Im Urlaub freuen sich viele Menschen auf Erholung mit Sommer, Sonne und Strand. Es gibt aber auch immer häufiger den Wunsch, im Urlaub aktiv hilfreich und gut zu sein. Über das mitunter zweifelhafte Geschäft mit dem Trend des Voluntourismus sprechen wir mit Benjamin Haas vom Lehrstuhl für Sozialpolitik und Methoden der qualitativen Sozialforschung.
Herr Haas, wie kann ich im Urlaub Gutes tun?
Eine der beliebtesten Möglichkeiten ist, für den Urlaub nicht nur ein Hotel oder eine Unterkunft zu buchen, sondern sich auch noch ein bis zwei Wochen, manchmal auch ein bis zwei Monate, in Sozialprojekten im Ausland zu engagieren. Ausland heißt meistens Lateinamerika, Asien oder Afrika, also in sogenannten Entwicklungsländern. Sehr beliebt ist dabei bei jungen Menschen, sich mit Kindern oder Jugendlichen zu beschäftigen – entweder in Kinderheimen oder anderen Projekten mit Jugendlichen.
Und im Naturschutz?
Der zweite große Bereich sind Naturschutzprojekte, Artenschutz, Vielfaltschutz oder Klimawandel. Recyclingprojekte sind auch sehr beliebt, zum Beispiel in Costa Rica dabei zu helfen, den Regenwald von Müll zu befreien oder Schildkröten am Strand zu schützen. Es gibt in Deutschland zahlreiche Anbieter, die einen an diese Projekte vermitteln. Es gibt aber auch Individualreisende, die den Rucksack packen und vor Ort schauen, wo sie sich informell engagieren können. Viele Projekte machen in Hostels oder Hotels Werbung dafür, bei ihnen mitzumachen. Dies kann manchmal gegen freie Kost und Logis geschehen, häufig muss der oder die Freiwillige dafür jedoch auch bezahlen.
Ist das neu?
Sich im Ausland zu engagieren im Rahmen von lang angelegten Freiwilligeneinsätzen, das hat in Deutschland eine lange Tradition. Seit ungefähr zehn Jahren geht der Trend hin zu immer kürzeren Aufenthalten. Diese werden im Unterschied zu Freiwilligendiensten nicht mehr nur von gemeinnützigen, sondern auch von profitorientierten Unternehmen organisiert. Der sogenannte Voluntourismus, also die Verbindung von Volunteering und Tourismus ist mittlerweile innerhalb des Tourismus der schnellst wachsende Untersektor. Der Reisekonzern TUI hat zum Beispiel eine eigene Voluntourismusmarke eingeführt, und auch viele andere Reiseanbieter nehmen Angebote in diesem Bereich in ihr Programm auf. Daneben gibt es zahlreiche Anbieter, die sich ausschließlich auf Voluntourismus-Reisen spezialisiert haben. Entstanden ist der Trend aus dem Ökotourismus, also dem nachhaltigen, sozialverantwortlichen Reisen.
Früher nannte man das ehrenamtliches Engagement?
Der Einsatz der Freiwilligen ist zwar eine besondere Art des gut gemeinten Engagements, man muss den Voluntourismus jedoch klar von anderen Engagementformen abgrenzen. Vor allem dann, wenn er über profitorientierten Unternehmen angeboten wird und keine reine zivilgesellschaftliche Engagementform ist. Beim Voluntourismus wird Engagement – und damit auch das Gefühl etwas Gutes zu tun – zu einer Ware, die man kaufen kann. Diese Formen basieren auf anderen Logiken als klassisches ehrenamtliches Engagement, sie haben ein ganz anderes Wertefundament.
Wer verbringt so seinen Urlaub?
Die Hauptzielgruppe sind junge Menschen zwischen 20 und 30 Jahren, sei es nach dem Abitur oder während und nach dem Studium. Sie kommen meistens aus einer eher sehr zahlungskräftigen Mittelschicht, denn die meisten Reiseanbieter verlangen sehr viel Geld für die Vermittlung dieses Engagements im Ausland. Es zeigt sich, dass von diesem Geld allerdings sehr wenig bei den Projekten vor Ort ankommt. Daneben gibt es auch immer mehr Menschen und Berufstätige über 30 Jahre, die sich im Rahmen von sogenannten "Sabbaticals" auf diese Weise im Ausland engagieren möchten.
Was ist an der Form des Reisens und Helfens kritikwürdig?
