praktischen Nutzen – stehen vor ähnlichen Problemen. Doch gerade sie bürgen für Vielfalt in Forschung und Lehre an den Hochschulen. Um nicht wegrationalisiert oder größeren Fachbereichen einverleibt zu werden, müssen sie sich etwas einfallen lassen: 2013 schloss sich das Kölner Institut für Skandinavistik/Fennistik mit ähnlichen Instituten aus ganz Europa zusammen und schuf ein kooperatives E-Master- Programm. Damit konnten alle Beteiligten ihr Lehrangebot erweitern und für die Studierenden attraktiver machen.
E-Master-Programm
Das Programm ist eine kooperative E-Learning-Plattform, zu der sich Lehrende und Studierende aus sieben Instituten in Deutschland und Europa zusammengeschlossen haben. Die Universität zu Köln leitet das Programm und stellt die technische Infrastruktur bereit. Studierende der Partneruniversitäten erhalten einen Gastzugang zu KLIPS. Das E-Master-Programm wurde 2013 – 14 in der Qualitätsverbesserungs-Förderlinie »Innovation in der Lehre« unterstützt, 2014 – 16 aus Qualitätsverbesserungsmitteln der Philosophischen Fakultät.
Marja Järventausta ist Professorin für Fennistik am Institut. Sie ist überzeugt, dass gerade die kleinen Fächer bei der Schaffung eines solchen Netzwerks einen Vorteil haben: "Wir sind eine kleine wissenschaftliche Gemeinschaft. Man kennt sich. Die Kooperation baut auf persönlichen Netzwerken auf und lässt sich so leichter organisieren." Ihr Kollege Stephan Michael Schröder, der am Institut die Skandinavistik und die nordische Philologie vertritt, sieht das ähnlich: "Die Institute an anderen Hochschulen haben ja die gleichen Probleme. Da findet man schnell Mitstreiter für so ein Projekt."
Mit einer Startfinanzierung des Prorektorats für Studium und Lehre und der Philosophischen Fakultät schuf das Institut 2013 zwei Stellen, um das Netzwerk an der Uni Köln aufzubauen. Das E-Master-Programm funktioniert wie eine Tauschbörse: Wer sich beteiligen möchte, steuert mindestens eine Lehrveranstaltung bei und kann sich danach aus dem Pool der vorhandenen Vorlesungen und Seminare bedienen. Doch viele formelle Hürden machten den Start des Programms nicht so glatt, wie anfangs erhofft: Es mussten individuelle Kooperationsverträge ausgehandelt werden, damit die Hochschulen in den europäischen Partnerländern die Studienleistungen aus dem E-Master auch anerkennen.Jeder Studiengang hat eine eigene Akkreditierung und eigene Vorgaben, die berücksichtigt werden müssen.
Doch heute können Studierende in den regulären Masterstudiengängen des Instituts an digitalen Lehrveranstaltungen der Universitäten (in Straßburg, Turku, Kopenhagen, Berlin, Frankfurt/Main und Münster) teilnehmen: Seminare zu finnischer Literatur von der Universität Turku oder zur Rechtskultur im isländischen Mittelalter von der Universität Kopenhagen. Dabei genießen sie alle Vorteile, die digitale Lehre zu bieten hat: zeitliche Flexibilität, didaktische und sprachliche Vielfalt sowie eine Wiederholung des Stoffs per Mausklick.
Ein Mehraufwand, der sich auszahlt
2013 war der Enthusiasmus für die neuen digitalen Lehrformate groß. Kommerzielle Plattformen für sogenannte MOOCs (Massive Open Online Courses) wie Coursera und Udacity erlebten einen Höhenflug, amerikanische Eliteuniversitäten wie Harvard und Stanford arbeiteten mit Hochdruck an der Entwicklung eigener digitaler Plattformen. Heute bieten viele Universitäten im angelsächsischen Raum digitale Lehrveranstaltungen von hoher Qualität an – entweder in Kooperation mit kommerziellen Anbietern oder finanziert durch hohe Studiengebühren.
