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Kiosk, Trinkhalle, Späti, Büdchen

Dr. Erwin Orywal, Professor für Völkerkunde hat sich Gedanken über das „Büdchen“ gemacht. 

Vor einigen Jahren verließ ich als Vertreter einer Professur gegen 20 Uhr mein Büro in der Universität Trier. Jetzt noch ein Feierabend Bier kaufen, dachte ich mir, auch wenn es kein Kölsch geben wird. Lange Öffnungszeiten gab es noch nicht, aber das sollte kein Problem sein. Mitten auf dem Marktplatz von Trier traf mich dann als Kölner der Kulturschock! Kein Büdchen weit und breit. Das kann doch nicht sein bei ca. 38.000 Kiosken in Deutschland?

Schaut man sich aber die Verteilung der Kioske an, dann finden sie sich vorwiegend im Ruhrgebiet, im Kölner und Berliner Raum sowie in der  Hamburger Gegend. Allein in Köln soll es 800-1000 Büdchen geben. Mittlerweile sind sie fester Bestandteil der kölnischen Alltagskultur geworden, oder „Kult“, wie es neuerdings heißt.

Lokalzeitungen berichten über Schließungen von Büdchen, Originale, die seit 50 Jahren oder länger hinter der Ladentheke stehen oder über Probleme mit dem Ordnungsamt. Man kauft dort nicht nur ein, sondern erfährt auch die letzten Neuigkeiten aus dem Veedel. Einige Kioskbesitzer sind sozusagen die lokale Zeitung der Nachbarschaft. Aber vielmehr noch. Sie sind Vertrauensperson, der man die Wohnungsschlüssel anvertraut, Päckchen oder Einschreiben, oder Neuigkeiten aus dem Privatleben. Man trinkt dort einen Kaffee oder Kölsch, trifft Nachbarn aus dem Veedel, und der „Kölsche Klaaf“ nimmt seinen Lauf.

Das Büdchen mutierte vom Kleinladen zum sozialen Raum. Einige Büdchen sind mittlerweile zur Partyzone geworden. Man feiert drinnen mit anderen Gästen oder trifft sich dort zum „Vorglühen.. Die Flasche Bier in der Hand beim Ausgehen am Wochenende, auch in der KVB, ist mittlerweile ein festes Ritual geworden. An den kölschen Feiertagen, wie 11. Im 11., Karneval oder CSD, fahren einige Büdchen 24 Stunden Schichten. Das müssen sie aber auch, denn die großen Supermarktketten mit ihren nun langen Öffnungszeiten sind eine mächtige Konkurrenz geworden. 

Trinkhallen oder Kioske gibt es mittlerweile seit über 150 Jahren. Der Begriff „Kiosk“ ist persisch-türkischen Ursprungs und wurde im 18. Jh. aus dem Französischen in das Deutsche übernommen. Ursprünglich war ein Kiosk im orientalischen Raum ein Pavillon oder Gartenhäuschen, der dann als Verkaufspavillon in Pariser Parks und später auf den Boulevards Einzug hielt. Mitte des 19. Jh. nutzten in Deutschland Mineralwasseranbieter die Idee des französischen Kleinladens, um ihr Produkt in sogenannten Trinkhallen an die Arbeiterschaft zu verkaufen, die gerne ihren Durst mit Bier löschten, was auch auf die mangelnde Trinkwasserqualität zurückzuführen war.

1859 entwarf Martin Gropius eine Gebäudeform, die als Vorbild für Trinkhallen in Paris, Frankfurt, Hamburg und dem Ruhrgebiet diente. Aus der Trinkhalle entwickelte sich dann ein Kleinladen mit Zeitungen, Zeitschriften, Alkoholika, Tabakwaren und Süßigkeiten, aber auch Dingen des täglichen Bedarfs, die man vergessen hatte im Supermarkt einzukaufen. Die Wünsche der Kunden gehen heutzutage aber noch weiter. Man möchte WLAN haben, denn das gehört in der digitalen Welt zum täglichen Bedarf. Mit dem Smartphone im Büdchen surfen ist keine Utopie mehr. Ein weiterer Wusch sind zum Beispiel Heizstrahler vor der Tür, denn leider darf man heute nicht mehr im Büdchen rauchen. Ein paar Sitzgelegenheiten wären auch nicht schlecht. Blumenkübel, Treppenstufen oder ähnliche Sitzmöglichkeiten im öffentlichen Raum werden gerne genutzt, um rauchend und trinkend in den sozialen Netzwerken zu surfen. Sehen wir hier vielleicht auch schon am Büdchen den Wandel in den Kommunikationsstrukturen der modernen Zeiten? Statt Klaaf mit dem realen Nachbarn nun nur noch den Chat mit dem virtuellen Gegenüber?

Der Spätverkauf, heute in Berlin als „Späti“ bekannt, ist offensichtlich eine Übernahme aus den DDR Zeiten. Dort gab es Spätverkaufsstellen für die Nachtschichtarbeiter, die dann nach der Wende allmählich auch in Berlin-West Einzug hielten. Allerdings unterliegen die ca. 900 Spätis insbesondere am Sonntag in Berlin restriktiveren Öffnungszeiten. Vielfach gab es Anzeigen und Probleme mit dem Berliner Ordnungsamt. Im Ruhrgebiet hingegen feiert man seit dem 20.8.2016 die „Bude“ oder das „Büdchen“ mit einem Tag der Trinkhallen. Initiiert wurde der 1. Tag der Trinkhallen vom 1. Kioskclub 06 in Dortmund und der Ruhr Tourismus GmbH mit Lesungen, Kabarett, Livemusik, Theater oder anderen doch eher Büdchen untypischen Veranstaltungen. In Frankfurt nennt man die Trinkhallen „Wasserhäuschen“. Ca. 300 solcher Wasserhäuschen soll es im Frankfurter Stadtgebiet geben, hervorgegangen aus den 1908 gegründeten Verkaufsstellen des Gründers Adam Jöst, die vormaligen „Jöst-Hüttchen“ oder „Jöst-Häuschen“. Das älteste noch im Betrieb befindliche Wasserhäuschen in Frankfurt wurde vor wenigen Jahren 100 Jahre alt. Auch ein Verein, die „Linie 11“, bemüht sich in Frankfurt um den Erhalt und die Belebung der Trinkhallenkultur.  

Köln kann mit seinen ca. 1000 Büdchen als Hauptstadt der Kioske bezeichnet werden. Zusammen mit dem Ruhrgebiet und mittlerweile auch Berlin ist es das Zentrum dessen, was man heute „Büdchen-Kultur“ nennt. Die Büdchen sind Forschungsobjekte geworden, Bestandteil von Stadtführungen, Publikationen oder auch Kalendern. Auch wenn ihre Zahl aufgrund der Konkurrenz der Supermärkte in einigen Städten abgenommen hat, haben sie weiterhin einen Standortvorteil: Sie sind ein Ort des sozialen Kontakts und der interkulturellen Begegnung, da viele Büdchen Betreiber einen Migrationshintergrund haben.