Der Trend bringt einige Probleme mit sich. Normalerweise ist Engagement zivilgesellschaftlich organisiert von Nichtregierungsorganisationen. Durch den Trend des Voluntourismus kommen aber Anbieter auf den Markt, die sich eigentlich mit Engagement, mit Entwicklungspolitik, mit sozialen Projekten, mit Kinderheimen oder Naturschutz überhaupt nicht auskennen und hier einfach als "Serviceprovider" auftreten. Das soll nicht heißen, dass alle zivilgesellschaftlichen Organisationen gute Arbeit machen und alle anderen schlechte. Aber mit dem Eintreten von Marktlogiken in den Engagementsektor verändern sich auch die Ansprüche der jungen Menschen. Sie sind eben nicht mehr nur Ehrenamtliche, sondern nehmen auch die Rolle der Kunden ein, deren Wünschen entsprochen werden soll. Dabei stehen dann oft die Engagierten viel stärker im Fokus als die Empfänger der vermeintlichen Hilfe. Studien zeigen, dass gerade in Kurzzeitformaten Eigeninteresse, der positive Effekt auf den Lebenslauf und das eigene gute Gefühl im Vordergrund stehen und nicht so sehr das soziale Engagement.
Wie zeigt sich das Eigeninteresse?
Es wird zum Beispiel sehr wenig reflektiert, dass der CO2-Ausstoß enorm ist, um etwa nach Costa Rica in den Urlaub zu fliegen, um dann wiederum an einem Naturschutzprojekt oder in einem Kinderheim zu arbeiten. Man fühlt sich toll, weil man scheinbar verantwortlich handelt, blendet aber die Folgen für das Klima aus.
Wie zeigt sich das Eigeninteresse?
Es wird zum Beispiel sehr wenig reflektiert, dass der CO2-Ausstoß enorm ist, um etwa nach Costa Rica in den Urlaub zu fliegen, um dann wiederum an einem Naturschutzprojekt oder in einem Kinderheim zu arbeiten. Man fühlt sich toll, weil man scheinbar verantwortlich handelt, blendet aber die Folgen für das Klima aus.
Das klingt so, als ob die Voluntouristen den Kindern einen Bärendienst erweisen?
Ja, in Ländern wie Kambodscha oder Bangladesch wurde nachgewiesen, dass es sozusagen zu wenige Waisenkinder für die große Nachfrage von Volontouristen gibt. In diesen Fällen ist eine ganze Industrie entstanden, die Menschenhandel begünstigt: Unter fadenscheinigen Gründen werden Kinder aus Familien genommen, Familien erhalten Geld für ihre Kinder, damit mehr Kinderheime geschaffen werden können, um die Nachfrage aus dem globalen Norden nach guten Taten zu bedienen. Aus meiner Sicht ist es absolut widersprüchlich und fast schon zynisch, dass hier Armut oder Missstände produziert werden, damit weiße reiche Menschen die Möglichkeit haben, sich gut zu fühlen.
Das klingt so, als plädierten Sie dafür, solche Projekte zu unterbinden?
Projekte mit Kindern und Jugendlichen sind aus meiner Sicht in so kurzen Zeitspannen ethisch tatsächlich nicht vertretbar. Hier sind schon mindestens sechs Monate angesagt. Wir haben darüber hinaus gemerkt, dass sich gerade Reiseanbieter sehr wenig mit Qualitätsstandards im Engagementbereich auseinandersetzen. Freiwilligenorganisationen, die sich seit 40 oder 50 Jahren mit zivilgesellschaftlichem Engagement im Ausland beschäftigen, befassen sich auch mit Kindesschutz und anderen wichtigen Themen, beispielsweise, wie sie Freiwillige gut auswählen können, und wer zu welchem Projekten auch passt. Voluntourismus-Dienstleister beschäftigen sich mit diesen Fragen jedoch kaum. Hier entscheiden die zahlenden Kunden.
Wenn man einfach im Reisebüro oder online einen Aufenthalt im Kinderheim in Bangladesch buchen kann, stellt sich auch die Frage, ob jemand kontrolliert, inwieweit der Volunteer integer ist - oder ob er vielleicht eine kriminelle Vergangenheit hat.
Ja, vor dem Hintergrund des Kinderschutzes sind diese Einsätze ohne eine Auswahl und Vorbereitung sehr problematisch.
Ist denn alles schlecht am Voluntourismus?
Ich habe in unserem Gespräch insbesondere die Gefahren und Probleme in den Vordergrund gerückt. Die Einsätze sollten nicht komplett verteufelt oder verurteilt werden, es gibt viele gute Projekte, wo man sich auch sinnvoll in wenigen Wochen einsetzen kann. Ich möchte jedoch dafür sensibilisieren, sich die Anbieter genau anzuschauen und nachzufragen, wo das Geld hingeht: Wieviel Geld bleibt eigentlich beim Konzern, wieviel Geld kommt bei den Organisationen vor Ort an? Gibt es eine Vorbereitung? Kennen die Anbieter die Projekte vor Ort genau? Welche Aufgaben werde ich übernehmen? All das sind Fragen, die man sich stellen kann. Und man sollte sich auch die Frage stellen, ob es nicht für kurze Zeit auch in Deutschland oder Europa die Möglichkeit gibt, sich zu engagieren und gut zu fühlen.