Gunter Pleuger hat die Bundesrepublik mehr als drei Jahrzehnte als Top-Diplomat vertreten. Der Alumnus der Rechtswissenschaftlichen Fakultät berichtet über unvergessliche Begegnungen, die abseits des großen Parketts stattfanden, und über die schwierige Kleinarbeit,
die über Erfolg und Misserfolg in der internationalen Politik entscheiden kann.
Das Gespräch führte Eva Schissler
Herr Dr. Pleuger, wie kam es, dass Sie nach ihrem Studium und der Promotion in Köln in den Auswärtigen Dienst eingetreten sind?
Die Entscheidung, mich beim Auswärtigen Amt zu bewerben, ist während meiner Zeit an der École nationale d’administration in Paris gefallen, wo ich meine Referendarzeit verbracht habe. Ich bekam dort gleich am Anfang ein sehr schwieriges Referat zugeteilt: über die Probleme des Bankensystems in Frankreich. Davon hatte ich überhaupt keine Ahnung und da habe ich mir gedacht: Geh noch mal zur deutschen Botschaft und mach einen Termin beim Wirtschaftsgesandten. Der hat mich dann über das Thema aufgeklärt – und zwar so toll, dass ich für mein Referat am Ende ein »sehr gut« bekommen habe.
Da dachte ich mir: Wenn der Auswärtige Dienst so nette und kompetente Menschen hat, dann ist das bestimmt ein interessanter Beruf, den man vielleicht ergreifen sollte. Später habe ich die Aufnahmeprüfungen, die über eine Woche gehen, dann auch bestanden.
Was braucht man als Studentin oder Absolvent, um Diplomat zu werden?
Bei mir hat sicherlich geholfen, dass ich ein Auslandsstudium hatte und ziemlich gut Französisch und Englisch sprach. Außerdem braucht man außenpolitisches Interesse und Verhandlungsgeschick. Anders als bei normalen Verhandlungen gibt es in der Diplomatie niemals Sieger und Besiegte. Wenn ich mit einem Kollegen aus einem anderen Land verhandle, dann geht er natürlich nicht nach Hause und erzählt seinem Minister: »Ich habe mit dem Pleuger verhandelt. Er hat gewonnen und ich habe verloren.« Wenn eine solche Situation eintritt, dann werden die Verhandlungen abgebrochen. Es gibt in der Diplomatie nur die Möglichkeit, dass beide Seiten durch Geben und Nehmen zu einem Kompromiss beitragen, der für beide Seiten einen Erfolg bedeutet.
Andererseits muss man natürlich auch Durchsetzungsvermögen haben, insbesondere wenn es um multilaterale Diplomatie geht. In einer internationalen Organisation wie der UNO müssen Sie Mehrheiten zusammenbringen. Das erfordert die Fähigkeit, andere zu überzeugen.
Das bringen wohl die wenigsten direkt nach dem Studium mit, oder?
Natürlich entwickeln sich diese Fähigkeiten mit zunehmender Berufserfahrung über die Jahre, wie in jedem Beruf. Oder sollten es zumindest. Nach meiner Pensionierung hatte ich die Möglichkeit, meine Erfahrungen im Rahmen eines Lehrauftrags an der Universität Potsdam an Studierende weiterzugegeben. Ich wollte vermitteln, wie multinationale diplomatische Verhandlungen funktionieren, aber auch, welche schmutzigen Tricks es gibt und wie man ihnen begegnen kann. Das hat uns allen großen Spaß gemacht und am Ende haben die Studierenden eine UN-Generalversammlung nachgespielt, bei der sie verschiedene Strategien ausprobieren konnten.
Zur Zeit der deutschen Wiedervereinigung waren Sie an der Botschaft in Washington. Eine spannende Zeit?
Ja, ich war damals politischer Gesandter, also Leiter der politischen Abteilung. In Europa hatten damals viele Länder Angst vor neuen Spannungen durch ein geeintes Deutschland. Doch die amerikanische Regierung unter George Bush Sr. hat uns hundertprozentig unterstützt. Die Botschaft war jedoch mit zwei Problemen konfrontiert. Erstens waren die jüdischen Organisationen in den USA skeptisch und stellten sich die Frage: Haben die Deutschen nach dem Holocaust die Wiedervereinigung schon verdient? Das war natürlich nachvollziehbar. Der damalige Botschafter Jürgen Ruhfus hat sich da große Verdienste erworben, denn er hat praktisch alle jüdischen Organisationen besucht und viel Überzeugungsarbeit geleistet.
Aber auch die Polen sind eine große und einflussreiche Gruppe in den Vereinigten Staaten, und sie hatten Angst: Was wird jetzt mit der polnischen Westgrenze? 1990 hielt die Polish American Association aus Chicago in Washington ihre Jahresversammlung ab und ich wurde eingeladen, um eine Rede zu halten. Als ich da hinkam, waren etwa tausend polnische Delegierte im Saal, und die Stimmung war wild. Es wurde vorgetragen, was die Deutschen im Zweiten Weltkrieg alles angerichtet hatten. Dann habe ich meinen Vortrag gehalten und erklärt, dass wir selbstverständlich die polnische Westgrenze nicht bestreiten werden, dass das niemand in Europa will. Bundeskanzler Helmut Kohl hatte uns zwar ausdrücklich verboten, dazu etwas zu sagen. Aber so wie die Stimmung dort war, musste ich irgendwie Stellung beziehen.