Jan Eden leitet den Bereich "Digitales Studium" am Prorektorat für Lehre und Studium der Uni Köln. Ein digitales Lehrangebot auf dem Niveau der amerikanischen und britischen Eliteuniversitäten ist an deutschen Universitäten kaum zu realisieren, glaubt er. Aber das muss auch nicht sein: In den USA konzentrieren sich die Mittel bei wenigen, renommierten Hochschulen, während die Universitäten in Deutschland dank der staatlichen Grundfinanzierung an vielen Standorten gute Lehre anbieten. "Gerade beim Thema digitales Studium sollte Deutschland darauf achten, dass die Qualität der gesamten Bildungslandschaft erhalten bleibt – auch wenn die Entwicklung dadurch etwas länger dauert", sagt Eden.
Projekte wie das E-Master-Programm Skandinavistik/Fennistik, die engagierte Lehrende mit geringen Mitteln und viel Herzblut betreiben, unterstützt das Prorektorat nach Möglichkeit – mit finanziellen Mitteln, aber auch organisatorisch. Denn mit der reinen Übertragung eines Vortrags aus dem Präsenzstudium in ein digitales Format ist es nicht getan. Die Konzipierung digitaler Lehre ist aufwendig und erfordert besondere didaktische Kompetenzen.
Auf Landesebene arbeitet Eden im Rahmen der Hochschulkooperation Digitale Hochschule NRW mit an der Klärung grundlegender Rechtsfragen: Wie kann digitale Lehre auf das an klassischer Präsenzlehre orientierte Lehrdeputat angerechnet werden? Wie lassen sich digitale Lehrmaterialien als "Open Educational Resources" gemeinsam nutzen und weiterentwickeln? Und wie können die Universitäten im "E-Assessment" den Lernerfolg bei digitalen Formaten überprüfen? Diese Fragen sind – nicht nur an der Uni Köln – noch weitgehend ungeklärt.
Digitale Hochschule NRW
Seit 2016 arbeiten Hochschulen in NRW an einer gemeinsamen Strategie für digitale Lehre und Forschung. Die vom Ministerium für Innovation, Wissenschaft und Forschung unterstützte Plattform entwickelt die notwendigen rechtlichen Rahmenbedingungen und unterstützt ein hochschulübergreifendes Vorgehen beim Forschungsdatenmanagement.
Um interessierten Hochschullehrerinnen und -lehrern den Einstieg in die digitale Lehre zu erleichtern, hat die Uni Köln den Fachausschuss "Digitale Lehre" eingerichtet. Er trägt Erfahrungswerte zusammen und berät das Rektorat bei Förderanträgen und Lehrkonzepten. So müssen Fächer, die in die digitale Lehre einsteigen wollen, das Rad nicht jedes Mal neu erfinden. "Wir möchten gerne, dass erfolgreiche Beispiele wie das E-Master-Programm Skandinavistik/Fennistik Schule machen", sagt Eden.
Den Klimawandel neu verstehen
Das Erfolgsmodell hat sich bereits herumgesprochen. Professorin Dr. Beate Neumeier, Expertin für die Literatur Indigener Autorinnen und Autoren Australiens am Englischen Seminar I, und Professorin Dr. Dany Adone, die am Seminar die Linguistik vertritt und zu den Indigenen Sprachen Australiens forscht, gründeten 2017 das Centre for Australian Studies an der Uni Köln. Auch der Lehrstuhl von Professor Dr. Boris Braun vom Geographischen Institut ist beteiligt. Die Australienstudien sind zwar kein klassisches Orchideenfach, aber ein regionaler Schwerpunkt innerhalb mehrerer Fächer wie Sprachwissenschaft, Literatur- und Kulturwissenschaft, Anthropologie sowie der Geographie, Biologie und Geschichte.