In dem Moment steht in der Mitte des Saals ein alter Mann auf, winkt mit der Hand und sagt: »Seid mal eben ruhig. Jetzt will ich euch mal was erzählen.« Dann nahm er sein Gebiss aus dem Mund und sagte: »Mir wurden im KZ alle Zähne ausgeschlagen. Ich bin deshalb kein Freund der Deutschen und schon gar kein Freund der Nazis. Aber der da oben ist ein Vertreter des demokratischen Deutschlands. Mit denen sollten wir befreundet sein.« Da schlug die Stimmung im Saal plötzlich um und endete in einer friedlichen und freundlichen Szene. Als die Veranstaltung zu Ende war, habe ich natürlich versucht, den Mann zu treffen. In dem Gewimmel habe ich ihn nicht gefunden, aber vergessen habe ich ihn nie.
Dann kamen Sie nach Deutschland zurück und waren in unterschiedlichen Funktionen im Auswärtigen Amt tätig, am Ende als Staatssekretär und Stellvertreter von Außenminister Joschka Fischer. Was waren Ihre prägendsten Erlebnisse in dieser Zeit?
Ein großer Erfolg war natürlich, dass ich als politischer Direktor im Auswärtigen Amt 1999 für die Beendigung des Kosovokrieges mitverantwortlich war. Da musste eine Resolution für den Weltsicherheitsrat vorbereitet werden, die den Krieg beendete und Maßnahmen ergriff, um den Frieden zu sichern. Das waren unendlich schwierige Verhandlungen. China war bei den Verhandlungen aber nicht dabei, und zu der Zeit hatten die USA gerade in Belgrad die neue chinesische Botschaft bombardiert. Wir wussten noch nicht, wie sie darauf reagieren würden. Also wurde ich von Bundeskanzler Gerhard Schröder nach Peking geschickt um sicherzustellen, dass die Chinesen der Lösung, die wir erarbeitet hatten, auch zustimmen.
Ich kam morgens um 8 Uhr an und um 10 gingen die Verhandlungen los – mit einem Kollegen, den ich zum Glück schon kannte und mit dem ich sehr gut konnte. Nachmittags um 16 Uhr waren wir fertig. Ich fragte den Kollegen: »Was kann ich denn jetzt mit nach Hause nehmen?« Und da kam die Antwort: »Gunter, wenn wir Chinesen nach Europa blicken, dann gucken wir zuerst auf Deutschland. Weißt du auch, warum? Weil wir euch vertrauen.«
Ich dachte, wenn das so ist, dann haben sie mir ja hoffentlich geglaubt, was ich ihnen da sechs Stunden lang erzählt habe. So war es dann auch: Die Chinesen legten kein Veto ein und enthielten sich der Stimme, sodass die Resolution zur Beendigung des Kosovokrieges im Sicherheitsrat angenommen wurde.
Danach waren sie von 2002 bis 2006 Ständiger Vertreter Deutschlands bei der UNO. Woran erinnern Sie sich besonders?
Wir haben im Februar 2003, als Deutschland den Vorsitz im Weltsicherheitsrat hatte, eine Resolution verhindern können, die den völkerrechtswidrigen Krieg gegen den Irak legitimiert hätte. Das war eine schwierige Operation, weil die Amerikaner alles versuchten, um ihre Resolution durchzusetzen. Sie sind vor nichts zurückgewichen, um ihre vermeintlichen politischen Gegner einzuschüchtern. Mich wollten sie auch durch Beschwerden in Berlin abschießen, aber Bundeskanzler Schröder und Außenminister Fischer haben mich sehr unterstützt.
Dann hielt US-Außenminister Colin Powell seine berühmte Rede, in der er vermeintliche Beweise für den Besitz von Massenvernichtungswaffen des Regimes in Bagdad vortrug. Aber wir wussten damals alle, dass das falsch war. Ich hatte sehr gute Beziehungen zu den Inspekteuren, die die Beschränkungen der irakischen Regierung überwachten. Das war eine schwierige Situation, weil Colin Powell ein unglaublich sympathischer Mensch ist, den wir alle mochten. Wir konnten uns eigentlich nicht vorstellen, dass er im Sicherheitsrat öffentlich lügt. Zwei Jahre später hat er dann ja tatsächlich eingestanden, dass er wusste, dass das alles nicht stimmte.
Den Krieg, dessen Auswirkungen wir bis heute spüren, hat das leider trotzdem nicht verhindern können.
Nein, aber Gott sei Dank haben wir uns da so verhalten, wie es völkerrechtlich geboten war. Als Powell seine »Beweise« vortrug, waren schon wochenlange Verhandlungen vorausgegangen. Der Sicherheitsrat hat 15 Mitglieder und für eine erfolgreiche Mehrheitsentscheidung braucht man neun Stimmen. Die USA hatten niemals mehr als vier Stimmen sicher. Wir, die Gegnerschaft, hatten immer elf Stimmen. Die Amerikaner haben ihren Resolutionsentwurf am Ende auch gar nicht mehr zur Abstimmung gestellt, denn sie wussten, dass sie nicht gewinnen können. Es hat sich also gelohnt, standhaft zu bleiben und auf der Einhaltung des Völkerrechts zu bestehen. rund dafür lag auch im Umgang der Be-hörden mit dem Fall, denn nach der Tat hatte die Polizei Frauen zunächst geraten,