"Keine Universität in Deutschland kann interdisziplinäre Australienstudien auf Dauer alleine anbieten", sagt Beate Neumeier. "Das können wir nur durch Zusammenarbeit mit nationalen und internationalen Kooperationspartnern aus unterschiedlichen Fachbereichen." Das war eine starke Motivation für die Kölnerinnen, eine Netzwerkinitiative zur Entwicklung eines Onlineprogramms zu starten. Seither hat das Team mit Partneruniversitäten ein eigenes Repertoire an digitalen Lehrveranstaltungen entwickelt: das Netzwerk "Australien Studies Online".
Dabei konnten Neumeier und Adone auf viele Vorarbeiten des E-Master-Programms Skandinavistik/ Fennistik zurückgreifen, beispielsweise die Verträge mit den Partnerhochschulen. Kooperationspartner sind bislang die Universitäten in Bonn, Düsseldorf, Heidelberg, Stuttgart und Trier, wo inzwischen auch die in Köln entwickelte Online-Vorlesung "Introduction to Australian Studies: Transdisciplinary Perspectives" angeboten wird. Im Sommersemester 2018 startete zudem das erste Online-Seminar zum Thema "Introduction to the Languages of Australia". Auch hier beruht Vieles auf dem Engagement der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an den beiden Lehrstühlen: Ein Doktorand und eine Postdoktorandin koordinieren das Netzwerk und steuern eigene Lehrveranstaltungen bei. Für die Australienstudien war es wichtig, das Lehrangebot durch digitale Formate nicht nur zu verbreitern, sondern einen echten Mehrwert zu schaffen.
Studierende für die Australienstudien zu begeistern, die in ihrem Studium bisher noch keine oder nur wenig Berührung damit hatten – das hoffen Dany Adone und Beate Neumeier zu erreichen. Den Initiatorinnen ist dabei besonders wichtig, die Inter- und Transdiziplinarität der Australienstudien sichtbar zu machen. Wie gut das in digitalen Formaten gelingen kann, zeigt das Beispiel des Themas Klimawandel. "Viele Bezüge auf Fauna und Flora in australischen Romanen setzen Kenntnisse der Biologie voraus – etwa über bedrohte oder invasive Arten. Von Studierenden haben wir die Rückmeldung bekommen, dass der Beitrag einer Biologin in der Online-Vorlesung ihr Verständnis bestimmter Romane entscheidend erweitert hat", sagt Neumeier. Durch Hinweise in den digitalen Diskussionen und Foren auf solche Verbindungen zwischen Literatur und Biologie können die Studierenden in ihren eigenen Fächern neue Inhalte erschließen. Ob eine reine Präsenzveranstaltung das in diesem Ausmaß ermöglicht hätte, ist fraglich.
Finanzierung nicht gesichert
Um dauerhaft ein komplementäres Angebot zum Präsenzstudium schaffen zu können, wünschen sich die Enthusiasten am Institut für Skandinavistik/Fennistik und am Centre for Australian Studies eine gesicherte Finanzierung. Stephan Michael Schröder und Marja Järventausta freuen sich zwar, dass die Zahl der Masterstudierenden in der Skandinavistik und Fennistik gestiegen ist.
Trotzdem blicken sie in eine ungewisse Zukunft, denn die Weiterfinanzierung ab dem Wintersemester 2018/19 ist noch nicht gesichert. Die an den "Australian Studies Online" beteiligten Lehrstühle finanzieren das Projekt bisher aus eigenen Mitteln. Die Erstellung der einführenden Online- Vorlesung wurde zusätzlich von der Deutschen Gesellschaft für Australienstudien gefördert. Über eine weitere finanzielle Ausstattung verfügen sie derzeit jedoch nicht. In Zukunft könnten Fellowships für digitale Lehre des Stifterverbands für die Deutsche Wissenschaft den Fortbestand derartiger Projekte sichern.
Für die "Australian Studies Online" wurde bereits ein entsprechender Antrat gestellt – unterstützt vom Prorektorat für Lehre und Studium. Unabhängig von den Möglichkeiten der Drittmittelfinanzierung möchte Jan Eden jedoch eines klarstellen: "Was die vielen engagierten Lehrkräfte für innovative und gute Lehre leisten, darf nicht dauerhaft ihr Privatvergnügen bleiben. Es wird von der Universität begrüßt und gefördert."